Analyse: Auf dem Weg in die "blaue" Polizei
Ende November besucht ein zunächst mysteriöser Mann mehrere Spitzenbeamte des Innenministeriums. Er erklärt, dass er der künftige Kabinettschef oder Generalsekretär sein werde. Er berichtet auch, dass Heinz-Christian Strache nicht – wie damals alle vermuten – der neue Minister werden würde. Mehrere Beamte schildern diesen Besuch schon wenige Tage später dem KURIER, den Namen des Mannes will vorerst niemand kundtun. Kurz darauf ist klar: Es handelt sich um Peter Goldgruber (57) – er sorgte schon zu Beginn für Angst in einem der wichtigsten Ressorts des Landes.
Innerhalb weniger Wochen ist der nunmehrige Generalsekretär zum heimlichen Innenminister aufgestiegen. Fast das gesamte Kabinett von Herbert Kickl besteht aus Goldgrubers Vertrauensleuten. Der Jurist löste auch die Causa um den Verfassungsschutz aus – erst der Beginn eines größeren Umbaus, wie viele innerhalb der Exekutive vermuten.
Wer verstehen will, wie die neue "blaue" Polizei am Ende ausschauen wird, muss bis in die 90er-Jahre zurückblicken: Goldgruber ist zunächst Lehrer für angehende Polizisten und absolviert nebenbei ein Jusstudium – im Gegensatz zu manchen FH-Ausbildungen in der Polizei heute war das damals noch eine mächtige Leistung. 1995 wird Goldgruber zunächst Sicherheitsreferent in der Donaustadt. In diese Zeit fällt der AufstiegJörg Haiders, und der einst eher sozialdemokratisch orientierte Goldgruber wechselt offenbar gesinnungsmäßig zur FPÖ.
Freie Gewerkschaft mitbegründet
Er ist Gründungsmitglied der freien Exekutivgewerkschaft, die später als AUF bekannt wird. 1999 wird Goldgruber Leiter des Büros für interne Ermittlungen und lernt spätestens dort, wie man gegen Kollegen vorgeht. Gleichzeitig fungiert der angesehene Jurist als Berater der Wiener Stadt-FPÖ.
Ein damaliger Wegbegleiter charakterisiert Goldgruber so: "Wenn wir als Vorgesetzte im Auto fahren und einen Kollegen sehen, der zu schnell fährt, dann gehen wir zu dem hin und sagen ihm: Fahr’ bitte künftig etwas langsamer. Goldgruber hätte einfach einen Strafzettel geschrieben."
Aufstieg eines Asketen
In den Nuller-Jahren beginnt Goldgrubers Aufstieg. Obwohl von Wegbegleitern stets als schwieriger Mensch beschrieben, der niemandem vertraut, wird er als künftiger Polizeipräsident gehandelt. Der Asket – laut seinem Umfeld trinkt er keinen Alkohol, raucht nicht und isst kein Fleisch – gründet einen Polizeijuristen-Verein.
Etwa in dieser Zeit dürfte sein Konflikt mit einigen Polizei-Offizieren begonnen haben, manche beschreiben ihn wenig charmant als "Offiziershasser". Ganz unbegründet wäre das jedenfalls nicht, so mancher arbeitete tatsächlich im Verborgenen gegen ihn.
Goldgruber wird Teil der Wiener Expertengruppe, die rund um 2004 InnenministerErnst Strassers Reform umsetzt. Damals wurden Polizei und Gendarmerie fusioniert. Es beginnt der Streit zwischen "Theoretikern" und "Praktikern", sprich: Bei der Polizei leiten Juristen die Amtshandlung und die Offiziere müssen ihnen folgen. Im Gegensatz dazu ist die Gendarmerie militärisch aufgebaut, Juristen spielen dort keine so wichtige Rolle. Dass sich das Modell der Gendarmerie durchsetzt, dürfte Goldgruber wohl kaum gefallen haben.
Dennoch steht er im Jahr 2008 vor der Krönung seiner Laufbahn: Er wird als Favorit für den Job des Wiener Polizeipräsidenten gehandelt. Seine Rivalen Ernst Geiger und Roland Horngacher werden im Zuge einer internen Anzeigenflut gegen Spitzenkräfte aus dem Rennen genommen. Doch nicht der – auch von so manchem SPÖ-Mann – erhoffte Goldgruber erhält den Job, sondern der relativ unbekannte Gerhard Pürstl.
Seit damals hat Goldgruber einige Rechnungen mit der Wiener Polizei offen, meinen Spitzenbeamte. Nach der "Säuberung" im Umfeld des Innenministeriums rechnen viele, dass es in Wien ernst werden wird.
Juristen an die Macht
Als Goldgruber im vergangenen Dezember als Generalsekretär präsentiert wird, finden sich seine Vertrauten im Kabinett: Neben seinen ehemaligen AUF-Kollegen, wie Albert Schmiedt, finden hier vor allem – wenig überraschend – Juristen aus Wien einen Platz: Ewald Ebner, einst Diebstahlreferent im Sicherheitsbüro, oder Udo Lett, zuvor Referent im Wiener Landesamt für Verfassungsschutz (LVT). Der Umbau der Exekutive wird also von Juristen durchgeführt und es gilt als wahrscheinlich, dass die neue, blaue Exekutive ein wenig so ausschaut wie die alte Wiener Polizei.
