Leitl: "Den neuen Schwung für eine große Staatsreform nutzen"

Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl
Wirtschaftskammer-Boss Christoph Leitl fordert, das Ergebnis des Österreich-Konvents umzusetzen, auch mit Volksabstimmung. Die Mitterlehner-Kritik beantwortet er mit Lob für den neuen Eifer der Regierung.

KURIER: Herr Präsident, letzte Woche ist es rund gegangen, nachdem der Vizekanzler gemeint hat, die Sozialpartner müssten sich komplett ändern. Ist Ihr Ärger schon verraucht?

Christoph Leitl: Wir sollten nicht in einem Ruderboot sitzen, wo der eine dem anderen sagt, er solle gefälligst rudern. Wir sollten alle gemeinsam zu den Rudern greifen. Ich freue mich, dass nach Jahren des vergeblichen Forderns jetzt der Ruf nach Bewegung erhört wird, und ich werde die neu formierte Bundesregierung auf ihrem Weg, Österreich zurück an die Spitze zu führen, nach besten Kräften unterstützen.

Der Vizekanzler fordert hier einen Beitrag der Sozialpartner ein. Was werden Sie denn beitragen?

Die Hauptthemen, um die es geht, sind Wachstum, Reduktion der Arbeitslosigkeit, Bewältigung der Flüchtlingskrise. Die Sozialpartner haben zu allen diesen Punkten inklusive Bildung und Integration Vorschläge gemacht. Wir Sozialpartner sind keine Besserwisser, wir sind Praktiker und haben aus der Praxis Vorschläge eingebracht, was man in diesem Land zum Besseren verändern könnte. Wenn die neue Bundesregierung jetzt motiviert ist, diese Veränderungen tatsächlich zu machen, kann uns das nur freuen. Wenn es so viele Veränderungen gibt – die Digitalisierung, die Globalisierung, die Migration – dann müssen wir uns selbst auch ändern. Wir brauchen gar nicht mit dem Zeigefinger aufeinander zeigen, sondern wir alle sollen sagen: Nützen wir den neuen Schwung, der von der Regierung jetzt ausgeht.

Der Vorwurf an die Sozialpartner lautet, dass sie Forderungen oft zu Lasten der Steuerzahler erhebt.

Niemand überfordert den Staat. Die Themen sind durchwegs budgetschonend. Ich denke an die Senkung von Lohnnebenkosten, die nicht aus dem Budget kommen. Ich denke an eine massive Absenkung der Bürokratie, das kostet den Staat nichts, da geht es nur um guten Willen. Ich denke an Investitionsanreize, die sich selbst finanzieren, weil dadurch die Beschäftigung und das Mehrwertsteueraufkommen steigen. Wenn wir zusätzlich Start-ups ausreichend finanzieren könnten, hätten wir 20.000 Arbeitsplätze mehr, würden drei Milliarden Investitionen generieren, und das allein brächte dem Finanzminister 600 Millionen Steuereinnahmen. Auch beim großen Thema Bildung haben die Sozialpartner ein sehr vernünftiges Papier vorgelegt, das halt bis heute von der Regierung nicht behandelt wurde, um es freundlich zu formulieren.

Mitterlehner will die Gewerbeordnung reformieren. Wie könnte das aussehen?

Ich habe nach meiner Wiederwahl gesagt, ich will eine Reform, die diese Kammer zu einem Best-Beispiel öffentlich-rechtlicher Organisationen machen soll. Wir müssen Digitalisierung nicht nur erklären, sondern bei uns selbst praktizieren. Selbstverständlich ist auch die Gewerbeordnung zu reformieren. Wir sind hier in einem laufenden Prozess. Ich freue mich auch schon auf die Vorschläge seitens des Wirtschaftsministeriums, damit wir hier in einen sachlichen Diskurs kommen. Zwei Kriterien sind maßgeblich: Die Vermittlung von Qualifikation – also dass der Meister sein Wissen weiter gibt, Stichwort duale Ausbildung. Und die Qualität bei den Produkten und Dienstleistungen. Zu sagen, über die Qualität entscheidet einfach der Markt, greift zu kurz. Ich habe selbst bei meinem Haus einen Spengler beschäftigt, und beim ersten Sturm fing das Konstrukt zu wackeln an. Dann wollte ich den Spengler anrufen, da war er in Konkurs. Ich habe 3500 Euro bezahlt, ich habe es verschmerzt, aber wenn ein Pensionistenehepaar das aus seinen Ersparnissen zahlen muss, wird der Hinweis auf die freie Marktwirtschaft vielleicht nicht so einfach sein. Aber ich will hier nicht gleich Gegenargumente finden. Es soll kein Denk- oder Diskussionsverbot geben.

Wo ist Ihrer Meinung nach Reformbedarf bei der Gewerbeordnung?

