Chaos in Traiskirchen: "Da steckt Absicht dahinter"
Die knapp 300 Meter Zaun direkt vor dem Lager Traiskirchen wirken trostlos. Am Vorplatz der ehemaligen Kaserne flattern lose Zeltplanen im Wind, es gibt kleinere Grüppchen von Zweimann-Zelten. Flüchtlinge sitzen auf dem Boden und wirken lethargisch. Es regnet.
Tröstlicher ist da, dass vor dem langen Zaun alle paar Minuten ein Auto anhält, vollbepackt mit Sachspenden. Kleidung, Waschzeug, Essen. Die Zivilgesellschaft hilft jeden Tag enorm.
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Helfen
"Nach dem Regen vergangene Nacht konnte ich nicht mehr anders, als hierher fahren und helfen", sagt eine ältere Dame, die mit einer Freundin zum ersten Mal vor dem Asyllager hält. Die vielen Jugendlichen stürmen sofort zu den Fahrzeugen. Sobald sich der Kofferraum öffnet, schnappen sie die Kisten und Säcke, die für sie liebevoll vorbereitet wurden. Nicht wenige Helfer erschrecken angesichts des kurzen Chaos. Das Einsammeln der Spenden ist fast die einzige Beschäftigung für die Jugendlichen. Einige wenige können nun auch für eine geringe Entlohnung außerhalb des Lagers Müll einsammeln.
Asylchaos
Seit Monaten ist das Lager Traiskirchen in den Medien, der Name mittlerweile Synonym für das Asylchaos. "Wir fragen uns auch, warum man hier nicht einmal das mit den Sachspenden besser organisieren kann", sagen die beiden Frauen. "Eine zentrale Annahmestelle ist nötig", befindet auch Neos-Klubchef Matthias Strolz, der am Montag vor Ort war.
Tor öffnen
"Ja, die Leute raufen hier um die Lebensmittel, das muss man sich einmal vorstellen", sagt Andi Babler. Der Bürgermeister von Traiskirchen , ein ausgewiesener Sozialdemokrat in Opposition zu seiner Parteispitze, ist sauer auf die hohe Politik, die seine Stadt schon so lange im Stich lässt.
"Soweit ich weiß, verhandelt die Caritas mit dem Innenministerium, damit zumindest ein Tor des Lagers geöffnet wird, um die Sachspenden entgegenzunehmen, zu sortieren und an die Bedürftigen weiterzugeben. Bisher sind die Gespräche aber ohne Erfolg. Das wäre schon wichtig, damit wir wenigstens auf der Straße vor dem Lager kein Chaos mehr haben."
Keine Lösung
Immerhin lobt Babler das neue Verfassungsgesetz, das für eine einfachere Verteilung der Flüchtlinge sorgen soll. Babler: "Die Aufteilung der Flüchtlinge auf säumige Länder löst unser Problem aber nur bedingt. Was fehlt, ist ausreichend Platz in den Erstaufnahmezentren wie hier. Nur so kann Traiskirchen entlastet werden. Da druckt sich die Politik aber herum, aus lauter Feigheit."
Rund 3000 Flüchtlinge weniger, das würde dem Lager helfen, sagt Babler. "Warum sollte die Quote (von 1,5 Prozent) nicht auch für Traiskirchen gelten?"
Wie erklärt er sich die trostlose Situation in seinem Ort? "Ich habe keine, außer, dass hier Absicht dahintersteckt, dass das absichtlich eskaliert wird. So ist das ja unzumutbar, für die Stadt und für die Flüchtlinge."
Wöchentlich suchen 1600 Menschen Zuflucht in Österreich. Das Innenministerium geht davon aus, dass bis Jahresende 80.000 Asyl begehren. Zum Vergleich: In Deutschland rechnet man heuer mit 750.000. Seit Langem mangelt es hierzulande an adäquaten Herbergen in den Bundesländern. Nun verschafft sich der Bund ein "Durchgriffsrecht". Dieses soll der "menschenwürdigen, gleichmäßigen, gerechten und solidarischen Unterbringung und Aufteilung von hilfs- und schutzbedürftigen Fremden" dienen. Der KURIER zeigt auf, was das bedeutet.
