Bald Grenzen dicht für Job-Migranten?

EU-Gastarbeiter: Streit über Zugangsstopp spitzt sich zu.
Die Debatte um strengere Regeln für EU-Gastarbeiter verschärft sich.

Der Streit um einen Zugangsstopp für Arbeitsmigranten aus dem – vor allem osteuropäischen – EU-Ausland spitzt sich zu, innenpolitisch wie außenpolitisch.

Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto bezeichnet die diesbezüglichen Überlegungen aus Österreich im Interview mit dem KURIER als "verrückt" (siehe auch unten).

Innerhalb der Koalition sorgen die jüngsten Vorschläge von Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl für Aufregung: Niessl hatte im KURIER gefordert, die europaweite Personenfreizügigkeit einzuschränken – mittels EU-Notfallsklausel für den Arbeitsmarkt. Gelten solle das, so Niessl, für Bereiche, "in denen die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist". Als Beispiele nannte er das "Bau- und Baunebengewerbe".

Der Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Kapsch, erteilt Niessls Ansinnen eine Absage: Die Einschränkung der Freizügigkeit von Arbeitskräften wäre "demokratiepolitisch gefährlich und in Wahrheit nichts anderes als ein Ablenkmanöver von den wahren Problemen, die wir haben", sagte Kapsch in der ORF-Pressestunde.

Absage von Mitterlehner

Im Büro von ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner hieß es am Sonntag auf KURIER-Anfrage, Niessls Pläne widersprächen EU-Recht, "weil weil es sich bei der Personenfreizügigkeit um eine der Grundfreiheiten in der Europäischen Union handelt. Eine Änderung würde erstens die Zustimmung aller 28 EU-Länder erfordern und zweitens auch Österreicher treffen, die im Ausland arbeiten".

Im Wirtschaftsministerium verweist man zudem darauf, dass Österreich – Stichwort: Baugewerbe – "schon jetzt das strengste Anti-Lohn-und Sozialdumpinggesetz Europas" habe. Allerdings könnten Strafen im Ausland oft nicht vollstreckt werden; hier müsse das Sozialministerium aktiv werden.

Bald Grenzen dicht für Job-Migranten?
Minister Alois Stoiger, LH Hans Niessl

Auch Stöger skeptisch

Ähnlich wie Mitterlehner äußert sich Sozialminister Alois Stöger (SPÖ): Im Gespräch mit dem KURIER äußert er zwar Verständnis für die Ansicht, die Niessl als Landeschef des besonders betroffenen Burgenlands äußert. Aber, so Stöger: "Als Sozialminister habe ich auch die rechtlichen Möglichkeiten im Auge zu behalten." Und die seien – Stichwort: EU-Verträge – beschränkt. Daher will Stöger die Sache anders angehen: Die grenzüberschreitende Entsendung von Arbeitskräften soll eingeschränkt werden.

Österreich heiße Flüchtlinge willkommen und arbeitswillige EU-Bürger aus Ungarn nicht, für den ungarischen Außenminister eine unverständliche Haltung. Warum außerdem „Migranten“ in vielen ost-mitteleuropäischen Ländern grundsätzlich unerwünscht sind, dazu nimmt Ungarns Außenminister Peter Szijjarto im KURIER-Interview Stellung.

Bald Grenzen dicht für Job-Migranten?
Peter_SZIJJARTO, Minister of Foreign Affairs and Trade of Hungary is interviewed by Ingid_STEINER-GASHI for the Kurier in Budapest.
KURIER:Der Papst hat Donald Trump kritisiert, weil er eine neue Grenzmauer zum Schutz der USA bauen will. Muss nun auch Ungarn, das von allen EU-Staaten am meisten Grenzzäune errichtet hat, den Tadel des Papstes fürchten?
Peter Szijjarto:Die Mauer zwischen den USA und Mexiko, die gibt es ja schon. Als wir uns entschieden haben, die grüne Grenze abzuriegeln, um das Schengensystem aufrecht zu erhalten, haben wir uns die Vorgehensweise in den USA angesehen. Aber als überzeugter Katholik hoffe ich natürlich, dass wir uns nicht die Kritik des Papstes zuziehen.

Mit wie vielen Flüchtlingen rechnet Ungarn heuer?
Wir wollen alle illegalen Grenzübertritte verhindern und versichern: Durch das Territorium Ungarns werden heuer keine Migranten nach Österreich oder Deutschland kommen. Und das, obwohl der Druck heuer viel großer sein wird, weil sich die Fluchtursachen in Syrien noch verschlimmern werden.

