Der Staatsvertrag – und keiner glaubte uns

Der Staatsvertrag – und keiner glaubte uns
Memoiren: Hugo Portisch erfuhr vom Durchbruch und verteilte persönlich eine KURIER-Extraausgabe.

In seinen Erinnerungen "Aufregend war es immer" beschreibt Hugo Portisch die Stimmung vor den finalen Verhandlungen zum Staatsvertrag. US-Präsident Eisenhower war für die Neutralität Österreichs, die SPÖ aus Angst vor den Sowjets dagegen. Kanzler Raab reiste im April 1955 mit einer Regierungsdelegation nach Moskau.

Drei Tage nach der Ankunft der Österreicher in Moskau erzielte man volle Einigung. Die Sowjetführung gab zu Ehren der Österreicher einen großen Empfang. Und hier bekamen sie zum ersten Mal den Mann zu Gesicht, der grünes Licht für den Abschluss des Staatsvertrags gegeben hatte: Nikita Chruschtschow, Generalsekretär der KPdSU und starker Mann der Sowjetführung. Von diesem Empfang berichtete mir Stephan Verosta: "Chruschtschow hat gefragt: ‚Habt ihr euch ein bisschen gefürchtet, wie ihr hierhergekommen seid? Und haben sich eure Frauen gefürchtet, dass ihr da herkommt zu den Teufeln? Aber ihr seht ja, ich bin gar kein Teufel.‘ Worauf Raab erwiderte: ‚Sonst wären wir gar nicht gekommen.‘ Wir wussten, dass Chruschtschow den Staatsvertrag betrieben hat."

Ich hatte einen guten Draht zur österreichischen Delegation und erfuhr noch an diesem Abend das Resultat der Verhandlungen. Der KURIER war damals, wie schon erwähnt, eine Mittagszeitung und wäre daher erst am nächsten Vormittag erschienen. So teilte man mir die große Einigung mit, ohne jede Sperrfrist, genauso wie das der Bundespressedienst erfuhr, der allerdings mit Sperrfrist bis zum nächsten Tag. Aber als ich diese brisante Nachricht aus Moskau erfuhr und ich Hans Dichand und Ludwig Polsterer davon unterrichtete, beschlossen wir spontan, eine Extraausgabe des "Kurier" zu drucken. Die war relativ schnell erstellt, denn die mir telefonisch aus Moskau durchgegebene Botschaft war kurz, aber besagte alles: "Österreich wird frei! Wir bekommen unseren Heimatboden in seiner Gänze zurück. Die Kriegsgefangenen und Inhaftierten werden die Heimat wiedersehen."

Gedruckt war diese Extraausgabe schnell, aber um diese Zeit am Abend hatten wir keinen einzigen Kolporteur zur Verfügung, um die Zeitung unter die Leute zu bringen. Und die Trafiken waren auch schon geschlossen. So nahmen Dichand und ich sowie die noch anwesenden Redakteure jeder einen Stoß Zeitungen unter den Arm und fuhren los. Dichand und ich zur Kärntner Straße, er lief links und ich rechts in Richtung Stephansdom. Da- bei riefen wir laut: "Extraausgabe – Österreich wird frei! Wir bekommen den Staatsvertrag!" Damals waren am Abend nicht viele Menschen auf der Straße, aber wir hatten Glück, eine Kinovorstellung war gerade zu Ende und die Besucher strömten aus dem Kino. "Österreich wird frei!", riefen wir und hielten ihnen die Schlagzeile vom Staatsvertrag entgegen. "Die pflanzen uns, ein Schmäh, des glaub ma net", schlug es uns entgegen. Wir waren fassungslos. Solch ein Ereignis und so eine Skepsis! Aber nach all den Jahren und Enttäuschungen war das letztlich zu verstehen.

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