Dringend gesucht: Der Blick in die weite Welt

Dringend gesucht: Der Blick in die weite Welt
Die Freude am primitiven Alltagsstreit gefährdet bald auch unseren Wohlstand.

Und wieder ist eine Woche der politischen Sprechblasen ins Land gegangen. "Millionärssteuer" rufen die einen, die anderen suchen in einer "Schuldenbremse" ihr Glück. Selbst wenn beides käme, unsere wirklichen Probleme wären damit nicht gelöst. Am besten wäre es, die Regierung würde auf ihre nächste Klausur verzichten, die Minister gingen stattdessen in eine Buchhandlung, würden sich zwei Bücher kaufen und dann mit Mitarbeitern aus diesen lernen.

Henry Kissinger, US-Außenminister zwischen 1973 und 1977, vor allem aber Türöffner von Präsident Nixon in China, beschreibt dieses Land: "China, Zwischen Tradition und Herausforderung." Thomas Friedman, Kolumnist der New York Times , beschäftigt sich mit seiner Heimat: "That used to be us."

Abstieg der USA

Dieser Buchtitel bezieht sich auf eine Rede von Präsident Obama. Im November des Vorjahres beschrieb er den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Chinesen so: "Wir haben eben erfahren, dass China jetzt den schnellsten Supercomputer auf der Erde hat. That used to be us." Also - früher waren die Amerikaner der Maßstab der technologischen Entwicklung, das ist nun vorbei.

Friedman beklagt, dass sich die USA nach dem Angriff auf das World Trade Center vor 10 Jahren nicht mit den Gewinnern der Globalisierung beschäftigt hat, sondern gegen die Verlierer dieser Entwicklung in den Krieg gezogen sind. Dabei hat Amerika vernachlässigt, die Schulden abzubauen, die Energiepolitik umzustellen und das Erziehungssystem zu verbessern. Die Politiker müssen endlich den Leuten erklären, dass Bildung die Grundlage für unseren Wohlstand ist. Sie sollen ins Ausland fahren, um Vorbilder für Reformen zu suchen.

Henry Kissinger erläutert in seinem Bestseller im Detail, dass sich China in den letzten Jahren nicht nur wirtschaftlich weiterentwickelt hat. Aus dem isolierten Reich der Mitte, das diplomatische Kontakte nur unter Druck akzeptierte, ist ein Staat geworden, der zu politischer Kooperation bereit ist. Gleichzeitig erleben wir chinesische Machtdemonstrationen, wie die Testfahrt des ersten chinesischen Flugzeugträgers. In den an Rohstoffen reichen Ländern Afrikas ist die wirtschaftliche - und politische - Expansion Chinas zu beobachten.

Alpen-Disneyland

Die USA sind auf dem Rückzug, die Chinesen im Vormarsch, China ist inzwischen wichtigster Gläubiger der USA und Investor in Europa - wo bleibt da die Rolle der Europäischen Union? Und was machen wir, ein kleines, überschuldetes und überverwaltetes Land, das vom Export abhängig ist?

Unsere Politiker müssen sich entscheiden, ob sie sich weiter Gratiszeitungen kaufen wollen und dann auch noch glauben, was sie dort lesen - oder ob sie von den großen Denkern unserer Zeit lernen. Wir können ein europäisches Alpen-Disneyland werden und auf chinesische Milliardäre hoffen. Oder wir bauen ein Europa, das mit diesen Herausforderungen mithalten kann.

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