Firmen engagieren Korruptionsjäger

Firmen engagieren Korruptionsjäger
Während sich die Politik noch Zeit lässt, machen Unternehmen wie Siemens und ÖBB im Kampf gegen schwarze Schafe Tempo.

Es war der größte Korruptionsskandal der deutschen Wirtschaftsgeschichte: Im November 2006 rückten 200 Steuerfahnder und Staatsanwälte aus, um die Standorte des Welt-Konzerns Siemens zu durchsuchen. Über Jahre soll das Unternehmen satte 1,3 Milliarden Euro Schmiergeld bezahlt haben, um Aufträge zu ergattern.

Die „Rechnung“ ging nicht auf: Das Unternehmen musste 2,5 Milliarden Euro für Strafen und Anwaltskosten berappen – zudem war das Image im Keller.

Seit 2007 ist alles anders. Der neue Siemens-Chef Peter Löscher holte einen Experten aus den USA in den Vorstand, der nur für „Compliance“ (engl. Befolgung) zuständig ist und dafür sorgt, dass interne Verhaltensregeln und gesetzliche Vorschriften eingehalten werden – auch in Österreich.

Das Beispiel macht Schule: ÖBB-Boss Christian Kern hat für die Bundesbahnen einen hauptamtlichen Korruptionsjäger engagiert; ab 1. April wird er werken. Auch die Telekom versucht mit Verhaltensregeln und einem Korruptionsbriefkasten („Whistleblowing“) moralischem Wirtschaften neuen Stellenwert zu geben.

Risiko

Sind Konzerne wie Siemens oder die ÖBB solcherart ein Vorbild für die Politik? „Die Privatwirtschaft geht jedenfalls aktiver mit dem Thema um“, sagt Hubert Sickinger, Experte für Parteien-Finanzierung. Gerade im anglo-amerikanischen Raum sei das Korruptionsstrafrecht bisweilen deutlich schärfer. „Und das bedeutet, dass Unternehmen, die etwa an der New Yorker Börse notieren, mitunter weltweite Strafverfolgung riskieren, wenn sie Korruptionsbestimmungen brechen.“ – Entsprechend seien Unternehmenspolitik und -bewusstsein.

In Österreich ist man von formalen Verhaltensregeln vorerst vergleichsweise weit entfernt: Neben Verhaltens-Kodices, die sich die Parteien geben könnten, fehlen gesetzliche Regeln für die Bekämpfung von Korruption: Das Lobbyisten-Gesetz liegt seit Monaten im Parlament; mit der Parteien-Finanzierung und deren Transparenz beschäftigt sich bloß eine Arbeitsgruppe; und auch ein Gesetz, mit dem das „Anfüttern“ von Politikern (z. B. Essenseinladungen zur Klimapflege) strafbar wird, will erst beschlossen werden.

Der Bundeskanzler hat zwar erklärt, dieses kommt vor dem Sommer, allein: Ähnliche Ankündigungen gab es in der Vergangenheit zuhauf. Für Parteien-Forscher Sickinger ist klar: „Österreich braucht ein strengeres Anti-Korruptionsrecht für die Parteien, denn die Erfahrung hat gezeigt: Darauf zu hoffen, dass in der Politik automatisch Anstand und Moral vorherrschen, ist blauäugig.“

Wobei das Prinzip „Drohen und Strafen“ für Politik wie Wirtschaft zu wenig sind. „Das Strafrecht hat bei der Korruptionsbekämpfung eine wichtige Funktion. Allerdings ist es nicht der Weisheit letzter Schluss. Wir wollen ja nicht in einer Gesellschaft leben, in der alle das tun, was gerade noch legal ist. Wichtiger ist, festzuhalten, was jemand tun soll – und nicht nur, was ihm droht, wenn er gegen Regeln verstößt“, sagt Georg Krakow. Der einstige Staatsanwalt ist „Compliance“-Experte in der Kanzlei Baker&McKenzie. Nicht alle Einzelfälle könnten und sollten durch Gesetze geregelt werden: „Das Annehmen und Aussprechen von Einladungen an sich ist ja nicht falsch oder böse. Entscheidend ist aber, dass interne und externe Transparenz gegeben sind. “

Teures Essen

Anhaltspunkte und Vorbilder für die Politik gibt es zur Genüge: So helfen die ÖBB ihren Mitarbeitern mit einem Verhaltenskodex („Code of Conduct“), Entscheidungen zu treffen, damit ihnen diese später nicht zum Verhängnis werden könnten. Essenseinladungen müssen „grundsätzlich“ dem Vorgesetzten gemeldet werden; „besonders teure Lokale“ sind tendenziell tabu, im Zweifelsfall entscheidet der Chef, was geht.

Auch bei Siemens müssen sich die rund 350.000 Mitarbeiter an gewisse firmeninterne Regeln halten. In dem Konzern gilt die Null-Toleranz-Politik. Das bedeutet, bis auf die berühmten „3 K“ (Kaffee, Kugelschreiber und Klumpert) dürfen die Mitarbeiter nichts annehmen.

Bei Treffen mit Politikern dürfen sich die Mitarbeiter nicht einladen lassen – und auch keine Einladungen aussprechen. Wer unsicher ist, kann eine Info-Stelle kontaktieren. Dort können auch Verstöße gegen die Anti-Korruptionsvorschriften gemeldet werden. 600 Mitarbeiter sind heute bei Siemens für den „Compliance“-Bereich zuständig.

Überbordende Bürokratie? Im Gegenteil: Der Konzern hatte im Vorjahr das beste Ergebnis seiner Geschichte – und gleichzeitig stieg das Image. Ein Anreiz für die Politik?

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