Hunger-Misere: "Hilfe zur Selbsthilfe"

Hunger-Misere: "Hilfe zur Selbsthilfe"
EU-Kommissarin Georgieva über Wege zu einer gerechteren Welt , über die humanitären Krisen in Syrien und Italien.

Sie kämpft an vorderster Front gegen Armut und humanitäre Krisen. Dieser Tage nimmt sie in Wien am Caritas-Kongress gegen den Hunger weltweit teil. Dem KURIER gab die EU-Kommissarin für Internationale Zusammenarbeit, Kristalina Georgieva , gemeinsam mit Innenministerin Johanna Mikl-Leitner folgendes Interview.

KURIER: Das Millenniumsziel, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren, wird nicht erreicht. Was läuft falsch?

Kristalina Georgieva:

Es ist völlig inakzeptabel, dass in einer an sich reichen Welt 945 Millionen Menschen jede Nacht hungrig zu Bett gehen müssen. Die Ursachen der Misere sind vielfältig: Da ist zunächst der Klimawandel, der die ärmsten Länder am stärksten trifft. Dazu kommt der Bevölkerungszuwachs, der vor allem in ökologisch fragilen Regionen zu verzeichnen ist. Außerdem wurde der ländlichen Entwicklung zu wenig Beachtung geschenkt.

Welche Anstrengungen unternimmt die EU?

Die Kommission hat sich 2010 verpflichtet, 3,8 Milliarden US-Dollar im Kampf gegen den Hunger zur Verfügung zu stellen. Wir haben unser Versprechen gehalten. Es gab auch einen Politik-Wechsel: Wir "füttern" die Leute nicht mehr von außen sozusagen, sondern geben ihnen Geld oder Nahrungsmittelbons. So kommen auch die lokalen Märkte in Schwung. Das ist Hilfe zur Selbsthilfe. Dürre kann man nicht verhindern, Hunger schon.

Viele reiche Länder halten ihre Selbstverpflichtung, 0,7 Prozent des BIP für Entwicklungshilfe zu geben, nicht ein – das ist ein Armutszeugnis.

Zusagen sind zu erfüllen. Daneben gibt es aber viele freiwillige Zahlungen von Menschen und Unternehmen. Gerade die Österreicher sind sehr spendabel. Das heißt aber nicht, dass man die Regierungen aus der Pflicht entlässt.

Österreich hat die Mittel für die Entwicklungsstaaten sogar deutlich gekürzt ...

Wir müssen halt auf die österreichischen Bürger einwirken, damit sie die Regierung dazu drängen, mehr zu tun.

Hat die aktuelle Wirtschafts- und Schuldenkrise in Europa einen negativen Einfluss auf die Geberländer?

Auf die Bevölkerungen interessanterweise nicht: 2010 waren laut Umfragen 79 Prozent der EU-Bürger für humanitäre Hilfe. Heuer ist dieser Wert sogar auf 88 Prozent gestiegen – trotz Krise. Eine stabile Welt ist aber auch in unserem eigenen Interesse.

Sie meinen, dass dann weniger Migranten kommen?

Die meisten kommen gar nicht nach Europa, sondern bleiben in den Nachbarländern in der Region. Wir sollten die Menschen dort unterstützen. Aber generell ist es sehr schwierig, den Teufelskreis von Armut, Konflikt und Flucht sowie noch mehr Armut zu durchbrechen.

Themenwechsel: Wie beurteilen sie die humanitäre Situation in Syrien?

Katastrophal, bis zu zwei Millionen Menschen brauchen Hilfe. Doch das große Problem ist der Zugang. Die EU hat 28 Millionen Euro bereitgestellt. Damit unterstützen wird das Rote Kreuz in Syrien mit Medikamenten und Nahrungsmitteln und die Flüchtlinge in der Türkei, Jordanien und im Libanon.

Wie schaut die österreichische Hilfe für Syrien aus?

Johanna Mikl-Leitner: Wir haben 30.000 Euro für Decken, Zelte und Küchen gegeben. Dazu 250.000 Euro für die Flüchtlinge.

Gibt es auch Unterstützung für das Erdbeben-geplagte Italien?

Kristalina Georgieva: Rom hat uns gebeten, mit Satellitenbildern auszuhelfen, um die Schäden besser dokumentieren zu können. Außerdem ist der österreichische EU-Regionalkommissar Hahn gerade in Italien. Er prüft, ob die Zerstörungen so gravierend sind, damit Mittel aus dem Solidaritätsfonds fließen können.

Hilft auch Österreich dem südlichen Nachbarn?

Johanna Mikl-Leitner: Es gab noch keine Anfrage, aber ich als Innenministerin bin für die Koordination der internationalen Katastrophenhilfe zuständig. Bei uns selbst funktioniert diese hervorragend – weil sich so viele Österreicher ehrenamtlich engagieren. Außerdem leistet das Bundesheer super Arbeit.

Fischer und Schönborn als "Koalitionäre"

Zum Auftakt des großen Caritas-Kongresses "Zukunft ohne Hunger" bildete sich am Freitag in Wien spontan eine "Koalition" zwischen Kardinal Schönborn und Bundespräsident Heinz Fischer. Beide appellierten in ihrem Statement an die Regierung, sie solle ihren Plan, bei der internationalen Entwicklungshilfe massiv zu sparen, doch nicht umsetzen. Die Ärmsten der Armen, die zu wenig zu essen haben, dürften nicht im Stich gelassen werden. Fischer erinnerte daran, dass auch die Österreicher nach dem Zweiten Weltkrieg hungern mussten und auf Hilfe des Auslands angewiesen waren.

Auf der hochkarätig besetzten Tagung in der Bundeshauptstadt, die am Samstag zu Ende geht, wird die Situation der knapp einen Milliarde Hungernden weltweit erörtert. Zugleich sollen Lösungsansätze erarbeitet werden, wie der Misere rasch beizukommen ist.

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