CSU-Friedrich: "Notbremse bei Schengen"

Der deutsche Innenminister über die Grenzkontrollfreiheit auf dem Balkan, islamistische Terror-Gefahren und die Euro-Rettung.

Wenige Regierungspolitiker in Berlin sprechen so direkt wie Innenminister Hans-Peter Friedrich ( CSU). Er tat es auch im ersten Interview für ein österreichisches Medium.

KURIER : Herr Minister, zuletzt flogen in Österreich fünf Schlepperversuche über Balkan-Routen auf, was auf eine hohe Dunkelziffer illegaler Einwanderung hindeutet. Sollen Bulgarien und Rumänien trotzdem noch heuer in den grenzkontrollfreien "Schengen"-Raum kommen?
Hans-Peter Friedrich:
Nein. Ein sofortiger Schengen-Vollbeitritt, also der Wegfall sämtlicher Personenkontrollen, kommt derzeit nicht in Frage. Die EU-eigenen Berichte zeigen sehr deutlich, dass es noch viel zu tun gibt bei der Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität. Das hat mich veranlasst, zusammen mit den Freunden in Frankreich und den Niederlanden die Notbremse bei Schengen zu ziehen. Als äußerste Maßnahme ist eine Öffnung der Luft- und Seegrenzen denkbar, hier ist das Risiko überschaubar.

Wann sollte frühestens der volle Beitritt von Rumänien und Bulgarien erfolgen?
Wir wollen keinesfalls einen Automatismus. Der Druck auf Bulgarien und Rumänien, Fortschritte bei der Korruptions- und Kriminalitätsbekämpfung zu erzielen, muss noch größer werden. Wir sollten uns vornehmen, das Thema im Sommer 2012 erneut auf die Tagesordnung des Rates zu setzen.

Die EU-Kommission geht noch weiter und will ein Vetorecht gegen die Aussetzung des freien Grenzverkehrs wie zuletzt in Dänemark und Frankreich. Billigen Sie diese Abgabe nationaler Souveränität nach Brüssel?
Ich werde dagegen allen Widerstand mobilisieren, der mir zur Verfügung steht. Die Frage der Sicherheit ist Kernaufgabe eines Staates, wir sind nicht bereit, neue Kompetenzen auf die EU-Kommission zu übertragen. Für die Sicherheit unserer Bürger sind wir verantwortlich. Wir lassen uns von Brüssel nicht vorschreiben, wann wir Kontrollen durchführen. Wenn wir es für notwendig halten, machen wir sie auch.

Hoffen Sie auf Österreich als Verbündeten?
Absolut. Österreich ist ein guter Verbündeter. In vielen Mitgliedsstaaten gibt es hin und wieder Versuche, Wirtschafts- vor Sicherheitsinteressen zu stellen. Aber man muss sich im
Klaren sein, dass in der heutigen Situation die Sicherheit absolute Priorität haben muss: Es wäre schlimm, wenn wir in der EU zu unseren wirtschaftlichen auch noch Sicherheitsprobleme bekämen.

Deutschland hat damit ja Erfahrung: Islamistischen Attentäter von 9/11 haben sich unbemerkt jahrelang in Hamburg vorbereitet. Könnte es derzeit noch so eine unentdeckte Gruppe geben?
Wir sind damals von Art, Umfang und Grausamkeit dieser Anschläge völlig überrascht worden. Als Antwort darauf hat sich in den letzten zehn Jahren viel verändert: Nicht nur technisch sind wir auf die Bekämpfung dieser neuen Art Terror vorbereitet, sondern wir haben eine internationale Kooperation mit fast allen Ländern der Welt. Einen Anschlag mit ähnlichem logistischen Vorlauf halte ich deshalb heute nicht mehr für möglich.

Bisher wurden alle konkreten Anschlagsversuche in Deutschland primär durch Warnungen ausländischer, vor allem von US-Diensten, verhindert. Wie sehr behindert der extreme Datenschutz Ihre Erkenntnisgewinnung?
Das ist immer ein Zusammenwirken vieler Faktoren und nie monokausal. Auch wir bringen in dieses Netzwerk unseren Anteil ein, trotz des weitreichenden Datenschutzes. Es braucht ein Gleichgewicht mit der Sicherheit. Deshalb haben wir die Anti-Terror-Gesetze gerade verlängert.