Wie will Ungarn erreichen, dass keine Flüchtlinge kommen?
Wir haben die grüne Grenze geschlossen – nicht die offiziellen Grenzübergänge, das ist nicht das gleiche. Und wenn Leute sagen, dass es schlecht ist, die grüne Grenze zu schließen, sagen sie auch: Es ist schlecht, dass wir für unsere Sicherheit sorgen. Aber es war unsere Pflicht. Die Schengen-Regeln besagen genau, welche Aufgaben die Mitgliedsstaaten erfüllen müssen. Und eine davon ist: Die Leute dürfen nur über die offiziellen Grenzübergänge kommen.

In der EU gibt es keine Einigkeit, wie die Flüchtlingsströme gebremst werden können. Die einen wollen Grenzen schließen, die anderen reduziert Flüchtlinge aufnahmen und sie auf die EUStaaten verteilen. Warum ist für Ungarn der Kurs Merkels unannehmbar?
Wir respektieren die Entscheidung der deutschen Kanzlerin, wir respektieren auch die Entscheidungen der anderen Mitgliedsländer, aber gleichzeitig erwarten wir auch, dass unsere Entscheidungen respektiert werden. Denn wir denken, dass diese Massenmigration Europa schadet, dass sie Europa schwächt. Sie vergrößert die Terrorgefahr in Europa. Warum sollen wir ein Stück dieser Bürde tragen, an der wir nicht schuld sind? Die europäischen Forderungen, wonach es notwendig sei, die äußeren EU-Grenzen zu schützen, frustrieren uns. Schön und gut - aber nichts passiert. Und wenn wir dann Maßnahmen setzen, diese Grenzen zu sichern, werden wir kritisiert. Das sind doppelte Standards und Heuchelei.

Sieht man sich in Ungarn nun bestätigt, nachdem auch Österreich seine Grenzen undurchlässiger macht und seine Flüchtlingspolitik viel restriktiver gestaltet?
Es geht nicht darum, zufrieden zu sein, dass wir auf der richtigen Seite waren. Ich denke, es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die Zukunft Europas auf dem Spiel steht angesichts der Frage: Können wir die Migration stoppen oder nicht? Das macht uns also nicht glücklich, wenn Länder nach einem halben Jahr oder Jahr beginnen, so zu denken wie wir. Obwohl ich mich erinnere dass Kanzler Faymann sagte, die ungarische Vorgehensweise erinnere ihn an die „dunkelste Zeit unseres Kontinents“. Das ist keine Art, wie sich ein europäischer Kanzler benehmen sollte.

Wenn die Grenze zu Mazedonien zugeht, werden in Griechenland Tausende Flüchtlinge festsitzen.
Ich glaube, es wird andere Folgen haben. Derzeit haben die Migranten kein größeres Risiko, sobald sie Griechenland erreicht haben. Von dort an werden sie von einer Grenze zur nächsten gebracht, und dann sind sie irgendwann in Österreich oder Deutschland. Aber wenn die Leute verstehen, dass die Grenze und die grüne Grenze zwischen Mazedonien und Griechenland oder zwischen Bulgarien und Griechenland geschlossen sind, gibt es für sie ein großes Risiko. Ein großer Teil von ihnen wird sich dann nicht mehr auf den Weg machen.

Muss Merkel sich öffentlich von der Willkommenskultur lossagen?
Es wäre sehr unangebracht, wenn ich der deutschen Kanzlerin sagen würde, was sie zu tun hat. Aber je mehr Faktoren wir haben, die die Flüchtlinge abhalten, sei es in Aussagen oder Taten, umso leichter können wir den Strom stoppen.

Warum akzeptiert Ungarn die Quote bei der Aufteilung von Flüchtlingen nicht?
Erstens bricht sie nach unserem Verständnis die europäischen Gesetze, es nimmt den Ländern einen Teil ihrer Souveränität. Zweitens widerspricht sie dem allgemeinen Menschenverstand, denn das kann als Motivationsfaktor verstanden werden. Die Flüchtlinge könnten sich bestätigt sehen, zu gehen: „Ah, es gibt eine Quote, dann werde ich auch einen Platz finden und mich auf den Weg machen.“ Drittens ist es undurchführbar. Rund 1600 Syrer sollen nach der EU-Quote nach Ungarn umgesiedelt werden. Wer garantiert, dass sie überhaupt da bleiben? Am nächsten Tag sind sie weg.

