Asyl-Befragung in Ungarn: Kurz warnt vor falscher Interpretation

Asyl-Befragung in Ungarn: Kurz warnt vor falscher Interpretation
Außenminister Kurz kritisierte abermals die deutsche Flüchtlingspolitik - und sieht Orbans Volksabstimmungsfiasko kritisch.

Auf dem Wiener Flüchtlingsgipfel war Sebastian Kurz erst gar nicht dabei, sein letzter Vorschlag zum Thema („Ein-Euro-Jobs“) ist auch schon wieder einige Wochen her. Fast hätte man den Eindruck gewinnen können, der Außenminister überlässt in der Flüchtlingsfrage dem Bundeskanzler das Feld. Fast.

Eine Woche, nachdem Kern mit dem von ihm organisierten Flüchtlingsgipfel die Schlagzeilen auch in Deutschland beherrschte, legte der Außenminister in einer Reihe von Medienauftritten im Nachbarland – und scharfer Kritik in Richtung Kanzlerin Merkel – nach. "Diese Politik ist falsch", kritisierte Kurz die Ankündigung der deutschen Bundesregierung, künftig monatlich mehrere Hundert Migranten jeweils aus Italien nach Griechenland zu holen." Das Ziel ist offenbar, die beiden südeuropäischen Staaten zu entlasten", sagte Kurz in einem Interview mit der Welt am Sonntag. Aber eine solche Politik werde leider das Gegenteil erreichen. So lange man das Gefühl gebe, dass es sich lohne, nach Italien und Griechenland zu kommen, weil man letztlich in Deutschland lande, "löst man weitere Flüchtlingsströme aus".

"Ösi-Minister giftet gegen Merkels Politik"

In der ARD-Diskussionssendung Anne Will legte Kurz am Sonntagabend nach. "Viele Staaten sind nicht glücklich mit der Politik, die gerade gemacht wird", sagte der Außenminister. Viele Staaten hätten das Gefühl, dass einige wenige mitteleuropäische Staaten anderen ihre Politik aufzwingen würden. "Es ist gefährlich, wenn einige Staaten den Eindruck erwecken, anderen moralisch überlegen zu sein."

Das Echo in Deutschlands Medien ist entsprechend. "Ösi-Minister giftet gegen Merkels Politik", schreibt Bild.de am Montag.

Laut Focus online nutzte Kurz die Runde bei Anne Will, um sich darzustellen und christliche Werte hochzuhalten.

Eingeladen war Kurz, um zum Thema "Ungarn will keine Muslime – Wird Islamfeindlichkeit in Europa salonfähig?" die Ergebnisse von Orbáns Asyl-Referendum zu diskutieren.

EU-Beitritt hatte weniger Zustimmung

Dabei warnte Kurz vor einer falschen Interpretation des Volksabstimmungsfiaskos, das wegen einer zu geringen Beteiligung für ungültig erklärt werden musste. Bei dem Referendum hatten lediglich 39,9 Porzent der Ungarn ihre Stimme abgegeben. Das sei jedoch noch immer mehr, als bei der letzten Wahl zum Europaparlament, als man in Ungarn nur eine Wahlbeteiligung von 29 Prozent verzeichnet habe, sagte Kurz bei Anne Will.

Kurz zeigte sich belustigt darüber, dass nun "ganz Europa" darüber diskutiere, wie viele Menschen sich an dem ungarischen Referendum beteiligt hätten, statt der Frage nachzugehen, "wie viel Prozent eigentlich für was gestimmt haben". Zwar könne man das Referendumsergebnis "in jegliche Richtung interpretieren". Aber: "Man sollte nicht den Fehler machen, es so zu interpretieren, dass man sagt, die Ungarn wollen mehr Migranten aufnehmen. Das, glaube ich, wäre eine etwas falsche Interpretation."

