Der stille Exodus der verfolgten Christen

Beten in der Öffentlichkeit: Das ist für viele Christen in Nahost und Nordafrika nicht mehr möglich. Der Trend geht in Richtung Auswanderung.
Im Irak ist es zu gefährlich, Weihnachten zu feiern. Tausende Christen flüchten aus ihren Heimatstaaten im Nahen Osten.

Es ist feucht und dunkel in dem Keller in Bagdad, in dem Safiya und ihre Familie ausharren. Wenn sie das Geld hätten, würden sie flüchten. In die Kurdengebiete im Norden des Landes, wo so viele der anderen Christen aus Bagdad hingegangen sind. Strom haben sie im Keller keinen, und sie wollen auch nicht durch brennendes Licht auf sich aufmerksam machen. In der irakischen Hauptstadt ist es für Christen mittlerweile so gefährlich geworden, dass sie meist gar nicht mehr auf die Straße gehen können, ohne attackiert oder in manchen Fällen gar massakriert zu werden. Befreundete muslimische Nachbarn kaufen für Safiyas Familie ein. An ein Weihnachtsfest, vielleicht sogar mit Christbaum, ist nicht zu denken.

Verschlechtert

Die Situation von Christen im Nahen Osten hat sich in den vergangenen Jahren weiter verschlechtert. Der deutsche Nahost-Experte Udo Steinbach steckt im KURIER-Gespräch vier politische Rahmenbedingungen für die schlechte Stellung der Christen in der Region ab: den Nationalismus, der sich nach dem Ersten Weltkrieg in der Region verstärkt hat; die Staatsgründung Israels und die Rolle des Westens im Nahostkonflikt; der Zerfall zentralstaatlicher Autorität (etwa im Irak); und die dadurch immer stärker werdende Rolle radikal-islamischer Kräfte. Der Sturz von Saddam Hussein 2003 war für die chaldäisch-katholischen Christen im Irak keine Erlösung.

Im Gegenteil: Seither ist rund die Hälfte von ihnen aus dem Irak geflohen, Tausende wurden zu Binnenflüchtlingen. Sie gingen in den kurdischen Norden, wo es weniger Übergriffe gegen sie, aber auch generell weniger Terroranschläge allgemein gibt. Heute leben noch rund 385.000 Christen im Irak, doch ihr Alltag ist ein täglicher Kampf ums Überleben – gezeichnet von Einschüchterung, Demütigung, Entführungen, Folter und Morden.

Ägypten

In Nordafrika sieht es so aus, als würden Christen als Verlierer aus dem Arabischen Frühling hervorgehen. Anstelle der gestürzten Regime scheint ein politischer Islam zu treten. Wie sich die Revolutionen in der arabischen Welt konkret auf die Religionsfreiheit auswirken werden, könne man allerdings noch nicht voraussagen, sagt der Menschenrechtsexperte von „Kirche in Not“, Berthold Pelster.

Der Arabische Frühling hat die Situation der Christen in Ägypten auf jeden Fall stark beeinflusst. Wo Christen und Muslime während der Revolution noch nebeneinander für einen Rücktritt von Präsident Mubarak demonstriert haben, wird es für die rund sieben Millionen koptischen Christen immer schwieriger. Auch wenn die interimistische Militärregierung einige Maßnahmen zum Schutz der Christen getroffen hat, kommt es vermehrt zu Übergriffen und Anschlägen auf Kirchen.

Syrien

Die maronitischen Christen in Syrien befürchten indes den Staatsverfall. Die Beispiele Irak und Ägypten schrecken sie ab. Sie befürchten eine Ablösung der Baath-Partei und in Folge ein Machtvakuum, in dem radikale Kräfte regieren, erklärt Steinbach. Und auch im Libanon und in Palästina können Christen ihre Religion nicht in Sicherheit ausüben. In Bethlehem, dem überlieferten Geburtsort Jesu, sind nur noch 25 Prozent der Einwohner Christen, vor zehn Jahren waren es noch 30 Prozent. „Wer kann, wandert aus den Palästinensergebieten aus“, sagt Steinbach. Die Christen leiden sowohl wirtschaftlich an den Schikanen der Israelis, als auch sozial unter den Palästinensern, die sie als Kollaborateure der israelischen Erzfeinde sehen.

Christen im Nahen Osten und Nordafrika wird von muslimischen Landsleuten vorgeworfen, „Lakaien des Westens“ zu sein, glaubt Steinbach: Viele sind seit Jahrhunderten mit Rom verbunden. Der Westen sieht sich als Schutzmacht. Im Kolonialismus hatten Christen in dieser Region bessere Aufstiegschancen und besseren Zugang zu Bildung als Muslime.

Heimat

„Sie sehen sich als Teil der orientalischen Kultur – sie wollen in ihrer Heimat bleiben“, sagt Steinbach. Doch in den meisten Ländern machen sie nur noch weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus. Auch wenn viele gerne bleiben würden, der Trend gehe hin zu einer vollständigen Auswanderung – mit den Zielen Europa, Australien, Kanada und USA.

Lage von Christen weltweit

Weltweit werden nach Schätzungen von „Kirche in Not“ rund 100 Millionen Christen in 50 Staaten verfolgt. Die meisten sind in China, Ägypten, Nigeria, Pakistan, im Irak, in Indien und im Nordsudan. Rund drei Viertel dieser Länder sind islamisch geprägt. Aber nicht immer sind es radikale Islamisten, die für die Christen bedrohlich sind. In anderen Staaten, etwa China oder Nordkorea, leiden sie unter totalitären Systemen. In China herrscht eine kommunistische Regierung, zu deren Staatsideologie der Atheismus gehört. Die Religionsgemeinschaften unterliegen strenger staatlicher Kontrolle, vor allem in den letzten Jahren fahre die Regierung einen sehr restriktiven Kurs, sagt Menschenrechtsexperte Berthold Pelster von „Kirche in Not“. Hoffnung gebe es aber für Christen in Burma, wo es offenbar eine leichte Öffnung gibt.



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