Der entfesselte Kämpfer Sarkozy

Der entfesselte Kämpfer Sarkozy
Frankreich: Mit Stegreif-Einlagen und brachialem Spott kann der Präsident seine Anhänger neu begeistern. Seine Wahlchancen steigen.

Der Saal johlt, die Menge klatscht ekstatisch: Nicolas Sarkozy führt ein Selbstgespräch auf offener Bühne, er schneidet Grimassen, gestikuliert, stemmt sich gegen das Rednerpult, so als wolle er es umwerfen. "Sie wünschen sich die Linke an der Macht?", fragt er einen fiktiven Gegner, und antwortet sogleich: "Dann bekommen Sie Griechenland oder Spanien, wo man ja sieht, was fünf Jahre Sozialismus gebracht haben."

Es ist der häufigste Stehsatz von Sarkozy – aber nicht der einzige, mit dem er seine Anhänger begeistert. Der bürgerliche Staatschef kämpft erbittert um seine Wiederwahl, fast täglich absolviert er eine Kundgebung.

Er ist so entfesselt wie nie zuvor. Nicht einmal während seiner Kampagne 2007, die ihn ins Präsidentenamt gehievt hatte, war er derartig in Verve. Weihevolle Zurückhaltung war ja nie seine Stärke, aber jetzt, da ihm Umfragen mit monotoner Regelmäßigkeit eine Niederlage in der Stichwahl gegen den SP-Kandidaten François Hollande prophezeien, kann Sarkozy nach Herzenslust zuschlagen. So als wäre er der Oppositionstribun, der die "hochmütigen Pariser Zirkeln" in die Schranken weisen müsste.

Seine Watschenmänner: Die Sozialisten ("die Kaviar-Linke in ihren schicken Vierteln, weitab vom Volk"); die neuen Migranten ("bloß erpicht auf unsere, weltweit großzügigsten Sozialhilfen"); die EU ("ein Technokratenzirkel, der unsere Grenzen zersiebt"); die "politisierenden Gewerkschaften". Und natürlich die Grünen.

Letztere hätten im Rahmen eines Wahlabkommens den SP-Kandidaten in seine "irre" Absicht getrieben, Frankreichs ältestes AKW abzuschalten.

Tsunami im Elsass

Der entfesselte Kämpfer Sarkozy

Das ist der Clou des Sarko-Spektakels: Weil die AKW-Skepsis auch in Frankreich durch die Folgen der Tsunami-Katastrophe in Japan weiteren Auftrieb erhielt, unterstellt Sarkozy dem SP-Kandidaten, dieser würde das AKW in der elsässischen Ortschaft Fessenheim wegen der Gefahr eines Tsunami abschalten wollen: "Ich schau auf die Landkarte. Fessenheim? Liegt das nicht im Elsass? Wo ist das Meer?", grübelt der Präsident und der Saal tobt vor Lachen.

Dabei gilt das 35 Jahre alte AKW, das sich obendrein in einer Erdbeben-Zone befindet, auch unter atomfreundlichen Experten als altersschwach. Außerdem zielt Hollande nur auf eine sehr langfristige Aufweichung des Quasi-Monopols der Atomenergie an Frankreichs Stromerzeugung.

Auch sonst nimmt es Nicolas Sarkozy mit der Wahrheit nicht so genau: So fordert er von der Europäischen Union, unter ultimativer Androhung des Austritts aus dem Schengener Abkommen über den freien Personenverkehr, eine Verstärkung der EU-Außengrenzen, an der Brüssel in Wirklichkeit bereits arbeitet.

Der Präsident verspricht auch, Frankreichs Budgetdefizit von derzeit über fünf Prozent bis 2016 auf null zu senken, und das ohne weitere Anhebung der generellen steuerlichen Belastungen. Sarkozys vorgelegte "Berechnungen" seien "so klar wie eine Vorlesung in Sanskrit", ätzte das Magazin C­anard enchainé.

Versprechungen

Allerdings gelten die Versprechungen seines Herausforderers Hollande, der trotz Postenaufstockung im öffentlichen Dienst das Nulldefizit bis 2017 anpeilt, als ebenso unrealistisch.

Sarkozy reißt freilich seine Anhänger mit, wenn er eine Volksabstimmung über schnellere Abschiebung von Migranten in Aussicht stellt: "Wir wollen unsere Lebensart, unsere Zivilisation bewahren", hämmert der Präsident.

Umfragen zeigen, dass Sarkozy mit dieser Gangart bereits einen gehörigen Teil von Wählern, die sich von der Rechtsaußen-Politikerin Marine Le Pen angezogen fühlten, wieder zurückgewinnen konnte. Robin Reda, 21, Chef des Jugendverbands der Präsidentenpartei UMP im Pariser Vorort Juvisy, bestätigt den Klimawandel: "Noch im Herbst glaubte kaum jemand mehr an Sarkozys Chancen. Jetzt hören uns die Leute wieder aufmerksam zu."

 

 

 

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