Ärzte machen mit der Kettensäge mobil

APA10518038-2 - 05122012 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT II - Johannes Steinhart, Vizepräsident der Ärztekammer und Obmann der niedergelassenen Ärzte, verteilt am Mittwoch, 05. Dezember 2012, während eines Fototermins anl. des Informationstages der Ärztekammer Flugzettel an Passanten in der Wiener Innenstadt. APA-FOTO: HANS KLAUS TECHT
Ärzte verschärfen ihre Protestmaßnahmen - nur Niederösterreich macht nicht mit. Aber was erzürnt die Mediziner eigentlich so? Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen.

Ein Gesundheitsminister, der Patienten per Kettensäge zur Ader lässt (Bild unten). Politiker, die Spitäler, Rettungsautos, Infusionen und Röntgengeräte „ausradieren“, sprich streichen lassen: Die Karikaturen und Inserate, mit denen Österreichs Ärztekammer gestern gegen die Gesundheitsreform mobilisierte, waren nichts für Zartbesaitete.

Im ganzen Land standen Funktionäre und „einfache“ Ärzte auf der Straße, verteilten Zettel und Broschüren – und sorgten damit für eine weitere Eskalation in der Auseinandersetzung um die Reform des Gesundheitswesens. Staatssekretär Josef Ostermayer bezeichnete die Kritik als teils „hetzerisch“.

Worum geht es? Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen.

Ärzte machen mit der Kettensäge mobil

Was erzürnt die Ärzte?
Seit Monaten verhandeln die Geldgeber im Gesundheitswesen (Bund, Länder, Krankenkassen) über eine Umstellung des Systems. Derzeit kocht jeder sein eigenes Süppchen: Die Krankenkassen kümmern sich vor allem um die niedergelassenen Ärzte (Hausärzte, Fachärzte etc.), haben aber keine Mitsprache in den Spitälern. Umgekehrt entscheiden die Länder, was in Spitälern passiert; sie müssen sich aber nicht um die
Niedergelassenen kümmern. Und der Bund hat bei alldem – obwohl maßgeblicher Zahler – nur begrenzt Mitsprache. Bei den politischen Verhandlungen sind die Ärzte wie alle anderen Betroffenen (OP-Gehilfen, Pfleger etc.) vorerst nicht dabei – und das macht sie zornig.

Werden bald Spitäler geschlossen und Rettungstransporte gestrichen?
Nein. Für die Patienten ändert sich vorerst überhaupt nichts. Alle „Zahler“, sprich Krankenkassen, Länder und Bund, versichern, dass an der Gesundheitsversorgung nicht gespart werden soll. Die einzige Veränderung: In Zukunft soll eine Ober-Grenze eingezogen werden, um wie viel die jährlichen Ausgaben im Gesundheitswesen (2011: 14,6 Milliarden Euro) von Jahr zu Jahr steigen – nämlich um maximal 3,6 Prozent.

Die Ärzte fordern 1300 zusätzliche Kassenstellen. Haben wir in Österreich zu wenige Ärzte?
Ja und nein. In absoluten Zahlen arbeiten mehr Ärzte in Österreich als je zuvor. Während die Zahl der Patienten seit 1970 nur um 12 Prozent gestiegen ist, nahm die Zahl der Kassenärzte um 130 Prozent zu. Zählt man alle berufsausübenden Ärzte (z. B. auch Wahlärzte und Spitalsärzte), so hat sich die Zahl seit 1970 von 12.438 auf zuletzt 40.103 mehr als verdreifacht. Problematisch ist indessen die Verteilung der Ärzte. In Ballungszentren wie Wien sind deutlich mehr Mediziner zu finden als auf dem flachen Land.

Ärzte machen mit der Kettensäge mobil

Können die Kosten wirklich ohne Schaden für die Patienten eingedämmt werden?
Ja. Zum einen bekennt sich die Politik dazu, dass die Ausgaben jährlich um bis zu 3,6 Prozent steigen dürfen – und zwar unabhängig vom Bruttosozialprodukt oder dem Wirtschaftswachstum. Zum anderen bereitet die Reform den Boden für Großprojekte wie ELGA (Elektronische Gesundheitsakte). Dank ELGA sollen bis 2016 alle Spitäler, Ärzte und Apotheken so vernetzt sein, dass sie Diagnosen und verschriebene Medikamente eines Patienten sehen können. Doppelbefundungen (z.B. Spital wiederholt Röntgen, das kurz zuvor vom niedergelassenen Arzt gemacht wurde) fallen weg, die Gefahr, dass mehrere Ärzte einander negativ beeinflussende Medikamente verschreiben, wird gebannt – bei gleichzeitig sinkenden Kosten. Denn laut Gesundheitsministerium wird ELGA helfen, sinnlos ausgegebenes Geld zu sparen. Das Ministerium rechnet mit 129 Millionen Euro.

