Alice Schwarzer: "Vor Kopf-ab-Parolen hüten"

Alice Schwarzer
Alice Schwarzer über die Folgen der Silvesternacht von Köln, die "Willkommenskultur", Selbstverteidigungskurse und "den arabischen Mann".

KURIER: Die Übergriffe von Köln liegen nun schon fast zwei Monate zurück. Seither weiß man, dass hauptsächlich Marokkaner und Algerier, aber kaum Syrer die Täter waren. Sie haben damals von einer falschen Toleranz gesprochen. Spielte diese Einstellung nicht jenen in die Hände, die rechtspopulistisch sind?

Alice Schwarzer: Ja, natürlich hat das unsere "Willkommenskultur" gedämpft. Doch wir wissen inzwischen, dass zum Beispiel von den 70 Beschuldigten dieser Nacht – nur ein kleiner, aber doch wohl typischer Ausschnitt der weit über 1000 Männer – 30 Marokkaner sind und 27 Algerier. Aber nur drei Syrer. Alle sind Asylsuchende oder Illegale. Ich persönlich war überrascht, ich hatte nicht damit gerechnet, dass jemand, der hier als Gast aufgenommen werden will und das Recht auf Asyl beantragt, so dumm ist, sich so aufzuführen. Aber ich bin auch erleichtert. Es waren eben doch nicht die Muslime, die seit Jahren und Jahrzehnten bei uns leben. Es waren Männer, die es schon aus ihren Ländern gewohnt sind, Frauen durch sexuelle Gewalt aus dem öffentlichen Raum zu vertreiben. Ein Tahrir-Platz in Köln. Der zentralste Platz der Stadt war zehn Stunden lang ein rechtsfreier Raum. Inzwischen haben 446 Frauen Anzeige wegen sexueller Gewalt erstattet. Das ist schon ein Schock.

Viele vertreten die Meinung: "Wer sich nicht anpasst muss die Koffer packen." Unterstützen Sie diese Haltung auch?

Wir sollten uns jetzt vor Kopf-ab-Parolen hüten. Es gibt ja nicht den "Araber" oder den "Muslim". Diese Männer in Köln waren nicht die Araber von nebenan. Sie waren eine bestimmte Sorte Mann: nämlich Islamisten und ihre Sympathisanten. Und sie hatten sich via Facebook und Twitter auf dem Bahnhofsplatz verabredet, wie wir heute wissen. Nicht um zu feiern. Nein, um Frauen zu klatschen. Dieser Sorte Mann müssen wir Einhalt gebieten. Und ja, sie gegebenenfalls auch in ihre Heimatländer zurückschicken. Denn in Algerien und Marokko gibt es zwar soziale Probleme und Jugendarbeitslosigkeit, aber keinen Krieg.

Wird die Diskussion nicht auch von einer gewissen Scheinheiligkeit dominiert – nämlich gerade von den Konservativen, die nun die Rechte der Frauen entdecken und verteidigen?

Das mag sein, aber Motive interessieren mich schon lange nicht mehr. Mich interessieren nur Fakten. Wenn es der Silvesternacht zu verdanken ist, dass der SPD-Justizminister das schon so lange dringend reformbedürftige Vergewaltigungsgesetz endlich aus der Schublade holt – umso besser.

Ihre Aussagen haben Ihnen nicht nur Freunde gebracht. Welche Reaktionen hatten Sie in den letzten zwei Monaten? Wurden Sie auch als Rassistin beschimpft?

Ich setze mich für die Rechte der Frauen im islamischen Raum ein, seit ich 1979 kurz nach der Machtergreifung von Khomeini im Iran war und begriffen habe, was da abgeht. Seither habe ich mich schon sehr oft als "Rassistin" beschimpfen lassen müssen, vor allem von Linken, Grünen und Konvertiten. Aber das halte ich aus. Die Solidarität mit den total entrechteten Frauen in den muslimischen Ländern und Communities ist mir wichtiger. Und auch die mit den weiblichen Flüchtlingen, die alle – ausnahmslos! – auf der Flucht Opfer sexueller Gewalt werden, wie wir gerade von der UN und von Amnesty International erfahren. Die Täter sind Schlepper, "Sicherheitspersonal" oder auch Mitflüchtlinge.

Sie beschäftigen sich seit 36 Jahren mit der Stellung der Frau im Islam. Wie hat sich die Position der Frau in der islamischen Gesellschaft verändert?

Die Entwicklung der Frauenrechte in den islamischen Ländern geht seit 1979 dramatisch bergab. Schon vorher waren die Frauen durch das islamische Familienrecht nur Unmündige, abhängig vom Vater, Bruder oder Ehemann. Jetzt werden sie in vielen Ländern auch noch ganz aus der Öffentlichkeit verdrängt, unsichtbar gemacht unter dem Schleier. Die Politisierung des Islam, der Islamismus, zündelt am Islam. Die Folgen sind nicht nur für Frauen entsetzlich, wie wir jeden Tag im Fernsehen sehen können.

In Schweden kommen durch den Flüchtlingsstrom auf 100 Frauen mittlerweile 127 Männer. China zog bei seiner Ein-Kind-Politik die Reißleine als das Verhältnis bei 100 Frauen zu 117 Männer stand. Wie wird dieses Missverhältnis unsere Gesellschaft verändern?

Ja, das ist ein sehr heikler Punkt. Wie wir aus soziologischen Studien seit Jahrzehnten wissen, ist ein Überschuss junger, ungebundener Männer gefährlich für eine Gesellschaft, ganz unabhängig davon, zu welcher Religion oder Ethnie sie gehören. Es gibt Forscher, die sehen in den daraus resultierenden Rivalitätskämpfen zwischen jungen Männern einen kriegstreibenden Faktor. Wir müssen das auf jeden Fall im Auge behalten.

Frauen absolvieren Selbstverteidigungskurse, kaufen Pfeffersprays. Braucht es eine neue Feminismus-Bewegung, um die Rechte und den Schutz der Frauen im öffentlichen Raum wieder zu stärken?

Deutschland hat, wie Österreich, auch ohne Muslime ein Problem einer epidemischen, strukturellen sexuellen Gewalt gegen Frauen und Kinder. Meine Feministinnen-Generation kämpft seit über 40 Jahren dagegen: gegen Kindesmissbrauch, Prostitution, häusliche Gewalt, Vergewaltigung. Wir sollten also jetzt nicht hysterisch werden. Aber wir müssen uns natürlich auch bewusst machen, dass diese Männer aus einer Kultur kommen, wo Frauen total rechtlos sind und Gewalt ein Herrenrecht ist.

Wie kann der arabische Mann einen Kultursprung schaffen, für den die europäischen Männer über 100 Jahre benötigten?

Es gibt, wie gesagt, nicht den "arabischen Mann". Ich habe gerade die Herausgabe eines Buches zu dem Silvester-Schock abgeschlossen, das Anfang Mai erscheinen wird. In dieses Buch habe ich auch zwei Texte von "arabischen Männern" aufgenommen, ein Algerier und ein Syrer. Und glauben Sie mir: Diese Männer sind mindestens so feministisch wie ich!

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