Doch zunächst muss die alte Garde entfernt werden.Vor Weihnachten berichtet der KURIER, dass auf der Liste der Ablösekandidaten zwei Namen ganz oben stehen:Der nun suspendierte BVT-ChefPeter Gridlingund PräsidialchefMichael Kloibmüller. Eingeweihte behaupten damals, dass das Kabinett über die Weihnachtsfeiertage zu einer Klausur zusammenkommt und berät, wie die Polizei umgebaut wird. Dabei wird laut Insidern auch besprochen, wie und ob kritische Medien von Informationen ferngehalten werden können.
Dass die Causa BVT am 16. Jänner, wenige Tage nach den Weihnachtsferien, plötzlich neuen Schwung bekommt, könnte kein Zufall gewesen sein. Es wirkt, als ob Goldgruber dem BVT einen seiner "Strafzettel" ausstellen wollte. Ob zurecht oder nicht, muss noch geklärt werden.
Unterschätzte Folgen
Tatsächlich werden zunächst vor allem die kleinen Beamten in der Affäre belastet. Gridling wird quasi nur als "Nebenbeschuldigter" geführt. "Offenbar dachte man im Kabinett, dass das rasch ausgestanden sein wird", vermutet ein Ministeriumskenner. Zunächst stand ja keine Führungskraft wirklich im Mittelpunkt der Causa.
Der KURIER-Bericht am 4. März über die drohende "Staatsaffäre" sorgte aber für einen Paukenschlag, in der Woche darauf recherchieren weitere Medien. Dass dabei mögliche Fehlinformationen verbreitet wurden, brachte den peniblen Juristen Goldgruber auf. Die Folge war eine Aussendung des Ministeriums, in der im Stil von US-Präsident Donald Trump von "Fake News" die Rede ist. So emotional geht Goldgruber auch in den eigenen Reihen vor – er leitet Ermittlungen ein, wenn etwas aus seiner Sicht nicht korrekt lief.
Dass der Verfassungsschutz reformiert gehört, bestreitet innerhalb der Exekutive kaum jemand. Viele ehemalige hochrangige Ministeriumsmitarbeiter berichten, dass ein Umbau schon mehrfach angedacht worden sei. Der Verfassungsschutz ist kein richtiger Geheimdienst mit ausreichenden Befugnissen.
Mit einem dezenteren Vorgehen hätte sich die FPÖ einige neue Freunde machen können, glauben viele. Erfahrene Politbeobachter meinen, daran sehe man, dass den Blauen (noch) die Fähigkeit zum Regieren fehle. Oder wie es Wiens Bürgermeister Michael Häupl formulierte: "Einen Behördenleiter kann man anders austauschen."
Ablösen und dünne FP-Personaldecke
Die laufende Gridling-Demontage ist wohl nicht das Ende.Kloibmüller verließ bereits das Ministeriumals Folge der Razzia. Den Chef des Bundeskriminalamts,Franz Lang, wird man leicht los, da sein Vertrag im Juni ausläuft – und nicht verlängert wird.Schwieriger wird es beim Chef der Sondereinheiten,Bernhard Treibenreif, der als Ablösekandidat genannt wird. Denn der 52-Jährige hat quasi einen Vertrag auf Lebenszeit.
Die Generaldirektorin für die Öffentliche Sicherheit, Michaela Kardeis, startete ihre fünfjährige Amtszeit erst im Sommer, ihr Verbleib ist derzeit wie bei anderen erfahrenen Spitzenbeamten noch ungewiss.
Das Problem vorerst ist die Nachbesetzung der Posten. Als einziger verbliebener Goldgruber-Vertrauter wirdMichael Lepuschitz, einst Stadthauptmann in Wien-Favoriten und Schrecken vieler Kriminalbeamter, genannt. Dieser sollte als neuer Landesvizepolizeipräsident (und Nachfolger des nunmehrigen VP-Polizeisprechers Karl Mahrer) in Wien für "Ordnung" sorgen. Aber nun ist er als möglicher Kloibmüller-Nachfolger im Gespräch.
Aus rot wird blau
Da die FPÖ den VP-nahen Beamten misstraut, werden vor allem SPÖ-Überläufer gesucht. So mancher hat sein "sozialdemokratisches Herz" schon vergessen und kürzlich ein neues "blaues Herz" entdeckt.
Wie weit eine mögliche Strukturreform geht, ist noch unklar. Außer Imageprojekten (berittene Polizei) oder der von vielen als wenig sinnvoll erachteten neuen Grenzpolizei ist wenig bekannt. Eine medial kolportierte Zusammenlegung von BVT und Bundeskriminalamt wird es wohl nicht geben.
Aber eines scheint gewiss: Polizeijuristen sehen goldenen Zeiten entgegen.
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