Cohn-Bendit: "Soziale Revolten kommen"

Daniel Cohn-Bendit
Der grüne EU-Parlamentarier über EU-Krise, Sparprogramme, Haider und Strache sowie die Fußball-WM 2014.

Als "roter Danny" war er eine der Galionsfiguren der Studentenrevolte 1968 in Paris. Heute ist Daniel Cohn-Bendit Fraktionsführer der Grünen im EU-Parlament. Ein KURIER-Interview mit dem glühenden Europäer, der auf Einladung des Renner-Instituts in Wien war.

KURIER: Was halten Sie vom Krisenmanagement der EU im gegenwärtigen Finanz- und Schuldendesaster?
Daniel Cohn-Bendit:
Sie haben so viele unterschiedliche Krisenmanager: Die Regierungschefs, die (EU-) Kommission, den Präsident der Union, Herrn Van Rompuy, und das deutsch-französische Traumpärchen (Kanzlerin Merkel, Präsident Sarkozy) . Sie mussten immer zum Jagen getragen werden, als dass sie selbst etwa die Föderalisierung Europas vorangetragen hätten. So hat das Krisenmanagement auch zur Krise beigetragen.

Meinen Sie mit Föderalisierung die "Vereinigten Staaten von Europa"?
Das werden wir von heute auf morgen nicht schaffen. Aber klar ist, dass mehr vergemeinschaftet werden muss.

Etwa mit einer EU-Wirtschaftsregierung?
Merkel und Sarkozy haben eine Wirtschaftsregierung vorgeschlagen, die sich alle sechs Monate trifft. Das ist lächerlich. Wenn, dann brauchen wir eine schlagkräftige Wirtschaftsregierung. Die einzige Institution, die das kann, wäre die Kommission.

Aber wie wollen Sie Ihrem "Traumpaar" näherbringen, dass es Kompetenzen und Souveränität abgeben muss?
Das ist der Kampf. Sie sehen aber, dass sie es alleine nicht können. Die Krise zwingt die Akteure zu Schritten, an die sie zuvor im Traum nicht gedacht hätten. Was wir brauchen ist eine Vergemeinschaftung der Investitionsmöglichkeiten und der Schulden. Konkret: Eurobonds, die es Staaten ermöglichen, mit stabileren Krediten über die Runden zu kommen.

Eine Transferunion also?

Die haben wir ja längst. Was sind denn Strukturfonds, was war denn die Agrarpolitik? Das sind Transfers.

Dann müssten die Deutschen noch mehr zahlen, sie jammern aber jetzt schon, dass zu viel Geld nach Brüssel fließt. Jammern sie zu Recht?
Ich glaube die Österreicher jammern genauso. Das ist das Wesen vieler Völker. Aber wahr ist, dass Deutschland und Österreich profitieren.

Wäre es billiger und sinnvoller, wenn Griechenland die Eurozone verlässt?
Das ist Quatsch. 1977 war New York pleite - da leben ungefähr so viele Menschen wie in Griechenland. Sind die aus dem Dollar ausgetreten? Nein. Da muss man die Schulden restrukturieren. Na klar werden Banken Geld verlieren. Aber nach der Restrukturierung wird Griechenland wieder auf die Beine kommen und einen Großteil der Schulden zurückzahlen können. Zugleich muss man mit dem Land vereinbaren: In den nächsten Jahren reduziert Ihr Eure Militärausgaben um 80 Prozent. Griechenland pumpt vier Prozent des BIPs ins Verteidigungsbudget, Deutschland zwei Prozent.

Gespart wird in ganz Europa, vor allem im Sozialbereich. Wie viel ist den Menschen zumutbar?
Das ist ein Problem: Die Menschen sehen nicht ein, dass immer dieselben die Zeche bezahlen müssen. Die Kluft zwischen denen, die in Wohlstand leben, und denen, die das nicht können, wird immer größer. Deswegen rebellieren die Menschen. Es wird soziale Revolten geben.

Warum kann die Linke von der Krise des Kapitalismus nicht profitieren?
Zunächst einmal: Die Linke wird in Frankreich gewinnen (2012) , auch in Deutschland (2013) und in Italien (2013). Jeder, der an der Macht ist, verliert. Richtig ist aber, dass auch die Linke keine Alternativen hat.

Was sollte sie also tun?

Wenn man heute Politik macht, muss man sagen: Wir haben die und die Vorschläge, es ist aber ein Risiko dabei, dass nicht alles aufgeht. Man darf den Menschen nicht immer das Gelbe vom Ei versprechen. Man muss ehrlich sein und Fehler zugeben können. Nur so gewinnt man das Vertrauen der Bevölkerung.

Aber die will von der etablierten Politik immer weniger wissen. Denken Sie an die Piratenpartei, die in Berlin ohne Programm aus dem Stand auf neun Prozent kam.
Das kann ich erklären: Man fordert von den Grünen, dass sie vernünftig und regierungsfähig werden. Wenn sie das tun, machen sie einen Raum frei für eine urbane Schicht, die nicht vernünftig sein will, die sagt: Macht doch verrückte Vorschläge, die vernünftigen klappen eh nicht.

Andernorts aber sammeln Rechtspopulisten Stimmen.
Ja, es gibt die Macht von kleinbürgerlichen rassistischen Stammtischen. Wenn ich mir die FPÖ oder die "Wahren Finnen" anschaue, denke ich mir, die sollten einmal ein halbes Jahr regieren. Dann würden die Leute sehen, was daraus wird. So wie sie in Österreich gesehen haben, dass dieser Haider ebenso korrupt war wie die, die er angegriffen hat. Und genauso ist der Strachmann ...

FPÖ-Chef H. C. Strache. . .
Strache, Strachmann. Das Erschreckende ist, dass diese Gesellschaften nicht mehr an sich glauben. Das schwächt das Polit-System und ist gefährlich. Dass wir autoritäre Regime sehen werden, hoffe und glaube ich eher nicht.

Reizt es Sie nicht, Präsident Frankreichs zu werden?
Das ist nicht mein Ding. Ich bin Europaparlamentarier, das ist meine Identität, nationale Politik interessiert mich nicht. Und in drei Jahren höre ich ganz auf. Dann möchte ich bei der Fußball-WM in Brasilien 2014 einen Film machen.

Zur Person: Daniel Cohn-Bendit

Leben Seine politischen Sporen verdiente sich Daniel Cohn-Bendit (66) bei der Pariser Mai-Revolution 1968. Frankreich warf den frechen Revoluzzer raus - der machte umgehend bei den Grünen in Deutschland Karriere. 1994 wurde Cohn-Bendit zum ersten Mal ins Europa-Parlament gewählt.

Privat Der grüne Realo lebt in Frankfurt, ist deutscher Staatsbürger, hat einen Sohn und ist seit 1997 mit seiner langjährigen Freundin Ingrid Apel verheiratet.

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