Weiterführende Links:

Ärztekammer Wien
Ärztekammer Salzburg

KURIER: Herr Präsident, Ihre Kammer distanziert sich von der Kampagne der Bundesärztekammer. Warum?
Christoph Reisner: Aus mehreren Gründen. Zum einen haben wir Ärzte in der Kammer genau vereinbart, wie wir beim Thema Gesundheitsreform vorgehen – ich erinnere an die möglichen Ordinationsschließungen im Jänner. Die nun veröffentlichten Plakate waren nicht Teil dieses Plans, sie waren mit den Kollegen in keiner Weise abgestimmt. Und wenn sich die Bundesärztekammer nicht an Abmachungen hält, dann können wir nicht mitziehen. Weit schwerer wiegt aber die Tatsache, dass wir inhaltlich große Fehler begehen.

Inwiefern?
Die Plakate stellen übertriebene Szenarien dar, das Ganze grenzt an Angst- und Panikmache, und es ist aus meiner Sicht weder im Interesse der Patienten, noch hilft es uns beim Umsetzen unserer legitimen Anliegen.

Welche wären das?
Wir Ärzte sind keine Neinsager, wir sind auch nicht gegen eine sinnvolle Re-Organisation des Gesundheitssystems. Wir kämpfen dafür, dass die medizinische Versorgung der Menschen und die Arbeitsbedingungen der Ärzte qualitativ hochwertig bleiben. Um das zu erreichen müssen wir zunächst aber zurück an den Verhandlungstisch. Auf der Straße ist das schwierig.

Ist es nicht seltsam, dass Ihre Kammer die einzige ist, die die Sorgen der Bundesärztekammer nicht teilt?
Offen gesagt: Darum können wir uns nicht kümmern. Ich kenne die Situation in anderen Bundesländern nicht so gut. Für Niederösterreich kann ich aber sagen: Die auf den Plakaten formulierten Argumente treffen bei uns einfach nicht zu – deshalb sind wir nicht dabei.

Beim Anblick der Suchbild-Rätsel kommt einem das Gruseln. Bild 1: Ein Patient hängt im Spitalsbett an der Infusion. Bild 2: Der Patient erstarrt vor Schreck, die Infusion ist weg. Des Bilderrätsels Lösung – das blüht uns allen, wenn die geplante Gesundheitsreform kommt: Der Krankenwagen ist weg. Das Medikament ist weg. Der Arzt ist weg – am Ende ist auch noch das gesamte Wiener AKH weg.

Die Ärztekammer übertreibt in ihrer jüngsten Inseratenkampagne nicht nur maßlos. Sie spielt auch schamlos mit unser aller Urangst um die Gesundheit. Grund zum Fürchten haben wir derzeit aber nicht vorm Gesundheitsminister, sondern vor wildgewordenen Ärztekammer-Funktionären. Denn nicht nur notorische Kritiker sprechen von „Panikmache“ . Mit dieser Begründung macht auch Niederösterreichs Ärztekammerchef bei der Horror-Kampagne nicht mit.

Fakt abseits jeder Polemik ist: Krankenkassen, Bund und Länder wollen via Gesundheitsreform kein einziges Spital oder eine Arztpraxis einsparen. Sie wollen lediglich erstmals gemeinsam auf die Kostenbremse treten. Die Gesundheitsausgaben sollen künftig nicht mehr ungehemmt steigen (in den letzten Jahren bis zu 7 Prozent). Die Kosten für Spitäler und Kassen werden nur noch maximal 3,6 Prozent jährlich ansteigen dürfen.

Tatsächlich ersparen wollen sich Bund, Länder und Kassen – vor allem durch ELGA – etwa teure Mehrfach-Diagnosen. Eine gemeinsame Steuerung aus einer Budgethand soll zudem den teuren Teufelskreis durchbrechen: Klamme Kassen schieben die Patienten vom Kassenarzt ins Spital ab. Die Zeche zahlen die Länder.

Zieht die Politik hier nicht entschieden die Notbremse, wird die Panikmache bald wahr: Dann droht tatsächlich das Kaputtsparen auf dem Rücken der Kranken .
 

Kommentare