Immer weniger Lust auf Kinder und Familie

Die Deutschen sind erstmals das Volk mit den wenigsten Minderjährigen in Europa,Tendenz weiter fallend.

ahrzehntelang war Italien das kinderärmste EU-Land, nun ist es Deutschland. Das behauptet das Statistische Bundesamt, das wegen der in Deutschland politisch verpönten regelmäßigen Volkszählung keine absoluten Zahlen hat und sie aus dem Mikrozensus, also aus Stichproben, hochrechnet. Demnach seien nur mehr 16,5 Prozent der Deutschen minderjährig. Noch vor zehn Jahren waren es noch fast 19 Prozent. Fast überall sonst in Europa sind es 20 Prozent und mehr.

Der Anteil der Jungen werde weiter sinken, meint Chefstatistiker Roderich Egeles: 2030 auf 15 Prozent. Und das besonders im Osten Deutschlands , wo der Rückgang im vergangenen Jahrzehnt fast ein Drittel betrug im Vergleich zu nur zehn Prozent im Westen.

Seine Zahlen und Schlüsse daraus sind unter Fachleuten aber nicht unumstritten: So rasche Änderungen ohne äußere Einflüsse wie Krieg oder neue Verhütungsformen sind sehr ungewöhnlich. Sie können eher soziologisch erklärt werden. Denn der 60-Seiten-Fragebogen des Mikrozensus fragt nach vielem, nur nicht nach Gefühlen.

Demoskopen

Das tun Umfrage-Institute. Am längsten und tiefst gehend "Demoskopie Allensbach" mit einem jährlichen "Monitor Familienleben" oder, wie zuletzt im März, der Studie "Happy Elternzeit oder Kraftakt Familienleben?"

Erst aus solchen und anderen Daten lassen sich einigermaßen verlässliche Motive erkennen, und selbst da nicht immer schlüssig: So beklagen 70 Prozent aller Deutschen die "schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie", ihre konkrete Situation beurteilen aber fast 60 Prozent der Eltern von Kindern unter 18 mit "zufrieden" und 15 Prozent sogar mit "besser geworden".

Das wundert nicht: Der Lebensstandard der Deutschen ist in den vergangenen Jahrzehnten weiter gestiegen, sie könnten sich heute mehr Kinder leisten als je in ihrer Geschichte. Und die wären auch besser vom Staat mitversorgt: Nie gab es so viel öffentliche Hilfe, sei es durch Steuerersparnis, Bargeld-Zuschüsse oder Krippen für Kleinkinder, Kindergärten und Unterstützung ärmerer Schulkinder.

Und nicht nur der Staat, auch die Wirtschaft hat heute mehr Verständnis für Eltern. In anderen Staaten Europas, besonders aber in den USA, arbeiten mehr Frauen als in Deutschland und bekommen dennoch mehr Nachwuchs.

Nicht wichtig genug?

Am plausibelsten gilt daher eine Werte-Verschiebung: Deutschen gelten Kinder nicht mehr als Statussymbol. Stattdessen streben sie materiellen Wohlstand an und hohe Mobilität. Diese Erklärung wird von der regionalen Verteilung gestützt: Im konservativeren Süden und den katholischen Inseln Norddeutschlands gibt es prozentual die meisten Kinder, im inzwischen fast konfessionsfreien Osten die wenigsten.

Gerade dort aber ist die öffentliche Kinderbetreuung schon seit DDR-Zeiten am intensivsten. Dort zerfallen zunehmend auch die Familien: Nur mehr 58 Prozent der Kinder leben hier mit Vater und Mutter, im Westen sind es noch 79 Prozent.

Aber auch für die angeblich nun vom Aussterben bedrohten Deutschen gibt es Hoffnung. Ihre Statistiker können ja irren: In den Trendvierteln deutscher Großstädte ist derzeit nichts schicker als Kinder - je mehr, desto besser.

Geburtenrate in der EU: Frankreich und Irland sind Spitzenreiter

Nicht nur Deutschland, auch Österreich ist weit von einem Baby-Boom entfernt. Mit 9,4 Geburten pro Tausend Einwohnern gehört Österreich zu den europaweiten Schlusslichtern. Insgesamt erblickten vergangenes Jahr 77.814 Babys in Österreich das Licht der Welt; das entspricht 1,44 Kindern pro Frau.

Zum Vergleich: Bei den Spitzenreitern Frankreich und Irland liegt der Durchschnitt pro Frau bei knapp über 2 Kindern (EU-weit: 1,56 Kinder pro Frau). Hintergrund in Frankreich sind unter anderem politische Schritte (wie Kinderbetreuungsmaßnahmen), welche die Vereinbarung von Beruf und Familie erleichtern.

Auch der Jugend- und Kinderanteil an der Gesamtbevölkerung ist in Frankreich mit 22 Prozent vergleichsweise hoch. In Österreich liegt dieser immerhin noch bei 19,4 Prozent, jedoch unter dem EU-Durchschnitt von 20,5. Neben Deutschland (16,5) gehören auch Bulgarien (16,7) und Italien (16,9) zu den Schlusslichtern.

Insgesamt wurden in der EU im vergangenen Jahr 5,4 Millionen Kinder geboren. Zusammen mit der Zuwanderung entspricht das einem generellen Wachstum der Bevölkerung von 2,8 Prozent.

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