"Abrechnung mit der Willkommenskultur"

September 2015: Innenministerin Johanna Mikl-Leitner am Wiener Westbahnhof
Regierung will Flüchtlings-Hilfe kürzen und auf private Spendengelder zugreifen.

Die Bilder bewegten eine Nation: Als im Vorjahr mehrere Hunderttausend Flüchtlinge binnen weniger Wochen durch Österreich strömten, kannte die Hilfsbereitschaft keine Grenzen. Auch viele Politiker mischten sich nur allzu gerne unter die Ehrenamtlichen am Wiener West- und Hauptbahnhof, in Nickelsdorf oder Spielfeld. Sie lobten das Engagement der Hilfsorganisationen und halfen mit, die Parole "Refugees welcome" zu verbreiten.

Wo sich der Staat und seine behördlichen Strukturen als zu starr und behäbig erwiesen, sprangen die flexiblen, privaten Flüchtlingshelfer rasch ein. Manch Hilfsorganisation musste zusätzliches Personal aufnehmen, um die Erstversorgung der Flüchtlinge, die Organisation der Notquartiere, das Sammeln von Kleidung, Essen und Trinken überhaupt zu bewältigen. Sie gingen auch finanziell in Vorlage – und warten teils heute noch auf ihr Geld.

Schätzungen gehen von 10 bis 15 Millionen Euro aus, die seitens des zuständigen Innenministeriums noch immer nicht ausbezahlt, wie wohl zugesagt wurden.

Ende März läuft nun die Finanzierungsvereinbarung zwischen Innenministerium und Hilfsorganisationen aus, die neuen Verträge werden aktuell verhandelt.

Harte Botschaft

Statt das ausstehende Geld zu überweisen ist ein Brief bei den NGOs eingetrudelt, der stark verkürzt folgende Botschaft bereit hält: Liebe Hilfsorganisationen, danke für euer Engagement. Aber was das Finanzielle angeht, so gilt: Die Republik kann leider nur rückvergüten, was nicht durch private Spenden abgedeckt ist.

Das Schreiben aus dem Innenministerium bringt die NGOs gehörig auf die Palme. Ein Caritas-Mann sagte: Das ist als ob der Herr Außenminister um Spenden für die Armen in Afrika wirbt, und am Jahresende das gesammelte Geld von der staatlichen Entwicklungshilfe abziehen würde. Oder: Wie ein Brief an die politischen Parteien, dass künftig sämtliche Spenden auf die staatliche Parteienförderung angerechnet werden und diese dementsprechend gekürzt wird.

Der reale Brief aus dem Innenministerium löste Kopfschütteln und Empörung quer durch die Bank aus.

"Für mich ist das eine Art Abrechnung mit der Willkommenskultur und vor allem auch ein Schlag ins Gesicht der Spendenbereitschaft", sagt Günther Lutschinger, Geschäftsführer des Fundraising Verbandes. Von AK, Gewerkschaft und ÖH, von den Grünen, über die Neos bis zur Sozialistischen Jugend hagelte es am Montag Kritik. Die Aktion des Innenministeriums sei "an Bösartigkeit nicht zu überbieten", sagte stellvertretend für viele andere, Grünen-Chefin Eva Glawischnig. Die Regierung dürfe einfach nicht in die Taschen der Spender greifen, so Caritas-Generalsekretär Klaus Schwertner.

Im Innenministerium verweist man auf die Verträge mit den NGOs sowie die Vorgaben des Finanzministeriums, dort wiederum verweist man auf Abrechnungsrichtlinien, die alle Hilfsorganisationen unterschrieben hätten und versteht die Aufregung nicht – oder will sie nicht verstehen.

Verbands-Sprecher Lutschinger sagt: "Es wird keiner mehr spenden, wenn man sich nicht sicher sein kann, dass die Spenden nicht bei der Caritas sondern bei der Frau Innenminister landen. Hier wird das Vertrauen der Österreicher missbraucht."

Detail am Rande: Anwendbar ist die Sonderrichtlinie der Ministerien, auf die sie sich berufen, nur auf Spenden für Transitflüchtlinge (Notquartiere, Erstversorgung), aber kein Spender schreibt solch eine Zweckwidmung auf den Überweisungsschein. Caritas und Rotes Kreuz argumentieren daher, weil niemand gesondert für Transitflüchtlinge spende, könne ihnen auch aus diesem Bereich nichts von den staatlichen Förderungen abgezogen werden. Ob diese Linie durchzuhalten ist, werden die Verhandlungen zeigen.

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