D: Europas Zahl- und Zuchtmeister

D: Europas Zahl- und Zuchtmeister
Feindbilder: In Südeuropa wird in der Krise wieder das Bild des übermächtigen Deutschland, das Europa unterjocht, strapaziert.

Der greise Altkanzler hatte eine Warnung an seine Landsleute. „Schändliche Kraftmeierei“ sei das, mahnte Helmut Schmidt vor wenigen Tagen auf dem SPD-Parteitag, wie manche deutsche Politiker zurzeit ihren EU-Partnern begegnen würden. „Argwohn und böse Erinnerungen“ würden die Forderungen nach einer deutschen Führungsrolle wecken.

Doch gerade an der zweifelt in diesen Krisenzeiten kaum jemand. Wenn heute in Brüssel der schicksalsträchtige EU-Gipfel beginnt, starrt alles auf Europas größte Wirtschaftsmacht. „Die Zukunft des alten Kontinents ist in den Händen Deutschlands und nur dieses Landes alleine“, schreibt die französische Tageszeitung Le Monde . Die spanische El Pais nennt Kanzlerin Angela Merkel die „tatsächliche Präsidentin der EU“.

Hitlerbärtchen

Hinter solchen Analysen verbirgt sich mehr als die nüchterne Anerkennung deutscher Wirtschaftskraft. Die Angst vor den übermächtigen Deutschen, die ganz Europa unterjochen, macht sich breit, egal, ob sie wie einst in Schaftstiefeln einmarschieren oder heute als Oberaufseher über die Budgets der Schuldnerstaaten. Am deutlichsten wird das in Karikaturen. Von Italien bis Polen trägt die deutsche Kanzlerin auf einmal Hitlerbärtchen und Wehrmachtsuniform. „Die neue Gestalt deutscher Macht“, kommentiert eine italienische Tageszeitung hämisch eine derartige Darstellung. Und in Polen versteigen sich nationalistische Politiker wie Ex-Premier Jaroslaw Kaczynski zu Untergriffen: Man lehne „das Strammstehen“ vor den Deutschen ab, meinte er.

Für den spanischen Politikwissenschaftler Armando Fernandez Steinko steckt darin die Enttäuschung über das Ende einer Illusion: „Das war doch ein Deal. Ein Teil Europas produziert Waren, und der andere Teil kauft sie“, analysiert der Experte gegenüber dem KURIER die Sicht der Spanier: „Man will sich nicht von Deutschland bevormunden lassen.“

Gerade die Zögerlichkeit der Merkel-Regierung, drastische Entscheidungen zu treffen, hat in den EU-Staaten, denen die Schulden bis zum Hals stehen, das Gefühl der Machtlosigkeit noch weiter verstärkt. Man habe keine andere Chance, beklagte sich etwa ein Regierungsberater in Madrid, als die Entscheidungen der Deutschen abzuwarten, ohne die Möglichkeit, die Situation unter Kontrolle zu kriegen.

Für die Griechen, die dem Kollaps ihrer Wirtschaft und ihrer Sozialsysteme seit Wochen ins Auge blicken, ist dieses Gefühl längst in offene Aggression umgeschlagen, nicht nur gegen die eigene Regierung, sondern auch gegen jene im entfernten Berlin, die diktatorisch Sparmaßnahmen verlangt. Und an Diktaturen – bis 1974 regierte hier eine – hat man in Griechenland noch recht lebendige Erinnerungen. „Ich habe das Gefühl“, meint ein Journalist zum KURIER, „ich lebe schon wieder unter einer Junta.“

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