Der Todesschütze: Jung, labil und hasserfüllt

Polizisten in München
Der 18-jährige Schüler mit iranischen Wurzeln hat seine Wahnsinnstat genau geplant. Im Visier hatte der depressive Bursche Jugendliche.

Ali David Sonboly wurde nur 18 Jahre alt – doch sechs der neun Menschen, die der Münchner Schüler Freitagabend erschossen hat, waren noch jünger als ihr Mörder. Und es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass sich einige der getöteten Jugendlichen genau zu diesem Zeitpunkt in jenem McDonald’s Restaurant getroffen hatten, wo Sonboly auf die an den Tischen Sitzenden feuerte.

Denn wie die Polizei am Samstag bestätigte, hatte sich der in Deutschland geborene Sohn iranisch-stämmiger Eltern offenbar in einen bestehenden Facebook-Account gehackt, um Menschen zum Fast-Food-Lokal in der Nähe des Olympia-Einkaufszentrums zu locken. Unter dem Namen eines Mädchens postete der Jugendliche: "Kommt heute um 16 Uhr Meggi am OEZ. Ich spendiere euch was wenn ihr wollt, aber nicht zu teuer."

Kurz vor 18 Uhr beobachtete ein achtjähriger Bub in den WC-Anlagen des Lokals, wie der Schüler eine Pistole lud. Dann ging der 18-Jährige durch die Tür – und die Hölle brach los. Er feuerte auf die Jugendlichen im Restaurant. Dann ging er auf die Straße, stellte sich breitbeinig auf, legte an – wie es ein Zeugenvideo belegt – und schoss mit seiner Pistole auf Passanten.

Gut geplant

Von einem "Amoklauf" sprechen die Ermittler. Kein Terrorakt, bei dem es einen radikal-islamistischen oder politisch-ideologischen Hintergrund gegeben habe. Mit Vorsatz aber hat der 18-jährige Sohn eines Taxifahrers und einer Verkäuferin sehr wohl gehandelt. Der Schüler hatte sich eine illegale Kaliber-9-Glock-Pistole verschafft, in seinem roten Pokemon-Rucksack hatte er 300 Schuss Munition – genug, um ein riesiges Massaker anzurichten.

Warum mussten neun Menschen sterben und mehr als zwei Dutzend verletzt werden? Was treibt einen Teenager, der von seiner Nachbarschaft als "freundlich", "ruhig" und "sehr scheu" beschrieben wird, dazu Massenmord zu begehen? In seinem Zimmer, das die Münchner Polizei noch in der Nacht auf Samstag stürmte, fanden die Ermittler jede Menge Literatur zum Thema Amoklauf – Bücher, Zeitungsausschnitte, heruntergeladene Artikel.

Ali Davids schwer geschockte Eltern waren am Samstag kaum in der Lage, Auskunft zu geben. So viel aber stand bald fest: Der Junge hatte psychische Probleme, war in einer Münchner Klinik in Behandlung. Wegen einer "Erkrankung aus dem depressiven Formenkreis", wie der Münchner Oberstaatsanwalt bestätigte.

Wortgefecht auf dem Dach

"Ich war in Behandlung", schrie auch Ali David Freitagabend wütend einem Mann entgegen, der von einem Dach in sicherer Entfernung auf den Todesschützen hinunterschimpfte. Das Video des Wortgefechtes wurde bis Samstagnachmittag mehr als 180.000 mal auf YouTube aufgerufen:

"Wegen Leuten wie euch wurde ich gemobbt. Sieben Jahre lang", brüllte der ganz in schwarz gekleidete Täter. "Du Arschloch, du Wichser", schrie der Mann auf dem Dach zurück. Täter: "Und jetzt muss ich ’ne Waffe kaufen, um euch abzuknallen." Mann: "Dir gehört der Schädel abgeschnitten, du Arschloch" Zweiter Mann: "Scheiß Türken" Mann: "Scheiß Kanaken" [kurz unverständlich] Er hat eine Waffe, geladen. Holt einer die Bullen. Der Wichser." Täter: "Ich bin Deutscher." Mann: "Du bist ein Wichser, bist du. Was macht dich denn deutsch?" Täter: "Ich bin hier geboren worden ... Ich bin hier aufgewachsen, in der Hartz-IV-Gegend, in der ... [unverständlich]. Ich war in Giesing in Behandlung." Mann: "Ja, Behandlung. Du gehörst in eine Psychiatrie, du Arschloch." Täter: "Ich habe nichts getan. ... Halten Sie die Schnauze!"

