Europas Schande: Grass-Gedicht über Griechenland

Günter Grass hat ein neues Gedicht geschrieben. Nach seiner umstrittenen Israelkritik nimmt er sich nun Europas Umgang mit Griechenland vor.

Knapp zwei Monate nach seinem umstrittenen israelkritischen Gedicht geht Literaturnobelpreisträger Günter Grass (84) in neuen Versen mit Europas Griechenland-Politik hart ins Gericht. Das Gedicht, das an diesem Samstag in der Süddeutschen Zeitung erscheint, trägt den Titel „Europas Schande“. Grass beklagt darin, dass Griechenland „als Schuldner nackt an den Pranger gestellt“ und „unter Schrottwert taxiert“ werde. Es sei ein „rechtloses Land, dem der Rechthaber Macht den Gürtel enger und enger schnallt“.

Das Gedicht besteht aus zwölf je zweizeiligen Strophen. Grass spricht darin Europa direkt an. Das Werk beginnt mit den Zeilen „Dem Chaos nah, weil dem Markt nicht gerecht, bist fern Du dem Land, das die Wiege Dir lieh“. Griechenland werde „abgetan“: „Als Schuldner nackt an den Pranger gestellt, leidet ein Land, dem Dank zu schulden Dir Redensart war.“

Zur Armut verurteilt

Der Autor beklagt, dass Griechenland zur Armut verurteilt sei, ein „kaum noch geduldetes Land“. Europa wirft er vor, dem Land den Giftbecher zu trinken zu geben: „Sauf endlich, sauf! schreien der Kommissare Claqueure, doch zornig gibt Sokrates Dir den Becher randvoll zurück“, schreibt Grass unter Anspielung auf den griechischen Philosophen Sokrates, der nach einem Todesurteil den Schierlingsbecher getrunken hatte.

Grass spielt offenbar auch auf die deutsche Besatzung Griechenlands im Zweiten Weltkrieg an: Diejenigen, die das Land mit Waffengewalt heimgesucht hätten, „trugen zur Uniform Hölderlin im Tornister“. Zum Schluss warnt der Dichter Europa vor einem Götterfluch und mahnt: „Geistlos verkümmern wirst Du ohne das Land, dessen Geist Dich, Europa erdachte.“

Kein Kommentar

Sein neues Werk wird der Literaturnobelpreisträger nicht weiter kommentieren. „Er möchte es nicht ergänzen“, sagte seine Sprecherin Hilke Osohling am Samstag. Alles, was er zu sagen habe, stehe in dem Gedicht.

In seinem Anfang April - ebenfalls in der Süddeutschen Zeitung - veröffentlichten Gedicht „Was gesagt werden muss“ hatte Grass Israel vorgeworfen, als Atommacht den Weltfrieden zu gefährden. Der Iran sei von einem atomaren Präventivschlag durch Israel bedroht, der das iranische Volk auslöschen könne. Das Gedicht hatte international für Empörung gesorgt und Grass den Vorwurf des Antisemitismus eingetragen. Israel hatte den Autor zur unerwünschten Person erklärt. Grass sah eine Kampagne gegen sich.

Günter Grass war mit seinem Roman „Die Blechtrommel“ (1959) weltbekannt geworden. 1999 erhielt er den Literaturnobelpreis. Grass galt lange als moralische Instanz in Deutschland. Sein spätes Eingeständnis (2006 in seinem autobiografischen Werk „Beim Häuten der Zwiebel“), dass er kurz vor Kriegsende bei der Waffen-SS war, brachte ihm jedoch den Vorwurf ein, viel von seiner moralischen Glaubwürdigkeit verspielt zu haben.

Das Gedicht in Auszügen

Dem Chaos nah, weil dem Markt nicht gerecht,
bist fern Du dem Land, das die Wiege Dir lieh.

Was mit der Seele gesucht, gefunden Dir galt,
wird abgetan nun, unter Schrottwert taxiert.

Als Schuldner nackt an den Pranger gestellt, leidet ein Land,
dem Dank zu schulden Dir Redensart war. (...)

Rechtloses Land, dem der Rechthaber Macht
den Gürtel enger und enger schnallt. (...)

Außer Landes jedoch hat dem Krösus verwandtes Gefolge
alles, was gülden glänzt gehortet in Deinen Tresoren.

Sauf endlich, sauf! schreien der Kommissare Claqueure,
doch zornig gibt Sokrates Dir den Becher randvoll zurück. (...)

Geistlos verkümmern wirst Du ohne das Land,
dessen Geist Dich, Europa, erdachte."

Das ganze Gedicht finden Sie auf der HP der Süddeutschen Zeitung.

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