Frankreich: Verbeugung vor Marine Le Pen

MARINE LE PEN: Die 43-jährige Tochter des Front-National-Urgesteins Jean-Marie Le Pen spielt nach Erreichen des dritten Platzes auch für die Stichwahl eine gewichtige Rolle. Mit 17,9 % steigerte sie das Ergebnis ihres Vaters (10,44 %) deutlich.
Die Chefin des Front National treibt Präsident Sarkozy vor der Stichwahl weiter nach rechts, wünscht aber seine Niederlage.

Die schrillsten Jubelrufe seiner Anhänger erntete Nicolas Sarkozy, als er nach dem ersten Durchgang der Präsidentenwahl erklärte: „Die Bewahrung unserer Lebensart ist die Hauptsorge der Bürger. Unsere Grenzen müssen respektiert werden. Wir werden gegen Einwanderung und Fabrikverlagerungen kämpfen. Ich rufe alle Franzosen auf, die Liebe zum Vaterland vor Parteizugehörigkeit zu stellen.“ Das war eine unmissverständliche Verbeugung vor Marine Le Pen, die sich mit 18 Prozent der Stimmen am Sonntag an dritter Stelle nach dem Sozialisten François Hollande (28,6 Prozent) und Sarkozy (27,2 Prozent) gereiht hatte.

Im Gegensatz zu Hollande, der bloß mit einer knappen Floskel („Wir werden Sicherheit für alle herstellen“) dem Erfolg von Le Pen Tribut zollte, wirkten Sarkozys Worte wie eine Fortsetzung seiner bereits rechtslastigen Kampagne. Dabei hatte Sarkozy zuletzt das Kippen des freien Personenverkehrs in der Schengen-Zone als Wahlkampf-Trophäe in Aussicht gestellt.

Rekordergebnis

Umso beachtlicher ist, dass Marine Le Pen trotzdem genügend Spielraum rechts von Sarkozy fand, um das höchste Ergebnis ihres Vaters Jean Marie Le Pen – wenn auch nur knapp – zu übertrumpfen. Der Gründer der Rechtsaußenpartei „Front National“ war 2002 auf fast 17 Prozent gekommen. „Marine“, wie die 43-Jährige meistens genannt wird, konnte einen Teil des rechtsrechten Images ihres Vaters abstreifen. Bezüglich des Holocausts, den Le Pen-Vater gelegentlich herunterspielte, sprach die Tochter Klartext. Die zweifach geschiedene Anwältin und Abgeordnete im EU-Parlament, die mit einem Parteifreund unverheiratet zusammenlebt, zitiert auch mal Feministinnen, sorgt sich um Homosexuelle, die in Vororten von Jugendlichen gemobbt werden, und präsentiert sich als Verteidigerin der säkularen Republik. Das ist ein Grundprinzip, das eher zum Standardrepertoire der französischen Linken zählt, und für das Le Pen-Vater, der sich mit rechtskatholischen U­ltra-Traditionalisten verbündete, wenig übrig hatte. Freilich mündet das bei ihr in eine pauschale Stimmungsmache gegen Muslime: „Wie viele Mohamed Merah befinden sich in jedem Flugzeug oder Schiff, das Migranten nach Frankreich schafft?“, fragte sie nach der Mordserie des El-Kaida-Anhängers Merah an drei Kindern und einem Lehrer einer jüdischen Schule und an drei Soldaten in Toulouse im März. „On est chez nous“ (sinngemäß: daheim bestimmen wir) antworteten in Sprechchören ihre Versammlungsteilnehmer.

Jungwähler

Geschickt peilte sie beruflich gering qualifizierte Jungwähler an, auf die der Technokraten-Jargon der meisten Politiker wie eine Fremdsprache wirkt und die mit Kindern aus Migrantenfamilien um spärliche Jobangebote rivalisieren und sich gleichzeitig von kriminellen Banden aus den noch ärmeren Stadtrandsiedlungen bedrängt fühlen. Le Pen lockt mit der „absoluten Priorität“ für Franzosen bei der Jobvergabe (die aber bereits vielfach existiert) und für eine automatische „Notwehrvermutung“ bei Schusswaffen-Einsatz durch Polizisten. Dazu will sie die Abschaffung der Familienzusammenführung für Migranten und der Staatsbürgerschaft für deren in Frankreich geborene Kinder. Alle anderen Parteien seien korrupt, behauptet Marine Le Pen – dabei versanken die vom „ Front National“ in den 1990er-Jahren verwalteten Gemeinden in Südfrankreich allesamt in Skandalen. Sie wettert gegen „die Mächtigen und die Banken“, denen Hollande und Sarkozy gleichermaßen dienen würden: „Zwei Umschläge für denselben Inhalt.“

Sarkozy im Visier

Sarkozy im Visier Wobei sie freilich hauptsächlich Sarkozy im Visier hat: „Seine Bilanz ist ein Albtraum.“ Tatsächlich setzt sie auf seine Niederlage, um anschließend im verstörten bürgerlichen Oppositionslager die Führung zu übernehmen. Dafür will sie den Parteinamen ändern. „Wir sind ab nun die einzige Opposition gegen die ultraliberale Linke“, erklärte sie am Sonntag. Sarkozy kann daher auf keine Wahlempfehlung ihrerseits zählen. Laut Umfragen dürften rund 60 Prozent ihrer Wähler trotzdem bei der Stichwahl für Sarkozy stimmen. Das sind jene konservativen Wähler, denen die Forderung von Marine Le Pen nach Austritt Frankreichs aus dem Euro zu weit geht. Aber für einen Sieg müsste Sarkozy noch zusätzliche Wähler von Le Pen gewinnen. Und dafür wird Sarkozy nochmals eine Portion Nationalismus und EU-Kritik drauflegen.

 

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