ÖVP-Urgestein: "Bin nicht eingeladen"

Eine der ersten Vorstandssitzungen der ÖVP-Bundespartei Mitte 1945: Edmund Weber, Obmann Hans Pernter, Generalsekretär Felix Hurdes, Lois Weinberger, der spätere Außenminister des Staatsvertrages, Leopold Figl, Raoul Bumballa, Julius Raab (er war beim Staatsvertrag Bundeskanzler), Ferdinand Graf, Franz Latzka (v. l. n. r.). Sie kamen im NÖ-Landhaus in Wien zusammen.
Karl Pisa, Parteimann der ersten Stunde, ist nicht bei der Geburtstagsfeier. Dem KURIER sagt er, wie es war.

Karl Pisa war bei der Parteigründung der ÖVP gerade mal 21 Jahre alt. Im Herbst 1945 begann er als Redakteur im ÖVP-Pressedienst zu arbeiten. "Damals war die ÖVP eine sehr offene Partei", erinnert sich der Zeitzeuge. Jahrzehntelang war er der ÖVP treu, er verfasste Reden für Leopold Figl und Julius Raab, in der Regierung Josef Klaus (1966 bis 1970) war er Informationsstaatssekretär. Noch heute beschäftigt den 91-Jährigen der Zustand der ÖVP und die Zukunft der Partei.

KURIER: Herr Pisa, werden Sie an der 70. Geburtstagsfeier der ÖVP teilnehmen?

Karl Pisa:Bis jetzt bin ich nicht eingeladen. Beim 40. und 50. Gründungsjubiläum habe ich beide Male Referate gehalten, weil ich mitbekommen habe, wie die Gründungssituation war. 1945 ging es um Essen, den Wiederaufbau und den Staatsvertrag. Das haben die Leute begriffen. Das waren die großen Themen. Heute gibt es keine dominanten Themen mehr.

Sie machen jetzt einen großen Sprung und beklagen, dass die Partei heute keine großen Themen mehr hat?

ÖVP-Urgestein: "Bin nicht eingeladen"
Karl Pisa, ehemaliger Staatssekretär der ÖVP, im Interview am 29.08.2014 in Wien.
Es gibt nicht nur einen Schwund der Wähler, sondern auch einen Schwund der Themen. Die Grünen brachten am Anfang viele Themen ein, jetzt sind sie auf der Radfahrer-Ebene. Heute lässt sich mit vielem, etwa mit Chlorhühnern, eine Schlagzeile machen, vieles ist emotionalisierbar. Das gilt auch für Flüchtlinge oder für den Ausländeranteil. Die Themen verschwinden auch rasch wieder. Für Politiker ist es schwierig, einen Grundgedanken durchzutragen.

Sie wollen, dass sich die ÖVP auf wenige Themen beschränkt?

Auf jeden Fall. Aus der simplen Überlegung, wie bringe ich etwas durch. Das geht nur mit wenigen Themen. Es muss Prioritäten geben. Es gibt keine populären Themen, denn wir haben ja nichts zu verteilen, wir müssen sparen. Strukturelle Reformen sind in die Sprache des Alltags schwer zu übersetzen.

Sie sagten, die ÖVP war eine "offene Partei". Ist sie das nicht mehr?

Ich habe die ÖVP offen erlebt, man hat mich nicht gefragt, ob ich Mitglied bin, ich konnte einfach mitarbeiten. Als Redakteur des ÖVP-Pressedienstes durfte ich Flugblätter für Frauen und Heimkehrer verfassen, das waren damals 63 Prozent der Wähler. Ich bin einfach hineingewachsen in die ÖVP.

Wir erklären Sie sich im Laufe der Zeit den Vertrauensverlust der Wähler in die ÖVP?

Das trifft nicht nur die ÖVP. Alle großen Organisationen erleben einen Schwund. Nach 1945 gab es nur ÖVP, SPÖ und KPÖ. Die KPÖ hat niemandem eine Stimme weggenommen. Heute haben wir ein buntes Parteienfeld. Lange konnten die Koalitionsparteien Klientelpolitik machen. Das war ein strenges Regime. Wer, wo , was zu sagen hatte, konnte man bei Personalvertretungswahlen ablesen. Wo beide Parteien das Sagen hatte, kam es zum Proporz. Dagegen zu wettern hat der Opposition genützt.

Was raten Sie der ÖVP: Wie soll sie mehr Wähler bekommen?

Eine Politik für alle und alles geht nicht auf. Klientelpolitik bringt zwangsläufig Konflikte. Man kann nicht Politik für Bauern und Beamte machen und gleichzeitig neue Wählerschichten ansprechen wollen. Die Befriedigung der Stammwähler ist ein defensives Konzept. Ein offensives Konzept muss die anderen als Chance sehen. Das sind fluktuierende Schichten in neuen Berufen. Wer kümmert sich um Teilzeitbeschäftigte oder jugendliche Arbeitslose?

Wie sieht ein offensives Konzept für neue Schichten aus?

Diese Schichten sind schwerer zu erreichen, aber wenn ich konsequent signalisiere, ich kümmere mich um diese Gruppe und habe für sie Fürsprecher in der Politik, dann wird es gehen. Politiker müssen ein schärferes Profil für neue Gruppen entwickeln.

Wer ist Ihrer Meinung nach die Zukunftshoffnung der ÖVP?

Vom Alter her hat Sebastian Kurz diese Rolle zugeschrieben bekommen. Kurz hat nicht viel Konkurrenz, man sieht niemanden heranwachsen. Wenn es um Personalpolitik geht, geht es auch um die Aufstellung von Abgeordneten-Listen, es geht nicht nur um Vertreter der Bünde.

Soll die ÖVP die Bündestruktur aufgeben?

Sie muss sie nicht aufgeben, aber den Einfluss und die Struktur lockern. Jetzt sind zum Beispiel die Pensionisten stark, vor 20 Jahren waren sie unbedeutend.

FAKTEN zur ÖVP

Gründung Die Österreichische Volkspartei wurde am 17. April im Schottenstift in Wien gegründet.
Nationalratswahl 1945 Der erste Urnengang in der Zweiten Republik war am 25. November.
Ergebnis 49,8 Prozent für die ÖVP, 44,6 % SPÖ, 5,4 % KPÖ.

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