Das Problem ist die Vermischung von Politik und Medien

Bundeskanzler Bruno Kreisky und ORF-Chef Gerd Bacher im Jahr 1970
KURIER-Herausgeber Helmut Brandstätter über eine aufgehobene Trennlinie, verkleidete Politiker und sündige Journalisten.

Versuchen wir es einmal mit Psychologie: Was hat Vizekanzler Heinz-Christian Strache dazu getrieben, mit dem Bihänder auf den ORF einzudreschen? Hier seine Formulierung nochmals zur Erinnerung – "Es gibt einen Ort, an dem Lügen zu Nachrichten werden – das ist der ORF".

Da muss viel zusammengekommen sein, damit der FPÖ-Chef, der schon im Wahlkampf ruhiger, auch seriöser auftrat und das Amt des Vizekanzlers ganz offensichtlich genießt, wieder den Einpeitscher à la Bierzelt gibt.

Die jahrelange Enttäuschung, dass so manche ORF-Journalisten mit Vertretern anderer Parteien vertrauter umgingen, mag eine Rolle spielen, die Ablehnung des Rechtspopulismus in eher grünen Redaktionen auch. Und dass im ORF Rote und Schwarze sich fast immer die Führung aussuchten und beim Programm mitredeten, das hat die FPÖ auch stets erzürnt, außer in der kurzen Zeit der schwarz-blauen Koalition, wo die FPÖ auch am Küniglberg mitregierte.

Neue Parteizeitungen

Aber es kam noch etwas dazu: Strache hat diesen Satz, den er ja als "Satire" verbrämte, nicht zufällig auf Facebook gepostet. Facebook war jahrelang die Hoffnung der FPÖ, an den etablierten Medien vorbei wieder eine Art Parteizeitung aufbauen zu können, mit direktem Draht zu schon begeisterten oder möglichen zukünftigen Wählern. Ohne lästige Fragen oder einen wahrheitsgetreuen Fakten-Check, also das, was Journalismus auch ausmacht. Den fürchten Parteien, je schwächer sie sind.

Verkleidete Politiker

Das Problem ist die Vermischung von Politik und Medien
ABD0045_20151006 - WIEN - ÖSTERREICH: FPÖ-Chef Heinz Christian Strache im Rahmen einer Sondersitzung des Nationalrates am Dienstag, 6. Oktober 2015, im Parlament in Wien. - FOTO: APA/ROLAND SCHLAGER

Die sozialen Medien haben die Politik dazu verführt, sich als Journalisten zu verkleiden und selbst als Medienmacher aufzutreten. Das ist anderswo auch so und wird besonders von Populisten genutzt. In Österreich aber, wo die Vermischung zwischen Politik und Medien eklatant bis unanständig ist, wird die notwendige Trennlinie inzwischen zu oft und auch bewusst aufgehoben, und zwar von beiden Seiten. Denn – und hier wird es notwendigerweise selbstkritisch – zu viele Journalisten verstehen sich als die klügeren Politiker und geben in Kommentaren gerne Tipps, wie denn nun das Staatsschiff am besten gesteuert werden sollte.

Sündige Journalisten

Das gefällt Politikern. Journalisten begehen, vom Volontär bis in die Chefetage, die Sünde der Eitelkeit wohl öfter als der Durchschnitt der Bevölkerung. Und – das zeigt die vergleichende Beobachtung, österreichische Politiker sind aus verschieden Gründen ängstlicher als Volksvertreter anderswo. Das mag mit der Kleinheit des Landes zu tun haben und mit mangelnden Möglichkeiten nach der Politik. Jedenfalls schauen Minister und Mandatare allzu oft furchtsam in der Zeitung nach, ob sie dort gut wegkommen, nicht nur im Wahlkampf. Auch jahrelanges gutes Einvernehmen verspricht keine sichere Bank. Der Boulevard ist ein Paternoster, der nicht nur nach oben, sondern auch abwärts fährt, und wo man ganz unten auch hinausgeworfen werden kann. Mangelnde Geldleistungen oder größere Erfolgsaussichten von Konkurrenten haben schon Boulevard-Karrieren beendet.

Medienleute als bessere Politiker

Dass sich Medienleute als die besseren Politiker fühlen und bei Entscheidungen mitmischen wollen, ist schlimm genug, vor allem, weil sich käuflicher "Journalismus" etabliert hat. Aber wenn Regierungen durch Druck auf Redaktionen den Journalismus ersetzen wollen, ist die Demokratie in Gefahr, weil die Kontrolle verloren geht. Wenn beide nur mehr unterhalten – oder auch ablenken – wollen, haben sie ihre Aufgabe verfehlt.

Das Problem ist die Vermischung von Politik und Medien
Konstituierende Sitzung des Nationalrates im Ausweichquartier des Parlaments. Wien, am 09.11.2017

Facebook und Co. als Umweg an den klassischen Medien vorbei funktioniert nur teilweise, weil die Glaubwürdigkeit der schnellen Posts und Postings gering war und weiter zurückgeht. Deshalb kümmern sich Politiker und ihre Sekretäre wieder intensiver um den ORF und die unabhängigen Zeitungen – die finanziell abhängigen haben sie im Griff.

ORF liefert sich aus

Verkehrte Welt: Die Politik will die Medien kontrollieren, was aber deren Rolle ist. Der ORF ist mit sinkendem Marktanteil im Fernsehen nicht mehr ganz so wichtig, aber vor allem die Sehergewohnheiten der politischen Funktionäre führen zu Rückmeldungen in den Parteizentralen und zu hoher Aufmerksamkeit. Als gebührenfinanziertes Unternehmen muss der ORF ja über ein Gesetz gesteuert werden. Da wollte uns Schwarz-Blau im Jahr 2001 einreden, dass ein Stiftungsrat ohne Parteisekretäre unabhängig sei, was Unsinn ist, wenn sich die Räte im Beisein von genau diesen Sekretären absprechen. Und das neue Gesetz verankerte eine offene Abstimmung über die Führung, was mehr Mut verlangt, als hierzulande so verteilt wird.

Ära Kreisky - Bacher

Gerd Bacher, der erste ORF-Chef nach Portischs Volksbegehren für einen unabhängigen Rundfunk, konservativ, aber im Zweifel ein Journalist, konnte SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky nicht von der Notwendigkeit eines unabhängigen ORF überzeugen und wurde hinausgeworfen. Zurück kam er nur, weil er sich in geheimer Abstimmung durchsetzen konnte.

Wrabetz: Distanziertes Verhältnis zu Parteien

ORF-Chef Alexander Wrabetz hat ein distanziertes Verhältnis zu den Parteien nie versucht, die Nähe zur jeweiligen Regierung gar gesucht. Neue Führungskräfte wurden vor der Nationalratswahl nicht bestellt, um nachher auf Zurufe der Politik zu hören. Dieses Verhalten gefährdet den ORF und auch die Gebühren mehr als 1000 Facebook Postings Straches. Das können die deutschen TV-Macher, die sich jetzt um den ORF sorgen, nicht wissen.

Dem ORF wird es besser gehen, wenn wieder jeder seine Rolle einnimmt und die Führung ohne Angst führt. Wir vom KURIER jedenfalls wollen Medien machen und nicht Politik. Diese müssen wir kontrollieren, fallweise auch kritisieren. Das nennt man dann Demokratie.

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