Christian Kern: Auf Kreiskys Spuren in Nahost

Kern besucht Ägypten.
Kanzler sucht bei Blitzvisite in Ägypten und Abu Dhabi innenpolitische Turbulenzen hinter sich zu lassen.

Christian Kern hat keinen Routinetag hinter sich, als er Dienstagabend in einem Airbus 320 der AUA nach München Platz nimmt. In der Nacht geht es weiter nach Kairo, geplante Ankunft Mittwoch, 1.20 Früh.

Auf dem iPad studiert der Kanzler vor Abflug die Zeitungsberichte über den zurückliegenden Tag. Auf den innenpolitischen Seiten dominiert ein erstes Resümee des gewagten Experiments, das Kern ausgerufen hatte, als der neue ÖVP-Chef Kurz Rot-Schwarz aufkündigte und Neuwahlen initiierte: Der SPÖ-Chef will es nach der in die Brüche gegangenen Koalitionsehe bis zum Wahltag am 15. Oktober mit freier Partnerwahl im Parlament versuchen.

Scheidungsverfahren

Zwar ist auch die alte Tradition, dass die Innenpolitik bei Auslandsreisen offiziell Sendepause hat, längst dahin. Aber im Fall des ersten Gipfelgesprächs aller Parteien, zu dem der Kanzler Dienstag Nachmittag ins Hohe Haus geladen hatte, ist offiziell alles gesagt.

Daher, kein (neuer) Kommentar des Kanzlers. In den kommenden Tagen wird in kleineren Gruppen weiter ausgelotet, was zwischen Rot und Schwarz an Gemeinsamkeiten noch geht. Und ob Versuche, mit Blau, Stronach & Co etwa eine Mehrheit für den Mindestlohn oder ein Aus für die Kalte Progression zu finden, mehr als ein Druckmittel im Scheidungsverfahren sind.

Nächster Akt im innenpolitischen Dramolett "Das war Rot-Schwarz, vulgo Große Koalition": Anfang Juni im Parlament.

Wenn es die Mitspieler erlauben, stehen für Christian Kern bei seinem Kurztrip nach Ägypten und in die Vereinigten Arabischen Emirate ein paar Tage Politik in größerem Maßstab an.

Christian Kern: Auf Kreiskys Spuren in Nahost
Kern in Ägypten.

Es ist die zweite Nahost-Reise innerhalb eines Monats. Kurz nach Ostern absolvierte Kern einen Besuch in Israel und den Palästinensergebieten. Die Visite machte in Israel außergewöhnliche Schlagzeilen, weil der österreichische Kanzler als einziger ausländischer Regierungschef am Holocaust-Gedenktag im Land war. Es ist für die meisten Israelis der wichtigste Tag im Jahr: Im Gedenken an die Ermordung von sechs Millionen Juden steht das ganze Land für drei Minuten still.

Versucht Kern fünf Monate vor seiner ersten Wahl noch schnell auf den Spuren des großen Bruno Kreisky zu wandeln, oder bloß seinem neuen schwarzen Herausforderer Sebastian Kern auf dessen außenpolitischen Erfolgsparkett die Show zu stehlen? Fakt ist jedenfalls: Der letzte Kanzler, der die Vereinigten Arabischen Emirate besuchte, war in der Tat Bruno Kreisky; der letzte Regierungschef, der als Staatsgast Ägypten bereiste, Wolfgang Schüssel.

Ägypten ist derzeit für EU-Schlüsselländer wie Deutschland ein Hoffnungsträger, um in der verfahrenen EU-Flüchtlingspolitik ein Stück weiter zu kommen.

Das Land wird nach einem Militärputsch und dem Sturz der Herrschaft der Muslimbrüder (siehe Artikel unten) vom parteilosen General Abdel Fattah al-Sisi regiert. Al-Sisi ist es zwar gelungen, das Land zu stabilisieren. Der politische Preis ist aber hoch.

Mehr Repressionen

Der nach einer Verfassungsänderung 2014 gewählte Staatspräsident setzt massiv Justiz, Armee und Polizei ein, um das 90-Millionen-Einwohner-Land in den Griff zu bekommen.

Die Zivilgesellschaft, die einst gegen die Herrschaft der von Erdoğan gesteuerten Muslimbrüder mobil machte und auf al-Sisi setzte, ist ob der zunehmenden Repression enttäuscht: Es ist schlimmer als unter Hosni Mubarak, klagen viele.

Ägypten-Kenner fürchten, dass es "innerhalb der nächsten zwei, drei Jahre kracht" und ein offener Aufstand droht. Der Tourismus, eine der Haupteinnahmequellen des Landes, ist wegen der latenten Terrorangst noch immer am Boden. Die Sicherheitslage am Sinai bleibt prekär. Initiativen und Geld zur Verbesserung der Lage sind willkommen.

Als Flüchtlingszubringer-Land spielt Ägypten noch eine kleine Rolle. 97 Prozent der Flüchtlinge nehmen nach wie vor via Libyen Kurs auf Europa.

Die Ägypter haben sich in der EU einen guten Namen gemacht, weil sie die meisten außerhalb ihrer Hoheitsgewässer aufgegriffenen Flüchtlinge zurück nach Ägypten bringen. Deutschland brachte so wiederholt einen Flüchtlingsdeal mit Ägypten nach Vorbild der Türkei ins Spiel.

Kern hatte bei al-Sisi erstmals beim UNO-Gipfel im vergangenen September in New York für ein EU-Flüchtlingsabkommen mit Ägypten nach dem Vorbild des Türkei-Deals geworben.

Eine Kopie des Abkommens mit Erdoğan sei nicht zu erwarten, sagt der Kanzler nach seinem Gespräch mit dem ägyptischen Staatschef: "500.000 Flüchtlinge aufzunehmen, würde das Land überfordern und erst wieder den Terrorismus fördern."

Keine Boote mehr

Die EU nimmt erleichtert zur Kenntnis, dass seit dem Frühjahr dank strenger Kontrollen keine Flüchtlingsboote mehr von Ägypten aus Kurs auf Europa nehmen.

Christian Kern spricht beim gemeinsamen Auftritt mit al-Sisi "die Befriedung der politischen Kräfte in Libyen" denn auch als "Schlüssel zur Lösung der Flüchtlingsfrage" an. Nach dem Austausch von Höflichkeiten erinnert der Kanzler daran, dass er seine zwölfstündige Blitzvisite in Kairo heute mit einer Kranzniederlegung an jenem Ort begonnen hatte, wo 1981 al-Sisis Vorgänger Anwar al Sadat von Gegnern des ägyptisch-israelischen Friedensprozesses ermordet worden war.

Kern spannt dann einen großen Bogen von den 80er Jahren zur Jetztzeit, der den Eindruck bestätigt: Der SPÖ-Kanzler, der dieser Tage seinen ersten Jahrestag als Regierungschef beging, sucht in Sachen Nahostpolitik auf den Spuren eines seiner großen Vorgänger zu wandeln: "Anwar al Sadat und Bruno Kreisky haben eine besondere Beziehung gehabt. Mir ist es wichtig, dass wir an dieser gemeinsamen Geschichte wieder anknüpfen."

Am Ende geht es auch in Ägypten und ab heute am zweiten Tag der Nahost-Blitztour in Abu Dhabi um Wirtschaft. Hier hatte die OMV zuletzt einen Rückschlag bei einem Investitionsprojekt erlitten. Das ist ein Grund, so Kern, "warum wir da sind" – einmal mehr auf den Spuren von Bruno Kreisky.

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