Die Mühen der Balkan-Staaten mit der EU

Der österreichische Diplomat Valentin Inzko ortet sinkendes Interesse der EU für den Balkan.
Der Österreicher Valentin Inzko ist Repräsentant für Bosnien und Herzegowina. Er zieht Bilanz der Balkan-Politik der EU 2011.

Der österreichische Spitzendiplomat Valentin Inzko hat als Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina einen Job mit unbeschränkten Befugnissen: Er kann Politiker entlassen, Gesetze für nichtig erklären. Inzko, seit 2009 Generalbevollmächtigter der Staatengemeinschaft für Bosnien-Herzegowina, gilt als exzellenter Balkan-Kenner. KURIER: Herr Botschafter, das Balkan-Engagement der EU lässt nach. Erzeugt dieses politische Nichtstun gescheiterte Staaten? Valentin Inzko: Es gibt eine Erweiterungsmüdigkeit und ein sinkendes Interesse für den Balkan. Dazu kommen größere Probleme wie Libyen, Ägypten, Syrien. Der Balkan ist dadurch nicht mehr im inneren Kreis des Radars. Andererseits ist bei Kroatien die Entscheidung zugunsten der Vollmitgliedschaft gefallen.

Ist es ein Fehler, Serbien so lange zappeln zu lassen ? Die Serben waren sehr unglücklich, als sie jetzt im Dezember keinen EU-Kandidatenstatus bekommen haben. Zumindest zwei größere Staaten der EU waren meines Wissens dagegen (Deutschland, Niederlande, Anm.) . In der EU brauchen viele Dinge sehr lange, schließlich funktioniert es aber doch. Bei Spanien dauerte es neun Jahre, bei uns zusammen mit dem Schengen-Beitritt acht Jahre. Auch Serbien wird an die Reihe kommen. Für Serbien wird es beim EU-Gipfel im März 2012 gute Nachrichten geben, ebenso für Montenegro Bosnien-Herzegowina steht am Abgrund, mehr als ein Jahr nach den Wahlen gibt es keine Regierung, Korruption überall. Hat das Land eine Perspektive? Vorerst soll das Dayton- Bosnien voll funktionsfähig werden, weiters soll durch eine Verfassungsänderung allen Bürgern die Möglichkeit eröffnet werden, für sämtliche Ämter im Staat zu kandidieren. Derzeit sind Minderheiten davon ausgeschlossen. Langfristig ist aber die Vollmitgliedschaft in EU und NATO die einzige Perspektive. Europa ist ein Friedensprojekt, erst wenn alle Staaten des alten Kontinents diesem EU-Europa angehören, wird dieses Projekt abgeschlossen sein. Halten Sie die Abspaltung des serbischen Teiles von Bosnien für möglich? Nein. Das wäre ein posthumer Triumph für Milošević und ein Beweis, dass sich ethnische Säuberung lohnt. Dem wird die Internationale Gemeinschaft niemals zustimmen. Auch ich nicht als Hoher Repräsentant. Außerdem wäre es eine Niederlage für die Humanität. Denn das würde bedeuten, dass wir Menschen nicht zusammenleben können. Das darf es nicht geben. Der Zerfall Jugoslawiens ist abgeschlossen. Weitere Abspaltungen wird es nicht mehr geben. Nimmt die EU Ihr Versprechen noch ernst, eine aktive Balkan-Politik zu machen? Im Vergleich zur EU ist die Balkanpolitik der Türkei ungemein aktiv. Andererseits verfügt die EU über eine gigantische Erweiterungsmaschinerie, wo enorm viel technische Arbeit geleistet wird. Es ist aber kein Geheimnis, dass zurzeit der Nahe Osten alle politischen Kapazitäten der EU beansprucht. Die EU will, dass Serbien im Gegenzug zum Kandidatenstatus die Eigenstaatlichkeit des Kosovo anerkennt. Ist das die Lösung? Ich sehe im Modell China- Taiwan einen möglichen Lösungsansatz: Eine intensive Zusammenarbeit auf allen Gebieten. Davon würden die Serben in Zentral- und Südkosovo am meisten profitieren, vorerst ohne formelle Anerkennung. Die serbischen Politiker sind in einer schwierigen Lage: Sie berufen sich auf die UN-Resolution 1244, aber obiger Weg wäre gangbarer. Andererseits haben viele bedeutende Staaten wie die USA oder Frankreich und weitere 100 Länder den Kosovo anerkannt. Pragmatismus ist das Gebot der Stunde.

Zur Person: Valentin Inzko Herkunft Geboren im Mai 1949 im Rosental. Inzko ist Kärntner Slowene. Laufbahn Jus-Studium in Graz. Diplomaten-Laufbahn 1996– 1999 österreichischer Botschafter in Bosnien, 2005– 2009 in Slowenien. Seit Juni 2010 auch Vorsitzender des Rates der Kärntner Slowenen. Top-Job Seit März 2009 ist Valentin Inzko Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina und zugleich EU-Sonderbeauftragter für Bosnien. Er ist nach Wolfgang Petritsch der zweite Österreicher in dieser Funktion.

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