Honduras: Kampf um Kinder im Land der Morde

Unter schwierigsten Bedingungen versuchen die Kinderschützer der "Casa Alianza", Jugendliche von den gefährlichen Straßen wegzubekommen und dem Zugriff der Drogen-Mafia zu entziehen.

Mit 14 Jahren hatte es Marco (Name geändert, Anm. ) satt, sich ständig verstellen und lügen zu müssen. Der junge Honduraner offenbarte seiner Familie, dass er homosexuell ist. Ein mutiger Schritt, der so gar nicht vereinbar ist mit der Macho-Kultur Mittelamerikas. Sein Vater jagte den Sohn sofort aus dem Haus. Wie so viele seiner Landsleute machte sich Marco auf den Weg, um in den USA – illegal – einen Neubeginn zu wagen.

Doch in Mexiko geriet er in die Fänge von Menschenhändlern, die den Teenager in ein Bordell steckten. Erst nach einer Polizei-Razzia mit anschließender Abschiebung endete Marcos Martyrium. Denn in seiner Heimat wurde er von Mitarbeitern der Kinder- und Jugendschutzorganisation "Casa Alianza" (CA) psychisch und physisch aufgepäppelt. Er absolvierte eine Konditor-Lehre und kann sich heute mit seinem Job so einigermaßen über Wasser halten.

"Das wird bei uns aber immer schwieriger. Die soziale und wirtschaftliche Lage wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Die Armut steigt dramatisch", analysiert CA-Direktor José Manuel Capellin. Daher versuchen zwischen 80.000 und 100.000 Honduraner jährlich, illegal in die USA zu gelangen. Zehn Prozent von ihnen seien Heranwachsende bis 22 Jahre, sagt Capellin, der von der Kindernothilfe-Österreich finanziell unterstützt wird. Manche flüchten vor häuslicher Gewalt, andere werden regelrecht verkauft, und für manche legt die ganze Familie zusammen, um den gefährlichen Trip zu ermöglichen – in der Hoffnung auf spätere Geld-Überweisungen aus dem Ausland.

Das Millionen-Geschäft der Schlepper

3000 bis 6000 US-Dollar verlangen skrupellose Schlepper – pro Kopf. Das ergibt für die Kriminellen ein potenzielles "Geschäftsvolumen" von 600 Millionen Dollar jährlich – und das allein für Honduras. Doch die wenigsten schaffen es bis ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten. 50.000 Migranten aus dem zentralamerikanischen Staat wurden im Vorjahr in versiegelten Bussen aus den Vereinigten Staaten oder aber aus Mexiko, wo sie schon zuvor aufgegriffen wurden, wieder heimwärts geschickt, 2500 von ihnen waren Kinder und Jugendliche.

"Als einzige private Organisation kümmern wir uns um diese Gestrandeten", erzählt Capellin bei einem Wien-Aufenthalt dem KURIER. Die Burschen – nur zehn Prozent der Kinder sind Mädchen – kommen notfalls in einem eigenen "Schutz-Haus" unter, erhalten medizinische Betreuung und auch Schul- und/oder Berufsausbildung.

Die "Casa Alianza" wird in Honduras als eine Insel im immer stürmischeren Meer von Perspektivenlosigkeit und Gewalt gesehen. Mit 85 Morden pro 100.000 Einwohner ist das Land derzeit das gefährlichste Pflaster der Welt (in Österreich liegt der Wert im Vergleich im Schnitt bei 0,7 Morden). Die Zahl der tödlichen Bluttaten hat sich in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt. Jeden Tag werden drei Kinder oder Jugendliche Opfer eines Gewaltverbrechens. Es ist vor allem die Drogen-Mafia, die für diese Eskalation verantwortlich ist.

"Wir sind der Flugzeugträger für den Transport des Rauschgiftes von Südamerika in die USA", betont Capellin und spielt auf die vielen Kleinflugzeuge an, die voll bepackt mit Drogen zu den Abnehmern in die USA aufbrechen. Für das Vorjahr schätzt man, dass 25 Tonnen Kokain allein durch Honduras geschleust wurden – monatlich.

Kinder als Drogen-Kuriere

Verschärft wird die Situation dadurch, dass sich die Kartelle wegen des steigenden Drucks der Sicherheitsapparate in Kolumbien und Mexiko jetzt in Mittelamerika breitmachen, wo es – wie in Guatemala und Honduras – nur schwache staatliche Strukturen gibt (in Guatemala etwa bleiben 98 Prozent aller Morde unaufgeklärt).

"Kinder werden abhängig gemacht und dann als Drogen-Kuriere im Land losgeschickt. Früher schnüffelten sie Klebstoff oder Benzin, heute nehmen sie schon mit 13 oder 14 Jahren Crack oder Kokain", schildert "Casa"-Chef Capellin die erschreckende Lage.

Er und seine Organisation versuchen mit ihren Sozialprogrammen, die gefährdeten Burschen von der Straße wegzubekommen: "Wir wollen sie erleben lassen, dass es eine bessere Welt als die der Drogen und der Gewalt gibt."

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