Der Kanzler spielt einen seiner letzten Trümpfe aus

SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern lädt zu einem Mini-EU-Gipfel nach Salzburg ein.
Mit der Ansage, nach der drohenden Wahlniederlage in Opposition zu gehen, sorgt Kanzler Kern für Aufsehen. Warum sie zum Bumerang werden könnte und der SPÖ-Chef dieses Risiko dennoch einging.

Das Interview schien bereits so gut wie zu Ende, im ORF-Sommergespräch fehlte nur noch die Abmoderation – und dann kam dieser Moment: Gute eineinhalb Minuten vor Sendungsschluss brachte der Bundeskanzler seine wohl wichtigste Botschaft an diesem Abend: Wenn wir nicht Erster sind, werde ich sicher nicht Kanzler – und die SPÖ geht in Opposition.

Wie jetzt? Die Sozialdemokraten werden auch als Zweitplatzierte keiner Regierung angehören? Und sie werden auch kein anderes Bündnis wagen, damit sich allenfalls doch noch eine Parlamentsmehrheit ausgeht, um den Kanzler zu retten?

Wie genau Christian Kern seine Ansage verstanden wissen will, das wird er spätestens Mittwochabend bei einem "Klartext"-Spezial auf Ö1 zu erklären haben.

Überraschend kam sein Manöver allemal.

Meinungsforscher überrascht

"Die Ansage war ein strategisches Ass, das man sich als Mobilisierungshilfe für gewöhnlich bis zum Schluss einer Wahlkampagne aufspart", sagt OGM-Chef Wolfgang Bachmayer. Dass der Kanzler genau diese "Karte" mehr als fünfeinhalb Wochen vor dem Wahltag gezückt hat, überrascht Meinungsforscher – auch aufgrund des Risikos, das er eingeht: "Kern wagt ein Hasardspiel, einen Poker gewissermaßen. Denn wenn sich in den nächsten zwei, drei Wochen herausstellt, dass selbst diese klare Festlegung nichts am Vorsprung der ÖVP ändert, dann könnte Kerns allzu frühe Ansage für ihn sogar zum Bumerang werden." Inwiefern?

"Indem sich mancher SPÖ-Sympathisant oder Gegner von Schwarz-Blau denkt: ,Der zweite Platz für die SPÖ ist offenbar schon fixiert, da unterstütze ich doch lieber eine kleinere Partei, die meine Stimme ganz dringend braucht, um sicher im Parlament zu sein’."

Ein riskanter Schachzug war es also allemal.

Häupl: Endlich Klarheit

In der Partei wurde Kerns Festlegung am Tag nach dem Auftritt jedenfalls mit demonstrativem Wohlwollen bedacht: "Das schafft Klarheit", frohlockte Wiens SPÖ-Chef und Bürgermeister Michael Häupl. "Ich würde mir wünschen, dass Außenminister Kurz ähnliche Klarheit schafft: Was passiert, wenn er Zweiter wird?", fragt er.

Häupls burgenländischer Amts- und Parteikollege Hans Niessl macht zwar keinen Hehl daraus, dass er nur bedingte Freude mit einer Bundesregierung ohne sozialdemokratische Minister hat: "Opposition ist aus meiner Sicht Mist". Der für Kern positive Nachsatz: "Der Erste bei der Wahl soll die Führungsposition stellen". Winkelzüge wie jener von Wolfgang Schüssel (der ÖVP-Chef hatte 1999 angekündigt, als Dritter in Opposition zu gehen, und ließ siech dann von dieser Position von der FPÖ zum Kanzler machen) seien "demokratiepolitisch nicht in Ordnung".

Auch Gewerkschaftsboss Erich Foglar hilft mit, die Warnung vor Schwarz-Blau als Credo der SPÖ einzubetonieren: "Wenn zwei eine Regierung bilden, bleibt für einen die Oppositionsrolle", gibt er sich pragmatisch.

Hinter vorgehaltener Hand klingt dies in der SPÖ etwas anders. Hie und da äußern Genossen Vorbehalte gegenüber Kerns Mobilisierungsvorstoß. Arbeiterkammer-Chef Rudolf Kaske äußert öffentlich zarte Skepsis: "Jetzt wählen wir einmal, dann zählen wir und dann reden wir über Koalitionen."

Christian Böhmer im Interview zu Kerns Oppositionssaga

Und was sagt eigentlich die mit Kerns Vorstoß ebenfalls adressierte FPÖ? Immerhin hat Kern Rot-Blau eine Absage erteilt, sollte er nicht Erster werden.

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und Generalsekretär Herbert Kickl wollten sich nicht dazu äußern. Einzig Oberösterreichs Vizelandeshauptmann und FPÖ-Chef Manfred Haimbuchner ließ über sein Büro ausrichten, "dass wir der ÖVP ideologisch ohnehin viel näher sind als der SPÖ". Weil die SPÖ ihren nach wie vor aufrechten Parteitagsbeschluss – der eine Bundes-Koalition mit der FPÖ verbietet – nach wie vor nicht verworfen habe, sei eine rot-blaue Zusammenarbeit "nie wirklich Thema gewesen", lässt Haimbuchner dem KURIER ausrichten.

Ganz klar ist der Umgang der Roten mit der FPÖ immer noch nicht – trotz der mittlerweile neun Monate zurückliegenden Annäherung zwischen Kern und Strache im "Klartext". Momentaner Stand der Dinge: Nach einer Wahl müssen die SPÖ-Mitglieder über Rot-Blau abstimmen. Im Falle eines Wahlsieges, versteht sich – frei nach Kern.

(Christian Böhmer, Klaus Knittelfelder)

SPÖ-Chef Kern bei ORF-Sommergespräch

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