Ihr da oben, wir da unten

Schule: Die Zeit drängt
In den 70er-Jahren war das nur ein Buch, heute wird es als Realität empfunden.

Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle verzichtet auf die Teilnahme an den Salzburger Festspielen, kündigt er im Gespräch mit dem KURIER an. Was ist los? Geht der homo litteratus, der Gelehrte, vor der Plebs, dem gemeinen Volk in Verkleidung des Boulevards, in die Knie?   Sind die Politiker jetzt weichgeklopft und werden nur mehr am Würstelstand Pressekonferenzen geben, Käsekrainer mampfen und dabei  Armut und Enthaltsamkeit schwören? Karlheinz Töchterle ist Mitglied der Bundesregierung der Republik Österreich. Zu seinen Aufgaben gehört es auch, Kontakte zur Industrie und zu ausländischen Politikern zu halten. Wenn das nicht mehr im Rahmen von österreichischen Vorzeigeprodukten, wie den Salzburger Festspielen, möglich ist, dann übersiedeln wir gleich im Piratenanzug in die Karibik.

Als die deutschen Autoren Bernt Engelmann und Günter Wallraff in den 70er-Jahren mit ihrem Buch "Ihr da oben, wir da unten" die Kluft zwischen Armen und Reichen beschrieben, konnten sie die breite Masse nicht erreichen. Das Wirtschaftswachstum hatte breiten Wohlstand herbeigeführt, die Angst vor sozialem Abstieg war nicht verbreitet, der Politik   wurde noch die Kompetenz zugetraut, anstehende Probleme zu lösen. All das hat sich verändert. Heute hat sich dieses Gefühl der Machtlosigkeit "da unten" verfestigt, und die "da oben" werden als maßlos und raffgierig empfunden, wobei zwischen wirklich Reichen, deren Einfluss größer wurde, und den Politikern, die in der Realität an Macht verloren haben, nicht unterschieden wird.

Transparenz

Wenn Politiker jetzt glauben, durch symbolische Verbeugungen vor dem Boulevard auch nur irgendetwas zu  gewinnen, dann irren sie sich gewaltig. Nicht der Auftritt eines Ministers bei den Salzburger Festspielen ist das Problem, sondern das verbreitete Gefühl in der Bevölkerung, dass Politik beobachtet und diskutiert, sich aber bei notwendigen Entscheidungen einfach wegduckt.

Über die Transparenz bei der Parteienfinanzierung wird schon lange geredet, jetzt geschieht endlich etwas, dazu mehr im KURIER am Sonntag. Aber eine Regierung, die vor der Lehrergewerkschaft kapituliert, die Universitäten sich selbst überlässt und die Gesundheitsreform als Projekt für das nächste Jahrtausend behandelt, braucht sich nicht zu wundern, wenn immer mehr Wähler glauben, dass es mit den Piraten wenigstens lustiger zugehen würde.

Und wenn man uns vorgaukeln will, dass die Schließung der Schengen-Grenze einen Kriminellen davon abhalten wird, zu uns zu kommen,  wird auch das als  Scheinmanöver entlarvt werden. Politik ist mehr als der Wettbewerb um die bessere Show. "Die da unten" wollen, dass "die da oben" die wahren Probleme erkennen und klare Entscheidungen treffen.

Die Politik muss  Ungerechtigkeiten identifizieren und Reformen anpacken. Das hilft mehr als jede symbolische Geste, die als Anbiederung empfunden wird.

Mehr zum Thema

  • Hauptartikel

  • Kommentar

  • Hintergrund

  • Kommentar

Kommentare