Die Politik wird zur Parallelgesellschaft

Liebe Leserinnen und Leser
Im Parlament herrscht akuter Sauerstoffmangel. Das schränkt das Denken ein.

Je weniger die Leute wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, umso besser schlafen sie." Der Satz stammt von Otto von Bismarck, dem deutschen Reichskanzler, dem Demokratie ein Gräuel war. Bismarck starb 1898, im österreichischen Parlament dürfte er aber heimliche Fans haben. Der Versuch von SPÖ und ÖVP, die Aufklärung von Korruption abzudrehen, ist undemokratisch und dazu auch noch dumm.

Der neue SPÖ-Star Otto Pendl spricht zwar wie ein Mann aus dem Volk, aber die Windungen und Drehungen seiner Argumente, warum für den Kanzler andere Gesetze gelten müssen, versteht außerhalb der Bannmeile des Parlaments niemand. Im Nationalrat hat sich eine Parallelgesellschaft gebildet, die mit dem Leben im Rest des Landes nichts mehr zu tun hat.

Bei einer Veranstaltung der Beratungsgruppe Boston Consulting diskutierten kürzlich Wissenschafter und Manager, wie die Bildung besser organisiert werden könne. Bald waren sich alle Teilnehmer einig: Wir müssen Konzepte entwickeln, die sich ohne Politik umsetzen lassen. Politik? Die nimmt heute keiner mehr ernst.

"Freie" Abgeordnete

Die Politik nimmt sich ja selbst nicht ernst, sonst würde sie noch einige Grundsätze beachten. Die Gewaltenteilung der Verfassung wird auf den Kopf gestellt. Das Parlament sollte die Regierung kontrollieren, bei uns ist es aber umgekehrt. Zwar läuft es nicht mehr ganz so schlimm wie früher, als angeblich "frei" gewählte Abgeordnete unterschreiben mussten, jederzeit auf ihr Mandat zu verzichten. Aber den Parlamentariern sitzt die Angst im Nacken, nicht mehr auf die Liste zu kommen. So bauen SPÖ und ÖVP, zwei Parteien, die immer kleiner werden, ihre Macht aus. Zumindest in ihrer kleinen Parallelwelt.

Aber weil man ja auch die Medien kontrollieren will, versucht man einfach, sie zu kaufen. Und manche bieten sich geradezu an. Jetzt wird Herr Stronach am Boulevard bejubelt. Warum: Weil sie da funktioniert, Stronachs "Goldene Regel": "Wer das Gold hat, macht die Regel." Wer sich gegen Druck wehrt, wird unter Druck gesetzt, Peter Pilz erzählt es im Detail (siehe Bericht).

Nur steht es in der Verfassung ganz anders. Journalisten haben – etwa durch das Redaktionsgeheimnis – Privilegien, die nur durch ihre Aufgabe als "public watchdog", als öffentlicher Aufpasser, zu begründen sind. Der Befund ist einfach: In keinem anderen Land Europas ist der gekaufte Journalismus so ausgeprägt wie in Österreich. Wer in London oder Zürich ein "Busen-und Po-Blatt" oder eine U-Bahn-Zeitung in die Hand nimmt, wird kaum öffentliche Inserate finden. Bei uns gehören sie zum Geschäftsmodell. Und die SPÖ hat noch immer nicht kapiert, dass die Schreibweise der schlichten Blätter immer nur den rechten Populisten hilft.

Aber immerhin macht die Regierung jetzt das einzig Richtige – sie arbeitet ein Programm für das letzte Jahr ihrer Amtszeit aus. Vorläufiger Arbeitstitel könnte sein: Auf der Suche nach der Lebenswelt der normalen Österreicher.

Kommentare