Martin Engelberg: "Eine perfekte Bühne für Psychopathen"

Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer
Psychoanalytiker Martin Engelberg über den nicht enden wollenden Wahlkampf zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer.

Martin Engelberg ist Psychoanalytiker, geschäftsführender Gesellschafter der Vienna Consulting Group und Herausgeber des jüdischen Magazins NU. Im kurier.at-Interview betrachtet er den Wahlkampf aus psychoanalytischer Sicht und spricht über Foren als Bühne für Psychopathen, den Erkenntnisgewinn durch das unmoderierte Duell und den Erfolg Donald Trumps.

kurier.at: Der Wahlkampf dauert jetzt schon fast ein Jahr, niemand weiß mehr so wirklich, was man die Kandidaten noch fragen könnte, die Themen wiederholen sich – glauben Sie, dass diese Untergriffigkeit des Wahlkampfs eine Folge davon ist? Weil es einfach nichts mehr gibt, über das man noch reden könnte?

Martin Engelberg: Ich würde diese Aufregung gerne ein wenig relativieren. Wenn man sich die Plakate aus der Zwischenkriegszeit anschaut, die Untergriffigkeiten und Polemiken, die Angstmache – da ist der aktuelle Wahlkampf harmlos dagegen. Das waren allerdings weniger persönliche Angriffe, sondern eher klassenkämpferische. Aber auch die persönlichen Angriffe sind nichts Neues, ich erinnere an den Wahlkampf 1970 zwischen Josef Klaus von der ÖVP und Bruno Kreisky von der SPÖ. Der wurde von der ÖVP unter dem Motto „ein echter Österreicher“ geführt. Sehr subtil war die Message „Bitte wählt’s keinen Juden“ da auch nicht. Mich schreckt daher die aktuelle Situation nicht sehr.

Wobei, wenn Sie die Zwischenkriegszeit ansprechen: Da war der Wahlkampf wohl schon Vorzeichen für das, was danach kam.

Natürlich, aber mir fallen auch aus der Zeit nach dem Krieg zahlreiche Beispiele von „Rentenklau“ bis hin zu Bildern von Ratten ein. Dennoch gibt es aktuell neue Entwicklungen, vor allem die – oftmals auch noch anonymen – Foren. Das ist psychoanalytisch gesprochen eine perfekte Bühne für Psychopathen. Es gibt ja nichts Schöneres, als vor einer größeren Masse von Menschen aufzutreten, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen und es passiert einem nichts.

Das Problem ist, dass das Dirty Campaigning heute zum Standardrepertoire jedes Wahlkampfs gehört. Man kann einen Wahlkampf mit persönlichen Angriffen stark dominieren. Das ist leider zu erfolgreich, als dass die Politiker davon wieder lassen würden. Es ist leichter, einen Wahlkampf zu gewinnen, indem man seinen Gegner diffamiert und herabsetzt, als mit einem eigenen Programm zu werben.

Was über die Sozialen Medien und ihre Möglichkeiten noch einmal verstärkt wurde.

In den USA kamen angeblich bereits zwanzig Prozent aller Postings im Wahlkampf von Social Bots, also von Robotern, nicht mehr von Menschen. Es gab die Meldung, dass junge Menschen in einem Ort in Mazedonien begonnen haben, vollkommene Lügen über Clinton zu verbreiten und damit über Werbung Geld verdient haben. Das schwappt natürlich auch langsam alles auf Österreich über, aber wie gewohnt trifft uns nicht die große Tsunami-Welle, wir sind da eher unter den letzten Ausläufern.

Es geht ja, nachdem die politischen Dinge bereits abgehandelt sind, fast nur noch um die beiden Personen – bis hin zu ihren Haustieren. Kann man psychoanalytisch gesprochen aus der Kenntnis einer Person etwas ableiten über ihren Politikstil? Oder ist die reale Person nach NLP- und Medientrainings sowieso nicht mehr wirklich erkennbar?

Ich denke schon. Natürlich kann man durch Schulungen und Inszenierungen viel kaschieren, aber heute werden Politiker viel hautnaher erlebt mit all ihren Falten und Narben, den sichtbaren und den scheinbar unsichtbaren. Man sollte nicht unterschätzen, wie viel Bauchgefühl und Intuition die Menschen auch haben. Da bekommt man schon ein Bild von jemandem. Nehmen wir das Beispiel des Herrn Hofer, der sehr gut trainiert scheint, wo aber doch immer wieder mal etwas durchkommt. Der berühmteste Fauxpas war natürlich das „Sie werden sich noch wundern, was alles geht“. Das ist genau der Moment, wo die Emotion besteht und durchbricht, obwohl er weiß, dass er sie nicht zeigen darf.

Spannend sind also jene Momente, in denen die Kontrolle versagt.

Die psychoanalytische Arbeit ist ja eine, die möglichst wenig Struktur vorgibt. Um Unbewusstes besser an die Oberfläche kommen zu lassen. Man sagt, reden Sie möglichst frei, was ihnen gerade durch den Kopf geht. Wie wirksam das ist, hat sich bei der Auseinandersetzung ohne Moderator gezeigt. Davor sind wir alle nicht gefeit: In dem Moment, wo wir wenig Struktur haben, beginnen unsere persönlichen Dynamiken voll zu agieren. Das ist sehr schwer zu kontrollieren. So funktioniert die menschliche Psyche nun mal. Auch wenn es viele empört hat, ich fände es gut, so etwas wie dieses Duell öfter zu machen.

Ist das auch ein bisschen eine Erklärung für den Erfolg von Donald Trump, der sehr frei spricht, während Clinton immer sehr strukturiert gewirkt hat?

Unbedingt. Das macht einen Riesenunterschied. Was noch dazukommt: Man hatte bei Clinton immer das Gefühl, dass da eine Glaswand dazwischen und alles sehr aufgesetzt ist. Was dazugekommen ist, dass Trump viele Leute angesprochen hat in ihrem totalen Genervtsein gegenüber der political correctness. Was man sagen darf und was man nur denken darf. Das ist in Amerika noch viel schlimmer als hier. Auf den Unis gilt es als „micro aggression“, wenn man einen asiatischstämmigen Studenten fragt, ob er einem bei der Mathematik-Hausübung hilft, weil es das Vorurteil bestärkt, dass alle Asiaten gut in Mathematik sind. Das sind zum Teil Auswüchse, unter denen die Menschen wirklich leiden. Und dann kommt ein Trump und schert sich einen Dreck darum. Das war sehr befreiend für viele Leute.

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