Grass: "Werde an den Pranger gestellt"

Grass: "Werde an den Pranger gestellt"
Nach Veröffentlichung seines umstrittenen Israel-Gedichts, sieht sich der Autor als Opfer einer Kampagne.

Am Donnerstag, einen Tag nach Veröffentlichung seines Gedichts "Was gesagt werden muss" stellte sich Günter Grass auf seinem abgelegenen Anwesen der Öffentlichkeit. Kamerateams, Fotografen und Medienvertreter reisten in die kleine Gemeinde Behlendorf bei Lübeck – in Erwartung Grass würde verbal zurückrudern oder sich für sein Israel-Gedicht gar entschuldigen. Weit gefehlt: Ja, Israel gefährde mit seinen Atomwaffen den brüchigen Weltfrieden, bekräftigte der Autor in seinem Atelier. Ihm sei klar gewesen, eine Kontroverse auszulösen. Er wolle das Tabu brechen und Israels Atomwaffen öffentlich zum Thema machen und vor den verheerenden Folgen eines israelischen Angriffs auf Iran warnen. Eine Schande sei dabei die Rolle Deutschlands als drittgrößter Waffenlieferant weltweit, der auch Israel atomwaffentaugliche U-Boote liefere.

Der Vorwurf, er sei der ewige Antisemit, sei absurd, so Grass - sein Werk von der "Blechtrommel" bis zu seinem jüngsten Buch "Grimms Wörter" bezeuge das Gegenteil. In einem Interview mit dem NDR sah sich der Literatur-Nobelpreisträger als Opfer einer Kampagne: "Der durchgehende Tenor ist, sich bloß nicht auf den Inhalt des Gedichtes einlassen, sondern eine Kampagne gegen mich zu führen, und zu behaupten, mein Ruf sei für alle Zeit geschädigt."

Ähnlich der Tenor des Autors in dem Magazin Kulturzeit auf 3sat. „Ich werde hier an den Pranger gestellt.“ Allerdings räumte Grass hier einen Fehler ein: Es wäre besser gewesen, nicht von " Israel" generell zu sprechen, sondern von der "derzeitigen Regierung Israels".

Kritik

Der Kritik an Grass schloss sich am Donnerstag auch der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu an. "60 Jahre lang hat Herr Grass seine Vergangenheit als Mitglied der Waffen-SS verschwiegen", erklärte er. "Daher überrascht es nicht, dass er den einzigen jüdischen Staat auf der Welt als größte Bedrohung für den Weltfrieden ansieht und ihm sein Recht auf Selbstverteidigung abspricht".

Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland erneuerte seine Kritik. "Wer antisemitisch agitiert, wer judenfeindlich argumentiert, wer antisemitische Klischees zuhauf verwendet - was wäre der denn anderes als ein Antisemit?", schrieb Ratspräsident Dieter Graumann in einem Gastbeitrag für Handelsblatt Online.

Deutsche Politiker von Union, SPD und Grünen haben empört auf das Gedicht reagiert.

Gedicht "aufrichtig"

Der Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck, nahm Grass indes in Schutz. "Man muss ein klares Wort sagen dürfen, ohne als Israel-Feind denunziert zu werden", sagte er der Mitteldeutschen Zeitung. Grass habe nur einer Sorge Ausdruck verliehen, die er mit einer ganzen Menge Menschen teile.

Die Vereinigung "Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost" begrüßte das umstrittene Gedicht von Günter Grass als "aufrichtig" und verteidigte das Recht aller Deutschen, "die menschenverachtende Politik des Staates Israel zu kritisieren, ohne als Antisemiten diffamiert zu werden."

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