Der Islam, eine "normale Religion"? Sehr schwierig

Muslime beim Gebet
Der Diskurs zeigt guten Willen, aber wenig Aussicht auf Erfolg, weil der Islam in vielen Ländern ein Machtinstrument ist.

Der "liebe Hamed" schreibt dem "lieben "Mouhanad", mit allem Respekt im Ton, gleichzeitig mit großer Differenz in fast allen Fragen der Zukunft des Islam. Kurz gesagt: Die Frage, ob der Islam noch zu retten ist, beantwortet Hamed Abdel-Samad, ein in Kairo geborene Autor mit einem klaren Nein. Der Religionspädagoge Mouhanad Khorchide, geboren im Libanon, aufgewachsen in Saudi-Arabien und seit 20 Jahren österreichischer Staatsbürger, sieht bei aller Kritik am Machtmissbrauch und der Rückständigkeit in vielen islamischen Staaten die Chance auf Reform und Aufklärung.

So sind die 95 Thesen, die sie in Anlehnung an den Kirchenreformer Martin Luther entwickelten, kein Konzept, wie der Islam erneuert werden müsste, um Teil einer modernen, demokratischen Gesellschaften werden zu können. Eher sind sie ein Streitgespräch in Briefform, bei dem die Leser viel lernen können: Über die Entstehung des Koran, die unterschiedliche Auslegung der Schriften, also auch der Hadithe – der Aussprüche des Propheten Mohammed – aber vor allem über die Grundfrage, wie gläubige Muslime in einer Gesellschaft leben können, in der andere Religionen gleichwertig sind.

Die beiden werfen schnell die grundsätzliche und höchst aktuelle Frage auf, ob der Koran eine Anleitung zum Hass oder eine Botschaft des Friedens ist. Abdel-Samad vertritt die These, dass der Koran so widersprüchlich ist, dass seine Botschaften "dem Mörder Argumente bieten, warum Andersgläubige zu töten sind und Terroranschläge rechtens. Gleichzeitig bieten sie dem moderaten Muslim Argumente, um sich von solchen Gräueltaten zu distanzieren."

Mouhanad Khorchide hingegen fordert, dass die Gläubigen den Koran nicht als "vom Himmel gefallenes Werk" betrachten dürften, das wortwörtlich zu verstehen sei, sondern im Kontext der heutigen Zeit. Außerdem müsse der Koran in seiner Gesamtheit gelesen werden. Die Sure 3, "Wahrlich, die Religion bei Allah ist der Islam", liest der Religionspädagoge so, dass alle inkludiert seien, die an einen Gott glauben, also auch Juden und Christen.

Die Gewalt taucht regelmäßig im Koran auf, "Schlaget die Götzendiener, wo ihr sie findet" (Sure 9:1-5). Khorchide sieht auch hier den historischen Zusammenhang. Mohammed war ja zunächst in Mekka nur von Anhängern umgeben, die spätere, sogenannte "medinische Phase" war eine kriegerische, daher die Aufrufe zur Gewalt.

Ohne Reformen bleibt die Gewalt

Generell appelliert Khorchide an die Muslime, durch eine Reform eine Neubewertung von Geboten und Verboten vorzunehmen. Viele Vorschriften würden nur die Freiheit einschränken und zu Heuchelei, Frustration und moralischer Depression führen." Und: "Ohne Reformen wird der Islam sein Gewaltproblem nicht los werden."

Einig sind sich die beiden Autoren, dass Religion Privatsache ist. Regime, die ihre Macht auf Scharia und die Unterdrückung der Gläubigen aufbauen, schaden dem Islam am meisten. Eine dringend notwendige Reform des Islam kann nur über eine Bildungsreform in den muslimischen Ländern funktionieren. Nur so kann auch Verständnis für Andersgläubige entstehen, nur dadurch würden alle Muslime lernen, so offen und respektvoll miteinander zu diskutieren wie Abdel-Samad und Khorchide. Freilich – beide Herrn brauchen Polizeischutz, weil es Muslime gibt, die solche Thesen bekämpfen. Mit mörderischer Gewalt.

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