Die verkehrte Welt von Rot und Schwarz

Stöger will die Gunst einer milden ÖVP nutzen
Rot und Schwarz sagen oft aus Reflex zu Vorschlägen des Koalitionspartners Nein.

Diese rot-schwarzen Regierungen sind ein echtes Kuriosum. Es gibt praktisch kein Thema, bei dem die eine Seite nicht reflexartig die Gegenposition zur anderen bezieht. Dieser Widerspruchsreflex ist stärker als eigene, in Stein gemeißelte Positionen.

Das plakativste Beispiel ist die Wehrpflicht. Als die Schüssel-ÖVP laut über ein Berufsheer nachdachte, sah die SPÖ den Faschismus aufziehen. Als später die SPÖ für ein Berufsheer eintrat, sah die ÖVP die Gesellschaft zusammenbrechen, weil es dann keine Zivildiener mehr gäbe. Neuerdings überlegt die Berufsheer-SPÖ, den Grundwehrdienst zu verlängern, und die Wehrpflicht-ÖVP ist – erraten – dagegen.

Pensionen

Ähnlich verkehrt sich die Welt gerade bei der Pensionsreform. Bis vor Kurzem hatte die ÖVP den 29. Februar zum großen Reform-Showdown hoch stilisiert: Das Frauenpensionsalter müsse rascher steigen. Die ÖVP stellte sogar die Wertanpassung von Pensionsbeiträgen infrage, was auf eine Pensionskürzung hinausgelaufen wäre.

Die SPÖ wiederum stand massiv auf der Bremse. Tenor: Die Pensions-Maßnahmen der Regierung würde ohnehin greifen, eigentlich müsse man nicht viel machen. Jede Zahl, die die SPÖ als Beweis für eine positive Entwicklung nannte, wurde von der ÖVP prompt als statistischer Trick entlarvt.

Seit ein paar Tagen ist wieder einmal alles anders. Das schwarze Finanzministerium rechnet vor, dass der staatliche Zuschuss zu den Pensionen erstmals seit 2005 rückläufig sei. Das rote Sozialministerium widerspricht umgehend, der Zuschuss sinke nicht, sondern werde im Gegenteil steigen.

Der schwarze Scharfmacher, Klubobmann Reinhold Lopatka, erklärt den 29. Februar plötzlich zu einem nicht mehr allzu wichtigen Datum: Ein "gutes Ergebnis" gehe vor Termindruck, wenn es ein paar Wochen länger dauere, sei das auch nicht tragisch.

Termindruck

Im roten Sozialministerium hingegen wurde das Gaspedal entdeckt. Minister Alois Stöger wolle beim Pensionsgipfel "auf jeden Fall herzeigbare Ergebnisse haben", heißt es in dessen Ressort. Stöger führe hinter den Kulissen eifrig Vorgespräche.

Des Rätsels Lösung ist die Bundespräsidentenwahl. Weil die ÖVP unerwarteter Weise Andreas Khol ins Rennen schicken musste, der erstens bei Pensionsreformen mit seinem roten Pendant Karl Blecha weitgehend konform ging und zweitens die Senioren als Wähler mobilisieren soll, musste die ÖVP vom Reform-Gas gehen. Die ÖVP würde sich am 29. Februar am liebsten auf nach der Wahl vertagen, damit sie der SPÖ später mehr abtrotzen kann. Die SPÖ will genau deswegen am 29. Februar den Sack zu machen. Sie weiß, dass sie im laufenden Wahlkampf mit einer viel milderen ÖVP zu tun hat als nach der Wahl.

Die neue ÖVP-Seniorenchefin Ingrid Korosec geht übrigens auch mit Blecha konform: Sie unterstützt dessen Forderung, das Bonus-Malus-System erneut aufzumachen und die Pensionierungspraxis im öffentlichen Dienst zu kontrollieren.

Nur Blechas Forderung nach einer Maschinensteuer lehnt Korosec ab. Doch die ist sowieso nicht aktuell.

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