Dilettanten: „Wollen anstelle des Könnens"

Dilettanten: „Wollen anstelle des Könnens"
Sie machen Politik, verkaufen faule Finanzprodukte und verschaukeln uns im TV. Weil wir es bewundern, es mit nichts zu etwas zu bringen. Sagt Autor Thomas Rietzschel.

Je weniger wir Herr der Dinge sind, desto mehr haben wir gelernt, den Anschein zu erwecken“, schreibt der Kulturgeschichtler und Autor Thomas Rietzschel in „Die Stunde der Dilettanten“ – und jedem fallen wohl die verschiedensten Beispiele ein, vom Kanzler bis zur TV-Diskussionsleiterin, vom Firmen-Chef bis zum Überflieger-Kollegen, vom Finanzberater bis zum Fernseh-Superstar. Doch Vorsicht: Wir sind selbst all zu oft Dilettanten, die sich nur allzu gerne „verschaukeln lassen“. Ein Gespräch über das Wollen, das vor dem Können steht, und warum das so gefährlich ist.

Wir leben in einer Zeit, in der uns in den Medien, den Talkshows, den Nachrichten Experten für praktisch alles begegnen – und Sie schreiben ein Buch über die Stunde der Dilettanten. Wieso?

Das Expertentum, das uns vorgeführt wird, ist nicht immer ein Expertentum in der Sache. Wenn Sie in der Finanzkrise ein bisschen zurückdenken: Die Vorstände der gescheiterten Banken traten allesamt als große Finanzexperten auf.

 

Dilettanten: „Wollen anstelle des Könnens"

Im Bankwesen kannten sie sich aber aus.

Nein, in der Krise stellte sich heraus, dass sie von dem, was sie zu verstehen vorgaben, zu wenig und allzu oft nichts verstanden haben. Sie haben den Finanzmarkt nicht beherrscht, die Produkte, die sie uns verkauften, selbst nicht verstanden. Das, worauf sie sich verstanden haben, ist die große Kunst des Dilettanten: sich und der Welt etwas vorzumachen. Bildung wird durch die Einbildung, sie zu haben, ersetzt.

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Okay, nächstes Beispiel?

Die Vorspiegelung politischer Kompetenz, die wir alle paar Wochen in Brüssel erleben. Da wird so getan, als würde etwas bewegt, wenn jedes Mal die endgültige Lösung verheißen wird. Das ist nichts als Theater, die Vorspiegelung von Handlung.

Politiker haben von nichts eine Ahnung?

Dilettantismus schließt nicht aus, dass Fachwissen und großes Expertentum in einem kleinen bestimmten Gebiet vorhanden sein können. Was der Dilettant aber nicht kann, ist die Dinge im Zusammenhang zu begreifen. Und damit kann nicht nur der Politiker zerstörend wirken. Beispiel: Facebook. Marc Zuckerberg ist ein Experte von hohen Graden, er hat bald eine Milliarde Nutzer weltweit und damit eine enorme Macht. Was ihm fehlt, ist die kulturelle Kompetenz, mit dieser Macht umzugehen.

Aber kann der Mensch, der Bankvorstand, der Manager, der Politiker überhaupt alles wissen und alle Zusammenhänge begreifen?

Er muss nicht alles wissen. Er muss zumindest an der Sache, die er vertritt, interessiert sein. Der Dilettant dagegen betreibt die Sache allein, um persönlichen Gewinn aus ihr zu ziehen. Er will sich in einer Rolle spiegeln. Das erleben wir in der Politik ganz ausgeprägt. Sie hatten in Österreich Jörg Haider, der Politiker gewesen ist, weil er sich als solcher gefiel. Wir haben in Deutschland unter anderem unseren Außenminister Guido Westerwelle, der in dem Moment, als er das Amt seiner Träume erreicht hatte, nichts mehr mit dem Amt anzufangen wusste. Wir haben Politiker, die ihre Rolle verkörpern wie der Schauspieler auf der Bühne den Wallenstein – aber niemand würde dem Schauspieler in der Wirklichkeit ein Heer anvertrauen. Nur wir, die wir uns in unserem eigenen Dilettantismus nicht beirren lassen wollen, geben den Schauspielern alle Macht.

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Sie schreiben, wir alle sind Dilettanten, weil wir Computer bedienen, die wir eigentlich nicht verstehen, uns mit Sachen befassen müssen, die über unseren Horizont hinausgehen. Aber ist das Tempo der Entwicklung nicht zu groß, um da rauszukommen?