Der Bundesvorsitzende der deutschen Grünen, Cem Özdemir, stimmte in der Diskussionssendung mit vielem, was Kurz sagte überein, übte aber auch Kritik: Laut Özdemir würden demokratische Parteien in vielen EU-Staaten "die Agenda der Rechten zum Teil kopieren". Und weiter: "Der Versuch die Rechten klein zu machen, indem man die Rechten in Taschenbuchausgabe kopiert, führt am Ende dazu, dass die Rechten am Ende noch mehr legitimiert werden, weil sie den Eindruck haben, es wirkt, die anderen reden doch auch so."

FPÖ: "Klares Votum gegen die Zwangsverteilungspolitik"

Ähnlich wie Kurz argumentierte später FPÖ-Europaabgeordneter Harald Vilimsky. "Das Referendum für den EU-Beitritt Ungarns im Jahr 2003 kam mit 45,6 Prozent auf eine fast gleich hohe Beteiligung - und niemand wäre bis heute auf die Idee gekommen, die EU-Mitgliedschaft Ungarns in Zweifel zu ziehen", schrieb Vilimsky am Montag in einer Aussendung. Auch er verwies auf die niedrige ungarische Europawahl-Beteiligung. "Auch wenn das Referendum formal nicht gültig ist, so haben die Ungarn doch beeindruckend klar gegen die Zwangsverteilungspolitik von Zuwanderern in der EU votiert", betonte der FPÖ-Generalsekretär.

Karas: "Mehrheit erteilte klare Absage"

Erleichtert zeigten sich mehrere Europaabgeordnete über den Ausgang des Flüchtlingsreferendums in Ungarn, das wegen zu geringer Beteiligung ungültig ist. "Die Mehrheit der Ungarn haben der Flüchtlingspolitik von Viktor Orban eine Absage erteilt", erklärte ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas. (Weitere Reaktionen von EU-Abgeordneten finden Sie hier)

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban ist am Sonntag mit seinem Plan gescheitert, sich vom Volk Rückendeckung für sein Nein zur europäisch verordneten Aufnahme von Flüchtlingen zu holen. Nach einer einseitigen Referendumskampagne beantworteten zwar 98,4 Prozent der Teilnehmer des Votums die Suggestivfrage Orbans mit Nein. Trotz des ungültigen Ergebnisses will Orban eine Verfassungsänderung vorschlagen, die "den Willen des Volkes widerspiegelt". Weitere Details finden Sie hier.

EU-Verteilung laut Kern derzeit nicht möglich

SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern erwartet durch das gescheiterte ungarische Anti-Flüchtlings-Referendum vorerst keine gravierenden Änderungen in der europäischen Flüchtlingspolitik. "Der Ausgang des Referendums in Ungarn wird die Spielaufstellung nicht ändern", sagte Kern am Montag. Ähnlich wie Kurz ist auch Kern der Meinung, dass eine Quotenverteilung von Flüchtlingen innerhalb Europas derzeit nicht möglich ist. "Wir wissen, dass wir die Verteilung der Flüchtlinge jetzt nicht durchsetzen können", sagte Kern mit Blick auf die Visegrad-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn, die in Sachen Flüchtlinge eine restriktive Politik vertreten.

Laut Kern müsse man sich weiter auf Grenzschutz, Hilfe in den Krisengebieten und Abkommen mit nordafrikanischen Staaten konzentrieren. Würden diese Probleme gelöst, würden sich auch die Visegrad-Staaten wieder stärker in die Lastenaufteilung einklinken, zeigte sich der Kanzler überzeugt.

Zugleich übte Kern Kritik an der Haltung der osteuropäischen Staaten, die innerhalb der EU zu den Netto-Empfängern zählen. Polen bekomme etwa jährlich 17 Milliarden Euro Netto von der EU. "Da ist die Antwort, aber mit Flüchtlingen belästigt ihr uns nicht, auf Dauer nicht befriedigend. Solidarität ist keine Einbahnstraße."

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