Ein Augenzeuge im Einkaufszentrum will den um sich schießenden Ali David schreien gehört haben: "Mir ist alles egal" und "Ich töte euch alle." Seine Leiche wurde einen Kilometer entfernt gefunden. Der 18-Jährige hatte sich in den Kopf geschossen.

Und wieder einmal zeigt der Lauf der Dinge gestern Abend: Vorschnelle Urteile sind so gefährlich wie nicht angebracht. Aber wie immer fungierten die Sozialen Medien als Katalysatoren der „Nur-so-kann-es-gewesen-sein“-Maschinerie.

Der erste Blick auf den Täter scheint nun ein anderes Bild zu zeichnen: Offensichtlich handelt es sich um einen jugendlichen Amoktäter. Woran sich naturgemäß sofort die Frage knüpft: Warum? Auch hier gilt: keine vorschnellen Urteile aus der Ferne. Und dennoch gibt es immer wieder Parallelen zwischen Amoktaten in diversen Ländern – etwa Winnenden in Deutschland oder an der US-amerikanischen Columbine Highschool. Psychologen, Kriminologen und Soziologen beschäftigen sich damit. Viele Studien zeigen eine massive Kränkung der Täter – verbunden mit dem Eindruck, nicht „gesehen“ zu werden. Abgewertet – oder eben falsch verstanden. Vielfach zeigt sich ein Mix aus Narzissmus und Depression. Das Gefühl einer tiefgreifenden Kränkung und Wut ist ebenfalls ein häufiges Muster bei jugendlichen Amokläufern. Psychosen, psychische Erkrankungen und schwere narzisstische Persönlichkeitsstörungen spielen oft eine Rolle.

In Deutschland gibt es ein Projekt namens Target, unter der Leitung von Britta Bannenberg, Uni Gießen, das fast alle Amoktaten junger Täter bis 24 Jahre in Deutschland von 1990 bis 2016 untersucht hat. Das sind immerhin 35 Fälle – etwa auch die Taten in Winnenden, Emsdetten oder Erfurt. In dieser Studie zeigt sich etwa ebenfalls, dass die jungen Täter häufig psychopathologische Einzeltäter sind, die aus Wut, Hass und Rache heraus agieren. Psychotische und paranoide Züge können sich zu einem gefährlichen Mix bündeln. Allerdings: Die „eine“ Täterpersönlichkeit gibt es nicht – der Blick auf Tat und Täter muss stets individuell bleiben.

Es bleibt dennoch die Frage offen, was den „Point of no Return“ konkret auslöst. Häufig sind es Vorbilder – im Internet, in den Medien, die zur Tat führen. So betrachtet, können Ereignisse wie zuletzt in Würzburg, wo ein Jugendlicher Menschen in einem Zug angegriffen hat oder eben diverse Terroranschläge als Trigger wirken – als verstärkende Komponente. Das scheint speziell bei Jugendlichen häufig der Fall zu sein. Die Erkenntnisse der Amokexperten zeigen ebenfalls: Bekannte Taten haben Vorbildfunktion. Hier spielen die Medien keine unwesentliche Rolle – denn auch das zeigten die Untersuchungen: Die Täter planten teilweise die Medienresonanz ein. Ein letzter Akt verzweifelter Selbstdartstellung, um dem Hass – auf was auch immer und wen auch immer – einen publiken Raum zu geben. Und weil es sich so häufig um die berühmten „Unauffälligen“ und „Stillen“ handelt, macht das die präventive Einschätzung solcher Taten so schwierig.

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