Aus dieser Schere kommen wir nicht raus, das stimmt. Wir sind gezwungen, uns dilettantisch durchzuschlagen. Mittlerweile aber ist der Dilettantismus eine gesellschaftsprägende Lebenshaltung geworden.

Inwiefern?

Weil wir heute in der Vorstellung leben, alles sein zu können, was wir sein wollen. Wir müssen uns nichts mehr aneignen, an die Stelle des Könnens ist das Wollen getreten. Jeder kann es mit dieser Haltung zum Superstar bringen. Man kann gar nicht unbegabt und unwissend genug sein, um es nicht zu etwas zu bringen.

Das könnte man auch als Chancenverbreiterung begrüßen.

Bloß: Es wird nicht mehr der geachtet, der etwas kann, sondern der, der es nicht kann und es dennoch versucht, weil er uns in unserer eigenen Unzulänglichkeit bestätigt. Das Einzige, wo wir Überlegenheit noch dulden, ist der Sport – da spüren wir unsere Leistungsgrenzen körperlich.

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Der Dilettant erfüllt unsere Wünsche?

Ja, er lebt uns das vor, was wir sein wollen. Deshalb verfolgen wir begeistert die Kandidaten in der Millionenshow bei Günther Jauch. Sie sind uns nicht wirklich überlegen, wir können uns immer einbilden, ihnen ebenbürtig zu sein. Oder denken sie an den mäßig begabten Sänger Paul Potts.

Naja, aber das sind kurze Phänomene.

Was nichts an der Tatsache ändert. Da war einer, der nichts perfekt konnte und es dennoch ganz nach oben schaffte. Während uns der Experte immer an die eigene Unzulänglichkeit erinnert. Wir leben in einer dekadenten Gesellschaft und wollen uns einfach nicht mehr die Laune durch den Zweifel an den eigenen Fähigkeiten verderben lassen.

Die Dilettanten in der Unterhaltungsbranche sind aber die harmlose Variante.

Die in der Politik sind gefährlicher, weil wir ausbaden müssen, was sie einfältig oder eitel anrichten. Und sie werden mehr, weil wir es ihnen so leicht machen. Dilettantismus ist immer die Erscheinung einer leistungsmüden Gesellschaft. Wir wollen uns nicht mehr den Anforderungen aussetzen, wir wollen in unseren Illusionen bestätigt werden. Insofern machen wir es den Dilettanten, die uns das Eiapopeia vom Himmel versprechen, sehr leicht, uns zu verschaukeln.

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Da sind wir wieder bei der Finanzkrise.

Die Makler, die uns alle möglichen faulen Produkte verkauft haben, haben uns den Eindruck vermittelt, sie verkauften das Glück auf Erden, jeder durfte dem Traum nachhängen, mit dem bisschen, was er hat, den ganz großen Reibach zu machen. Weil wir etwas haben wollen, lassen wir uns jeden Bären aufbinden. Von Politikern wie von Finanzberatern wie Carsten Maschmeyer, gegen dessen AWD in Österreich 2500 Klagen anhängig sind. Der Mann hatte Erfolg, nicht weil er gute Produkte anbot, sondern weil er sich selbst als erfolgreich inszenierte, akklamierende Prominenz um sich scharte, von Gerhard Schröder bis Veronika Ferres.

Wieso ist Angela Merkel eine Dilettantin – die rettet doch gerade Europa?

Tut sie das? Nein, Angela Merkel verfolgt keine politischen Ziele. Seit sie Chefin der CDU ist, hat die Partei ihr Profil verloren, ist austauschbar. Alles, was sie tut, zielt auf den Machterhalt ab, darauf, Bundeskanzlerin zu bleiben. Da ist sie nicht gehemmt durch irgendwelche politischen Ziele. Deshalb kann sie heute für die Atomkraft sein und morgen dagegen, sie kann uns heute sagen, mit ihr wird es keinen Rettungsschirm geben, und morgen Milliarden dafür in den Sand setzen. Sie ist der dilettantische Tatmensch par excellence.

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Aber ist es nicht schwierig, als Politiker an einer Weltanschauung festzuhalten, wenn die Konkurrenz des Populisten mit den einfachen Botschaften immer größer wird?

Ja. Das macht die Sache aber nicht besser. Wenn wir auf dieser Bahn weiter abwärtsdriften, verlieren wir die Grundlagen unserer Zivilisation. Im Ergebnis entsteht eine Gesellschaft skrupelloser Selbsthelfer.