Wie viele islamistische Gefährder gibt es hier?
Wir haben etwa 1000 Personen, bei denen wir von einem islamistisch-terroristischem Potenzial sprechen. Davon gelten 128 als sogenannte Gefährder, mit ganz konkreten Hinweisen auf ihre Gewaltbereitschaft. 20 waren in Terrorcamps, die würde ich potenzielle Terroristen nennen. Die werden ganz besonderes überwacht.

Sind nicht "hausgemachte", also nicht vernetzte islamistische Extremisten, wie sie jetzt in Berlin aufflogen, noch schwerer zu orten?
Seit dem ersten gelungenen Islamisten-Anschlag am 2. März (zwei Tote am Frankfurter Flughafen) wissen wir, welche Gefahr radikalisierte Einzeltäter darstellen. Wir müssen noch wachsamer sein.

Das dominante Thema ist die Rettung des Euro, genauer: spekulierender Banken und unseriöser EU-Länder. Für die will Ihre Kanzlerin zwei Drittel des Bundeshaushalts verpfänden. Mit welchem Gefühl gehen Sie in diese Abstimmung?
Die klare Botschaft lautet: Unser Geld ist nicht gefährdet. Die Basis für den Euro ist eine insgesamt sehr gute, seriöse europäische Volkswirtschaft. Und im Vergleich zu anderen sind die Probleme in Griechenland, Italien und Spanien noch relativ harmlos. Die Frage aber ist: Wie sorgen wir für Wettbewerbsfähigkeit im ganzen Euro-Land. Dazu ist der Rettungsschirm der richtige Weg: Hilfe gegen klare Auflagen.
Die Sozialdemokraten wollen Eurobonds, das ist der falsche! Es wäre Hilfe ohne Einflussmöglichkeiten, so wie im deutschen Länderfinanzausgleich. Wir Bayern zahlen da jährlich zwei Milliarden Euro und schauen zu, wie man uns eine lange Nase dreht - ohne dass sich was ändert bei den Empfängern.

Ihr Parteifreund Peter Gauweiler sagt: Das hoch verschuldete Deutschland erhöht seinen Schuldenrahmen, um noch mehr verschuldeten Staaten mehr Schulden zu ermöglichen. Laut den Umfragen gibt ihm die Mehrheit der Deutschen recht. Was ist daran falsch?

Wir reduzieren gerade unsere Schulden, wir haben in den Rettungsschirm, der ja nur Garantien und keine Transfers gibt, bisher noch keinen Euro deutsches Steuergeld gezahlt. Und wir haben den Empfängern der Garantien ganz klare Vorgaben gemacht, die schon wirken: Italien erhöht die Mehrwertsteuer, Spanien nimmt wie Deutschland eine Schuldenbremse in die Verfassung, Portugal ebenfalls und Griechenland bemüht sich wenigstens. Wir sind mit dem Rettungsschirm auf dem richtigen Weg - auch wenn einen der nicht freut.

Kein Bauchweh bei der Abstimmung am 29. September?
Nein. Wir würden in Europa kein Land pleitegehen lassen, auch wenn wir den Euro nicht hätten, sondern noch die alten Währungen. Das Entscheidende ist, bei denen, die unsere Hilfe wollen, eine Verhaltensänderung durchzusetzen. Und da hilft das Urteil des Verfassungsgerichts, das dem Parlament die Kontrolle zuspricht. Das macht Druck.

Zur Person: Der höchste Bayer in Berlin

Karriere Hans-Peter Friedrich, 54, kommt aus Oberfranken, dem nördlichsten Teil Bayerns, und ist dort auch CSU-Bezirkschef. Der Jurist und Familienvater war zuletzt Fraktionschef der CSU im Bundestag und ist seit März Bundesinnenminister. Er setzte in der kurzen Zeit schon betont andere Akzente als sein Vorgänger Thomas de Maizière, der dem zurückgetretenen Verteidigungsminister Guttenberg folgte. Seit dessen Ausscheiden aus der Politik wegen Plagiaten in der Doktorarbeit gilt Friedrich als Favorit für eine eventuelle Nachfolge von CSU-Chef Seehofer.

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