Nach Kanzler Faymann fordert nun auch Italiens Premier Renzi: Kürzungen von EU-Geldern für Staaten, die sich gegen die Aufteilung der Flüchtlingsquote querlegen.
Diese Art zu denken weise ich vollkommen zurück. Migration und EU-Fördergelder haben nichts miteinander zu tun. Das ist wie, wenn der Vater zum Sohn sagt: Wenn du dich nicht benimmst, kriegst du heute kein Eis – so etwas ist kein europäisches Konzept des 21. Jahrhunderts.

Wo liegt die Lösung?
In drei Ansätzen. Erstens: echter Schutz der EU-Außengrenzen: Zweitens: Hilfe für die Nachbarstaaten Syriens, die Millionen Flüchtlinge aufgenommen haben. Diese müssen so nahe bei Syrien bleiben, wie möglich. Denn wenn sie einmal nach Europ kommen, werden sie nie wieder heimgehen. Drittens: Die EU gibt Milliarden für die Entwicklungsförderung der ärmsten Länder aus. Wir sollten diese Förderung an Bedingungen knüpfen: Ihr kriegt das Geld, aber macht Reformen, verbessert die Lebensbedingungen in Euren Ländern, so dass die Leute nicht alle auswandern müssen.

Wie werden in Ungarn die jüngst in Österreich zu hörenden Rufe aufgenommen, die Personenfreizügigkeit gegenüber Arbeitern aus Osteuropa einzuschränken?
Ich bin sehr überrascht, dass es darüber überhaupt eine Diskussion gibt. Eine der großen Errungenschaft der EU ist die Arbeits- und Personenfreizügigkeit. Eine offizielle Figur in Österreich (AK-Direktor Werner Muhm, Anmkg.) sagt, dass Ungarn nicht in Österreich arbeiten sollen – und das, nachdem Kanzler Faymann noch vor ein paar Monaten vom freien Fluss für alle Art von Leuten gesprochen hat. Das ist aus unserer Perspektive sehr problematisch.

Aus Ihrer Sicht versteht man das also so: Österreich sagt ja zu Flüchtlingen, aber nein zu EU-Bürgern?
Ja, so wurde das hier in Ungarn verstanden. Wir sind darüber verwundert.

Aus Budapest: Ingrid Steiner-Gashi

Die Fakten sind eindeutig: Ja, der Anstieg der Arbeitslosigkeit in Österreich hat auch mit der vollständigen Ost-Öffnung des Arbeitsmarktes zu tun. Wien trifft es durch seine exponierte Lage besonders hart. Schlecht qualifizierte Arbeitskräfte, viele von ihnen selbst Zuwanderer früherer Jahre, werden nicht mehr gebraucht, weil ihre Jobs jetzt andere, viel billiger erledigen. Das AMS bleibt zunehmend auf den Hilfskräften sitzen. Im Jänner 2010 waren in Wien 30 Prozent aller Arbeitslosen Nicht-Österreicher, aktuell sind es 41 Prozent. Die Ausländerbeschäftigung stieg im selben Zeitraum von 21 auf 28 Prozent.

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit? Theoretisch Gesetz, in der Praxis ein Mythos. Zu glauben, das unterschiedliche Lohnniveau mit den ost-europäischen Staaten werde sich schon bald angleichen, erwies sich als naiv. Wenn ein Handwerker-Stundenlohn in Ungarn nach wie vor bei drei Euro liegt und in Österreich bei 13 Euro, kann von einem fairen Wettbewerb auf dem grenzenlosen Arbeitsmarkt keine Rede sein.

Wer jetzt vorschnell nach Grenzbalken ruft, muss wissen, dass die überwiegende Mehrheit der EU-"Gastarbeiter" Nettozahler ins Sozialsystem sind, also mehr Abgaben zahlen als sie an Leistungen beziehen. Und die meisten sind hoch willkommen, man denke nur an Tausende Pflegerinnen aus der Slowakei und Rumänien, ohne die die 24-Stunden-Betreuung kollabieren würde.

Was also tun? Eine ehrliche, auf Fakten statt Mythen basierende Debatte ohne ideologische Scheuklappen führen. Und als konkrete Maßnahmen Lohn- und Sozialdumping noch energischer bekämpfen sowie bei öffentlichen Ausschreibungen den Best- statt Billigstbieter nehmen. - Anita Staudacher

Kommentare