"Ein Europa unterm Hakenkreuz – schrecklich"

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) legten zum Gedenken an das neue, 1945 befreite Österreich einen Kranz beim Staatsgründungsdenkmal nieder.
In einem Festakt wurde am Montag der Wiedererrichtung der Republik vor 70 Jahren gedacht. Der deutsche Bundespräsident war Gastredner. Seine Aussagen rüttelten auf.

Nachdenklich und sichtlich gerührt steht der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck vor einer Kulisse rot-weiß-roter Rosen in der Wiener Hofburg. Er sprach als Gastredner zur Jubiläumsfeier der Wiedererrichtung der Republik vor 70 Jahren – und spricht den zentralen Satz aus: "Schrecklich alleine die Vorstellung, die Alliierten hätten uns nicht befreit und unsere Vorgängergeneration hätte uns Europa unter dem Hakenkreuz hinterlassen."

Der Glaube an die Demokratie hat 1945 gesiegt. Und unmissverständlich betonte Gauck, dass "sowohl für Deutschland als auch für Österreich das Ende der NS-Schreckensherrschaft eine Befreiung gewesen war".

Für die Zukunft gibt es für ihn nur eine einzige politische Orientierung: Die "gemeinsame Verantwortung für die europäische Zusammenarbeit" zu sichern. Mit Blick auf die vergangenen Jahrzehnte sprach der deutsche Bundespräsident von einem "beispiellosen Einigungsprozess".

Gefahr "Nationalismus"

"Ein Europa unterm Hakenkreuz – schrecklich"
German President Joachim Gauck delivers a speech during an official celebration commemorating the 70th anniversary of the re-establishment of the Republic of Austria in Vienna April 27, 2015. REUTERS/Heinz-Peter Bader
Gauck warnte aber auch vor "den Gefahren für Rechtsstaat und Pluralismus". Populismus und nationalistische Strömungen seien im Anwachsen begriffen, und die Ukraine zeige, wie wichtig eine gemeinsame EU-Außenpolitik sei. "Wenn keine Garantie mehr besteht, dass überall in Europa das Völkerrecht geachtet wird, dann haben die Mitglieder der EU neu über die gemeinsame Sicherheit nachzudenken", sagte er mit Blick auf die Ukraine.

Der deutsche Bundespräsident ließ in seiner Rede aber auch Kritik an der österreichischen Vergangenheitsbewältigung und an der bequemen Lüge, erstes Opfer des Nationalsozialismus gewesen zu sein, anklingen. Gauck erwähnte explizit die 1980er-Jahre, die Waldheim-Ära und die damit verbundenen negativen internationalen Reaktionen. Lobend hob er die Rolle und die klaren Worte des ehemaligen Bundeskanzlers Franz Vranitzky zur österreichischen Beteiligung an der NS-Diktatur hervor (Vranitzky-Rede am 8. Juli 1991 im Nationalrat, wo er sich für die Taten der Österreicher im Namen der Bundesregierung entschuldigte, Anm.).

Bundespräsident Gauck wurde zur Teilnahme am Festakt und zu seiner Rede von seinem Amtskollegen Heinz Fischer eingeladen. Er verschob dafür eine Afrika-Reise.

Der Staatsakt zum 70. Geburtstag der Republik (siehe Artikel unten) begann Montagfrüh mit einer Kranzniederlegung beim unbekannten Staatsgründungsdenkmal.

"Ein Europa unterm Hakenkreuz – schrecklich"
epa04722510 (L-R) Austrian President Heinz Fischer, German President Joachim Gauck, his partner Daniela Schadt and Austrian Cardinal Christoph Schoenborn applaud during a ceremony on the occasion of the 70th anniversary of the restoration of the Republic of Austria, 27 April 2015, in Vienna, Austria. EPA/ROLAND SCHLAGER
Danach wechselte der Schauplatz: Zahlreiche Spitzenvertreter aus Politik, diplomatischem Korps und Geistlichkeit fanden sich im Festsaal der Wiener Hofburg ein. Bundespräsident Fischer sprach von einer "Wiedergeburt" und einem "Neubeginn" nach Jahren einer "unmenschlichen Diktatur, eines entsetzlichen Krieges und des unfassbaren Holocausts".

