Hilfsbereitschaft in Österreich nimmt ab

APA13094962-2 - 06062013 - GOLDWÖRTH - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT CI - Aufräumarbeiten nach dem Hochwasser in Goldwörth, Bezirk Urfahr-Umgebung, am Donnerstag, 06. Juni 2013. In den vom Hochwasser betroffenen Gebieten ist die Situation am Donnerstag stabil. APA-FOTO: RUBRA
Österreich fällt im jüngsten Europa-Vergleich aus der Spitzengruppe zurück. Große Skepsis herrscht gegenüber Zuwanderern.

Ein Freundschaftsdienst für den Nachbarn, eine Spendenaktion für Hochwasseropfer oder ehrenamtliches Engagement im Verein: Beispiele für gesellschaftlichen Zusammenhalt gibt es viele. Nun hat erstmals eine Studie auch wissenschaftlich erhoben, wie Österreich beim Thema da steht (Hintergründe zur Studie siehe unten).

Fazit: Laut der Studie der Bertelsmann Stiftung liegt Österreich im Vergleich mit Ländern der EU und der OECD im oberen Mittelfeld von 34 Ländern. „Je höher der soziale Zusammenhalt, desto höher ist auch das wahrgenommene Wohlbefinden im Land“ erklärt Stephan Voppel von der Bertelsmann Stiftung im KURIER-Gespräch. Überraschend ist jedoch, dass die Hilfsbereitschaft seit 2009 in Österreich abgenommen hat. Hier fiel das Land aus der Spitzengruppe ins obere Mittelfeld zurück. Abgefragt wurden etwa Spendenbereitschaft oder Ehrenamt. Der Trend gehe dahin, dass der Staat mehr Verantwortung übernehmen solle, sagt Voppel.

Besonders gut liege Österreich im internationalen Vergleich hingegen bei der Akzeptanz von sozialen Regeln. Hoch ist auch das Vertrauen in Institutionen. Und im Unterschied zu den Deutschen hätten die Österreicher auch „kein Problem bei der Identifikation mit ihrem Land.“

Hilfsbereitschaft in Österreich nimmt ab

Skepsis bei Migranten

Sehr wohl ein Problem haben die Österreicher aber bei der Akzeptanz von Vielfalt: „Hier liegt Österreich in der vorletzten Länder-Gruppe.“ Bei der Auswertung von bestehenden Studien schnitt Österreich sowohl beim Umgang mit Migranten als auch bei der Akzeptanz von Homosexuellen überdurchschnittlich schlecht ab. Voppel: „In beiden Bereichen hat Österreich Aufholbedarf.“

Tief sitzende Vorurteile ortet der Bertelsmann-Direktor. Die würden auch von politischen Parteien bedient. Dass Kinder von Migranten dank Geburt in Österreich als Staatsbürger anerkannt werde, setze sich „erst sehr langsam durch“. Vorbilder seien die Länder Skandinaviens. Der Politik rät Voppel zu einer „aktiven Anti-Diskriminierungspolitik“ sowie einer gesteuerten Zuwanderung.

Entgegen der allgemeinen Annahme wirke sich ein hoher Migrantenanteil nicht auf den sozialen Zusammenhalt aus. Lokale Ausnahmen seien zwar nicht ausgeschlossen, sagt Voppel; entscheidender seien aber das Bruttoinlandsprodukt (je höher, desto besser) und die Verteilungsgerechtigkeit.

In den skandinavischen Ländern ist der gesellschaftliche Zusammenhalt laut der Studie der Bertelsmann-Stiftung am stärksten. Österreich liegt im Mittelfeld der 34 untersuchten Länder auf Platz 13. Problematisch ist hierzulande der Umgang mit Diversitäten. International gesehen mangelhaft ist der Zusammenhalt besonders in den baltischen Staaten Litauen und Lettland sowie in den südosteuropäischen Ländern Bulgarien, Griechenland und Rumänien welche die Schlusslichter im Ländervergleich bilden.

Gesellschaftlicher Zusammenhalt ist definiert als Qualität des gemeinschaftlichen Miteinanders. Ein Forscherteam der Universität Bremen hat die Entwicklung von 1989 bis heute in allen EU-Staaten (vor dem Beitritt Kroatiens) sowie in den OECD-Nationen Australien, Israel, Kanada, Neuseeland, Norwegen, Schweiz und den USA untersucht. Als gute Rahmenbedingungen für einen starken Zusammenhalt nannten die Wissenschafter vor allem Wohlstand, eine ausgeglichene Einkommensverteilung und der Aspekt des technologischen Fortschritts hin zur Wissensgesellschaft. Für Globalisierung und Einwanderung hingegen gibt es keinen statistisch belegbaren negativen Einfluss auf den Zusammenhalt eines Landes, so ein Fazit der Untersuchung.

"Moderne Gesellschaften beruhen auf Solidarität"

"Moderne Gesellschaften beruhen nicht auf Solidarität, die aus Ähnlichkeit erwächst, sondern auf Solidarität, die auf Verschiedenheit und gegenseitiger Abhängigkeit fußt", erklärte Stephan Vopel, Programmleiter der Bertelsmann Stiftung. "Deshalb benötigen moderne Gesellschaften einen inklusiven gesellschaftlichen Zusammenhalt, der die Pluralität der Lebensentwürfe und Identitäten nicht nur als gegeben hinnimmt, sondern als Stärke zu begreifen sucht."

Das Gesamtergebnis der Untersuchung setzt sich aus den Ergebnissen von drei Teilbereichen - soziale Beziehungen, Verbundenheit und Gemeinwohlorientierung - zusammen. Diese wurden in insgesamt neun Dimensionen aufgeteilt: Soziale Netze, Vertrauen in Mitmenschen, Akzeptanz von Diversitäten, Identifikation, Vertrauen in Institutionen, Gerechtigkeitsempfinden, Solidarität und Hilfsbereitschaft, Anerkennung sozialer Regeln sowie gesellschaftliche Teilhabe. Basis der Arbeit "Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt" sind international vergleichende Befragungsstudien und Experteneinschätzungen.

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