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Und wie kommt man da wieder raus?

Indem wir anfangen, uns wieder auf das zu besinnen, was unsere Gesellschaft konstituiert hat: auf tradierte Wertvorstellungen und auf die bildungsgetragene Vernunft vor allem. Ihr verdanken wir unseren Wohlstand. Indessen sind wir aber in eine Gesellschaft geglitten, in der sich jeder selbst der Nächste ist, „ich“ muss mich durchsetzen. Die Selbstverwirklichung ist ins Zentrum aller Bemühungen gerückt. Bekommen haben wir im Gegenzug eine Gesellschaft atomisierter Individuen, die heute nur noch über Facebook freundschaftlich zusammenfinden.

Sie reden vom bildungspolitischen Kulturverfall und nennen die Rechtschreibreform als Beispiel.

Sie ist Beispiel dafür, wie Reformen von Dilettanten in Gang gesetzt werden, die von der Sache nichts verstehen. Die Rechtschreibreform hat sich nicht aus der Entwicklung der Sprache ergeben, sie ist ein soziales Projekt gewesen: Die Sprache wurde auf ein Maß reduziert, das der gerade verfügbaren Bildung noch halbwegs entspricht.

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Wie das Promi-Portal TMZ.com unter Berufung auf eine Facebook-Sprecherin meldete, sei der Ring vom Bräutigam selbst entworfen worden und mit einem "einfachen Rubin" besetzt.

Aber die Kehrseite der Medaille, alles können zu sollen, ist doch in der Schule, dass man Schwächen nachbüffelt anstatt Talent und Stärken zu fördern und damit alles auf ein Durchschnittsniveau nivelliert wird?

Es wird nivelliert, und zwar zulasten der Schwachen. Wir fördern in der Breite, damit alle zumindest formal den gleichen Abschluss erreichen. Die Anforderungen bleiben auf der Strecke. Auf eine vertrackte Weise werden die, denen es am schwersten fällt, links liegen gelassen. Denn tatsächlich kommt es bei der Bildung doch gar nicht darauf an, dass alle das Abitur ablegen, jeder studiert. Das lässt sich statistisch schon irgendwie deichseln, senken wir halt das Niveau noch ein bisschen ab. Nein, Bildung muss in der Gesellschaft einen Wert darstellen, sie muss ihr etwas bedeuten. Mit der Bildung hat sich das Bürgertum einst sein eigenes Wertesystem geschaffen, ihr hat es im 19. Jahrhundert Paläste gebaut, Museen, Universitäten, Bibliotheken.

Bloß waren die nicht allen zugänglich.

Aber es entstand das Verlangen, Zugang zur Bildung zu finden, auch in den bildungsferneren Schichten. Es gehörte zum proletarischen Stolz, sich Bildung anzueignen. Die Arbeiterbildungsvereine entstanden in der Mitte des 19. Jahrhunderts, das Volkshochschulwesen expandierte in den 1920er-Jahren. Es blieb einem totalitären System, dem Nationalsozialismus, vorbehalten, dieses Volkshochschulwesen wieder kaputt zu machen. Das sollte uns zu denken geben. Schließlich ist die Bildung auch heute kein Wert mehr, von dem man sich viel verspricht.

Haben Sie in diesem Kulturpessimismus eigentlich irgendwo auch einen optimistischen Ansatz oder Ausweg?

Kein Patentrezept. Ich glaube aber, dass wir wieder mehr „Moralisten“ brauchen, keine kleingeistigen Beckmesser, sondern die kritischen Geister, von denen Erich Kästner sagte, dass sie zwar auf dem „verlorenen Posten“ sitzen, aber dennoch nicht aufhören können, auf dem Recht der Vernunft zu beharren. Wir müssen uns die politischen Eliten so ja nicht gefallen lassen, wir sind nicht gezwungen, sie zu wählen. Und es gibt durchaus Hoffnungszeichen, wenn Sie etwa sehen, was an Bürgerbewegungen gerade jetzt entsteht. Es ist der Mittelstand, der in Stuttgart gegen den Neubau eines Bahnhofs auf die Straße ging, den die Politik mit potentatenhafter Machtanmaßung durchsetzen will. Auch die Occupy-Bewegung rekrutiert sich nicht mehr aus Autonomen und Radikalen. Die Bürger sind nicht dumm, sie werden nur allzu oft für dumm verkauft.

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