Erinnerungen

Sehr berührend schilderte Fischer, wie er als Volksschulkind das Kriegsende erlebte.

Bemerkenswert war, dass er bekannte, dass Österreich nach 1945 Fehler machte. "Es war offenbar sehr schwer, aus dieser Wahrheit konkrete Gerechtigkeit für eine riesige Zahl von Einzelfällen zu schaffen – und zwar sowohl was die Täter als auch die Opfer betrifft". Dazu hätte die Pflicht gehört, jenen Österreichern, die von den Nazis vertrieben und zur Emigration gezwungen wurden, nach dem Krieg die österreichische Staatsbürgerschaft automatisch zurückzugeben oder zumindest anzubieten. "Dass dies nicht geschehen ist, war ein großes Unrecht, das vielen sehr weh getan hat."

Mehr zu den schwierigen Anfängen der Zweiten Republik finden Sie hier.

Wien im April 1945: Die Stadt ist durch die Rote Armee befreit worden, SPÖ und ÖVP sind neu gegründet. In den besetzten Gebieten Österreichs tobt noch der Krieg, in den Vernichtungslagern werden Juden, Angehörige von Minderheiten und Oppositionellen ermordet. Österreicher, die die weiße Fahne, das Symbol der Befreiung, gehisst haben, werden von der SS erschossen. Die Wehrmacht hat noch nicht kapituliert.

Unter strengster Geheimhaltung führen die Spitzen von SPÖ, ÖVP und KPÖ in einer Wiener Villa Regierungsverhandlungen. Die Bevölkerung hat davon nicht einmal gerüchteweise gehört. Aus der Zeitung Neues Österreich erfahren die Leser, dass am 27. April die Zweite Republik gegründet und eine provisorische Staatsregierung aus SPÖ, ÖVP, KPÖ und drei Unabhängigen gebildet wurde. Grundlage dafür war die Unabhängigkeitserklärung, mit der die Republik Österreich wieder errichtet wurde. Das Original dieses Textes ist verschollen, Historiker sagen, dass Karl Renner maßgeblich die Sätze auf Basis der Moskauer Deklaration formuliert habe. 1943 einigten sich die Alliierten, dass Österreich als Nachfolgestaat des sogenannten Dritten Reiches wiedererstehen sollte. Der "Anschluss" 1938 sei "null und nichtig".

In der Präambel der Proklamation heißt es, dass die Eingliederung ins Deutsche Reich völkerrechtswidrig gewesen sei. Die Annexion sei "durch den hochverräterischen Terror einer nazifaschistischen Minderheit eingeleitet und einer wehrlosen Staatsführung" abgerungen worden. Bemerkenswert ist, dass die Beteiligung zahlreicher Österreicher am Terrorregime und am Völkermord der Nazis sowie Entrechtung, Vertreibung und Ermordung jüdischer Österreicher nicht erwähnt werden.

Die Proklamation führte zu einem Eklat, weil die provisorische Regierung unter Staatskanzler Karl Renner mit den Alliierten nicht abgesprochen war, nur Moskau war informiert.

Am "Heldentor", einem jahrzehntelangen Ort österreichischer Geschichte, an dem die Spitzen der Republik am Nationalfeiertag Kränze zum Gedenken an die Gefallenen der Weltkriege niederlegen, wird aus gutem Grund nicht mehr gedacht.

Denn in den Totenbüchern in der Krypta wurde auch eines SS-Verbrechers gedacht. Unter der Skulptur des toten Soldaten war in einer Hülse eine Huldigung an die Nazis versteckt. Am "Heldentor" findet das alljährliche "Totengedenken" der Burschenschafter am Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation des Nazi-Regimes statt.

Gestern fand die Kranzniederlegung beim Staatsgründungsdenkmal statt. Bei der im Schweizer Garten nahe dem Belvedere 1966 errichteten Skulptur sind wichtige Passagen der Unabhängigkeitserklärung in Stein gemeißelt. Bei dem Denkmal handelt es sich um eine aus zwei Bögen emporwachsende zwölf Meter lange Metallsäule gleich einem Obelisken.

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