Nachdem das Wirtschaftsministerium mehrfach dieses Thema angesprochen hat, ist es nur logisch, dass ich frage: Sagt uns, was Ihr wollt. Ist es das gewerbliche Anlagerecht? Der Zugang zum Gewerbe? Die Entbürokratisierung? Die Veröffentlichungsvorschriften in der amtlichen Wiener Zeitung, die bei uns sehr heftig kritisiert werden? Ich wäre dankbar, wenn nicht immer wir Vorschläge machen, sondern wenn einmal die andere Seite uns Vorschläge macht.

Der Wirtschaftsminister hat lang hier in der Kammer gearbeitet...

...und er hat gut gearbeitet. Man kann ja einmal unterschiedliche Meinungsäußerungen haben und dann wieder zusammen finden.

Jetzt fordert er, dass die Kammern der Politik aus der Praxis Beispiele für eine Vereinfachung der Bürokratie liefern sollen.

Wir haben eine Fülle praxisorientierter Vorschläge zur Entbürokratisierung gemacht. Ein Teil davon ist in dem Anti-Bürokratisierungsgesetz, das gerade diskutiert wird, enthalten, etwa das Kumulationsverbot von Verwaltungsstrafen für Betriebe.

Bei den Registrierkassen soll es Ausnahmen für Jugendorganisationen von Parteien geben. Ist das akzeptabel?

Das hieße, den Schwarzbereich weiter zu legalisieren und den Lebensbereich der Wirte weiter einzuschränken. Ich weiß um den Wert der Vereine für unsere Gesellschaft, aber ich bin dafür, dass man gleichzeitig auch die Wirte massiv entlastet. Gleiches Recht für alle: Wenn nicht-gemeinnützige Vereine steuerfrei Feste ohne Registrierkasse veranstalten wollen, stellt sich schon die Frage, warum das nicht auch für Wirte gelten soll. Wir verhandeln dieses Problem gerade. Wenn ein faires Ergebnis heraus kommt, werde ich das mittragen.

Ab wann sollen Asylwerber in Österreich arbeiten dürfen?

Ich möchte so wie in der Schweiz, dass jeder, der nach Österreich kommt, ab dem Zeitpunkt, ab dem er Grundversorgung bezieht, auch etwas dafür tut. Bei den Gemeinden gibt es viel Arbeit im ökologischen, im sozialen, also im gemeinnützigen Bereich. Der beste Weg, Deutsch und unsere Werte zu lernen, ist, die Menschen einzubinden, und sie nicht in ihrem Kreis sitzen zu lassen, wo sie kein Deutsch sprechen und untätig sein müssen. Wenn sie dann Asylstatus haben, stehen sie dem Arbeitsmarkt ohnehin zur Verfügung. Wir haben beim AMS 40.000 offene Stellen, die von Österreichern offenbar nicht gewollt sind. Das wären Möglichkeiten für Asylberechtigte, das sind ja keine schlechten Stellen. Wenn Arbeitslose aus Wien keine Stellen im Tourismus in Tirol annehmen, warum sollen dann Asylberechtigte nicht dorthin gehen? In Tirol gibt es 100 offene Lehrstellen in Restaurants und nur sieben Bewerber. Wir machen jetzt eine Aktion mit dem AMS und bieten Flüchtlingen eine Lehre an. Selbst wenn diese in zwei, drei Jahren heim gehen, weil in Syrien hoffentlich Frieden herrscht, dann haben sie etwas gelernt und werden immer einen guten Bezug zu unserem Land haben.

Wie sehen Sie die Bundespräsidentenwahl? Dass SPÖ und ÖVP mit nur je elf Prozent raus geflogen sind?

Es ist ein Alarmsignal an die politische Mitte. Es ist auch ein Auslöser dafür, dass wir heute die Chance haben, neu zu beginnen und eine aktive Regierung bekommen haben. Ich würde es sehr befürworten, den neuen Schwung auch für eine Staatsreform zu nutzen. Es liegt von Franz Fiedler immer noch ein exzellentes Papier vor, eine Zusammenfassung aus dem Österreich-Konvent, das eine konkrete Zuteilung von Aufgaben zu den Gebietskörperschaften enthält. Das sollte man jetzt nehmen, weiter entwickeln, Franz Fiedler einen Folgeauftrag geben und dann umsetzen. Die Länder würden gute, vernünftige Kompetenzen bekommen, dafür würde Unfug wie die neun Bauordnungen endlich abgeschafft.

Eine große Staatsreform wäre wahrscheinlich eine Gesamtänderung der Verfassung und würde eine Volksabstimmung erfordern.

Dagegen spricht nichts. Ich bin sicher, wenn das eine vernünftige Staatsreform ist, wird die Bevölkerung dazu ja sagen. Dann könnte man gleich auch den Finanzausgleich, der gerade neu verhandelt wird, auf der Grundlage der künftigen Aufgabenzuteilung aufbauen.

Was erwarten Sie vom neuen Bundespräsidenten?

Ich gehe davon aus, er wird sich wie Heinz Fischer als Türöffner für die Exportwirtschaft einsetzen.

Kommentare