Warum ist ein Durchgriffsrecht des Bundes nötig?
Die Länder haben 2004 mit dem Bund vereinbart, eine bestimmte Anzahl von Plätzen für Flüchtlinge bereitzustellen. Es gibt eine Quote, die sich an der Einwohnerzahl orientiert: Niederösterreich hat 19,1 Prozent der Asylwerber zu beherbergen, das Burgenland 3,4 Prozent. Je mehr Flüchtlinge kommen, desto mehr Quartiere müssen nach diesem Prozentschlüssel geschaffen werden. Das Gros der Länder erfüllt die Vorgaben nicht. Nur Wien, Niederösterreich (wegen des Erstaufnahmezentrums Traiskirchen) und Vorarlberg sind nicht säumig. Schlusslicht ist das rot-blau regierte Burgenland.
Ab wann kann der Bund durchgreifen?
Das Verfassungsgesetz, das SPÖ, ÖVP und Grüne im September im Parlament beschließen werden, gilt ab 1. Oktober. Es ist zeitlich limitiert – mit Ende 2018.
Kann der Bund allerorts Quartiere errichten?
Nein. In jenen Ländern, die die vorgeschriebenen Plätze schaffen, kann er das nicht. In Ländern, die säumig sind, kann das Innenministerium Ersatzquartiere schaffen. 1,5 Prozent der Bevölkerungszahl eines Bezirkes gelten als Richtwert für die Plätze. Werden diese 1,5 Prozent unterschritten, kann der Bund einschreiten.
Gilt der 1,5-Prozent-Richtwert auch für die Gemeinden?
Ja, für Kommunen mit mehr als 2000 Einwohnern. Sollte eine Gemeinde die 1,5 Prozent nicht erfüllen, kann das durch den Zusammenschluss mit anderen Gemeinden ausgeglichen werden. Im Antrag zum Verfassungsgesetz steht: "Die Bundesregierung kann durch Verordnung einen höheren Gemeinderichtwert bestimmen." Wenn die 1,5 Prozent-Quote erfüllt ist und weiter Flüchtlinge kommen, kann die Quote erhöht werden. Ebenso kann sie der Bund senken. Derzeit liegt die Quote im österreichischen Schnitt bei 0,5 Prozent.
Was tut der Bund ab Herbst, wenn die Quote nicht erfüllt wird?
Das Innenministerium kann ohne Sanktus der lokalen Politiker Bundesgebäude als Asylquartiere adaptieren. Etwa eine Kaserne. Der Bund kann aber auch auf Grundstücken, die ihm gehören, Herbergen schaffen bzw. Grundstücke dafür pachten. Container können aufgestellt werden. Jedenfalls dürfen auf einem Grundstück "nicht mehr als 450 hilfs- und schutzbedürftige Fremde untergebracht werden", besagt das Gesetz. Die Kosten für diese Unterkünfte trägt der Bund.
Gelten Zelte bei der Quotenerfüllung?
Nein. "Nicht-winterfeste Unterkünfte" werden nicht eingerechnet. Im Gesetzestext heißt es: "Die Unterbringung umfasst jedenfalls angemessenen Wohnraum, einen Schlafplatz und ausreichende Sanitäranlagen."
Werden die Plätze in den Erstaufnahmezentren, damit auch jene in Traiskirchen, in die Quote eingerechnet?
Nein. Wirkte das geplante Gesetz bereits, würde Niederösterreich die Vorgaben des Bundes nicht mehr erfüllen.
Wer zahlt für die Versorgung der Flüchtlinge in den Quartieren, die der Bund bereitstellt?
Wie in der Grundversorgungsvereinbarung aus dem Jahr 2004 festgelegt, zahlen auch da Bund (60 Prozent) und Länder (40 Prozent).
Bleibt es bei den 19 Euro, die ein Quartiergeber pro Flüchtling bekommt?
Nein. Am 1. Oktober wird auf 20,5 Euro erhöht, am 1. Jänner 2016 auf 21 Euro.
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