Verfassungsrechtler versteht Aufregung um Sobotka nicht

Bleibt in Diskussion: Innenminister Wolfgang Sobotka
Jurist Bernhard Raschauer hält Haftung für normalen Standard von Verwaltungsgesetzen. Inhaltliche Beurteilung von Demonstrationen stehe dem Staat aber nicht zu.

Nach der heftigen Kritik von SPÖ, Grünen, NEOS, NGOs und Rechtsexperten an Innenminister Wolfgang Sobotkas Plänen zur Einschränkung des Demonstrationsrechts bekommt der ÖVP-Minister doch noch Rückendeckung von juristischer Seite. Der Verfassungsrechtler Bernhard Raschauer kann die Aufregung über die geplanten Neuerungen im Versammlungsgesetz aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht nachvollziehen.

Raschauer: Kein Anschlag auf Demofreiheit

"Von einem 'Anschlag auf die Demonstrationsfreiheit' kann keine Rede sein", erklärte Raschauer in einer Stellungnahme. Für Diskussion sorgt etwa Sobotkas Forderung, dass es künftig für jede Demonstration einen Veranstaltungsleiter geben soll, der bei schuldhaftem Verhalten für Schäden bei Demonstrationen haftbar sein soll. Auch der Begriff der Versammlung soll genauer definiert werden. Sobotka möchte eine klarere Trennung zwischen Versammlungen und Veranstaltungen. Zudem soll ein Mindestabstand zwischen Demonstrationen und Gegendemonstrationen festgelegt werden können. Werden berechtigte Interessen verletzt, soll auch ein Demonstrationsverbot erlassen werden können. Kommende Woche soll der Entwurf vorliegen.

"Schon im geltenden Recht sind Anmelder einer Versammlung, Leiter und Ordner vorgesehen. Sollte ein darauf bezogener Verwaltungsstraftatbestand eingeführt werden, würde dies dem normalen Standard von Verwaltungsgesetzen entsprechen", so Verfassungsrechtler Raschauer zur umstrittenen Frage des Veranstaltungsleiters. "Dass das Organisationsverschulden eines Rechtsträgers im Falle von gravierender mangelnder Vorkehr oder dem Fehlen erforderlicher Sorgfaltsanspannung zu Konsequenzen führen kann, ist kein wirklich neues Rechtsprinzip", findet auch Johannes Werner Pichler, ehemaliger Vorstand des Instituts für Europäische Rechtsentwicklungen der Universität Graz.

Laut Raschauer sehe das geltende Recht auch bereits jetzt räumliche Beschränkungen für Versammlungen vor, die vom Verfassungsgerichtshof als verfassungsmäßig beurteilt wurden. Wenn weitere räumliche Einschränkungen aus den in der Menschenrechtskonvention genannten Gründen wie Aufrechterhaltung der Ordnung oder Schutz der Rechte und Freiheiten anderer erfolgen, dann begegne dies "keinen prinzipiellen Bedenken". Keine verfassungsrechtlichen Vorbehalte hat Raschauer auch punkto Mindestabstand zwischen Demonstrationen. "Den Staat trifft schon heute die Pflicht, die Versammlungsfreiheit insoweit zu schützen, als ein Unterlaufen dieser Freiheit durch herabwürdigende Gegendemonstrationen unterbunden wird."

Spaßdemos kann Staat nicht beurteilen

Lediglich eine "inhaltliche Beurteilung von Veranstaltungen steht dem Staat nicht zu, insoweit wird eine Spaßdemo auch weiterhin nicht zu untersagen sein", so Raschauer. Es sollte aber nicht vergessen werden, dass eine Versammlung nur dann vorliegt, wenn der verfassungsrechtliche Versammlungsbegriff erfüllt ist. In Wien sei man etwa laut Raschauer vor 15 Jahren dazu übergegangen, bettelmusikalische Veranstaltungen nicht als Versammlungen anzuerkennen. "Dies entspricht auch dem Sinn des Gesetzes."

Unwürdiger Debattenstil

Von einem "unwürdigen, typisch österreichischen Debattenstil über ein ernstes europäisches Thema", spricht Pichler. "Eine europaweit in der Luft liegende rechtspolitische Debatte darüber, wie auf das immer öfter gewaltbeladene Eskalieren von Demonstrationen zu reagieren sei, soll in Österreich mit Kahlschlagargumenten offensichtlich abgedreht werden", so der ehemalige Professor für Europäische Rechtsentwicklungen. Diskussionen über eine Präzisierung der Gestaltungsräume des Demonstrationsrechts müssten möglich sein. Die Versammlungsfreiheit sei in Demokratien ein hohes Gut, sie stehe aber auch in einem Spannungsverhältnis zu anderen Rechtsgütern. "Verändert sich die Demonstrationskultur, so muss sich auch die diesbezügliche Rechtsausstattung ändern", gibt Pichler zu bedenken.

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