China: Der Prinzling auf dem Thron

China: Der Prinzling auf dem Thron
In drei Wochen übernimmt Xi Jinping die Macht. Er wird die Entwicklung der Welt entscheidend mitprägen, doch sein Kurs ist unklar.

Nur zwei Tage nach der Wahl des US-Präsidenten, der oft als "Führer der freien Welt" bezeichnet wird, findet in Peking ein mindestens ebenso bedeutendes Ereignis statt: Die "5. Generation" der Kommunistischen Partei Chinas übernimmt für zehn Jahre die Macht über die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt.

Doch während Barack Obama und Mitt Romney dem Votum der Wähler entgegenzittern müssen, ist die Entscheidung in der Volksrepublik längst gefallen: Xi Jinping wird zum Generalsekretär der KP ernannt und im Frühjahr auch das Präsidentenamt vom scheidenden Hu Jintao übernehmen. Das Time-M­agazin nennt Xi bereits den "Führer der unfreien Welt". Als Premier wird ihm Li K­eqiang zur Seite stehen.

Tochter in Harvard

China: Der Prinzling auf dem Thron

Xi Jinping wird der Welt ein neues Gesicht Chinas zeigen: Er ist weit gereist, tritt lockerer auf als frühere KP-Führer. Seine zweite Ehefrau Peng Liyuan ist eine bekannte und attraktive Volkssängerin, gehört dem Gesangsensemble der Volksbefreiungsarmee an. Seine 20-jährige Tochter Mingze studiert unter falschem Namen in Harvard. Auch Xis Schwester und seine erste Frau leben im Ausland.

Doch für welchen Kurs der neue starke Mann steht, hat der geschmeidige Konsens­politiker Xi bisher nicht erkennen lassen. Anders hätte er das an Stolperfallen reiche Auswahlverfahren, in dem die Interessen aller Machtgruppen delikat ausbalanciert werden müssen, auch kaum überstanden. Nach 63 Jahren absoluter Macht herrscht in Chinas festgefügter KP eine konservative Grundstimmung, die keine neuen Revolutionen zulässt.

Der Arabische Frühling war für die roten Führer ein gewaltiger Schock, ist ein Aufstand der Volksmassen doch ihr schlimmster Albtraum. Die explodierende Zahl spontaner Proteste gegen Chinas korrupte Kader, gegen Landenteignung, schlechte Arbeitsbedingungen, die Ungleichheit von Arm und Reich schüren diese Ängste zusätzlich.

Deswegen wurde der Repressionsapparat in den vergangenen Jahren wieder hochgefahren, Dissidenten und Kritiker bekommen die volle Härte des Regimes zu spüren, die Zensoren sind wieder emsig am Werk – auch wenn sie im Internet und in den sozialen Netzwerken weit schwerer zu bekämpfende Gegner haben als früher.

Teure Paranoia

Stabilität um jeden Preis lautet die Devise der Führung. 110 Milliarden Dollar lässt sie heuer für Sicherheit springen – Geld, um das die nach mehr Einfluss heischende Armee, verschiedene Sicherheitsbehörden und lokale Führer rittern. In diesem Klima der Verunsicherung und eines verlangsamten Wirtschaftswachstums sind auch von Xi anfangs keine großen Sprünge zu erwarten. Renommierte China-Experten geben ihm zwar gute Noten (siehe unten) , zuerst muss er aber seine Macht absichern.

Der 59-jährige Xi ist ein "Prinzling", entstammt also altem Parteiadel. Sein Vater war ein Mitkämpfer Mao Zedongs, fiel aber während der Kulturrevolution ab 1966 in Ungnade. In dieser Zeit wurde sein Sohn zur Feldarbeit in die Provinz verschickt, lebte sieben Jahre in einer Löss-Höhle. "Ich habe mehr Bitternis gegessen als die meisten Leute", sagte Xi einmal.

Doch die Zeiten änderten sich, sein Vater wurde rehabilitiert und gestaltete die erste Phase der wirtschaftlichen Öffnungspolitik mit. Xi studierte Chemie, Jus und Marxismus, durchlief die klassischen Stufen der Partei-Karriere, diente sich auf Provinzposten hoch, bis er 2007 im höchsten Machtzentrum landete – dem Ständigen Ausschuss des Politbüros.

Saubermann

In seinen früheren Ämtern zeigte sich Xi offen für Marktwirtschaft und hart gegen Korruptionisten. Laut WikiLeaks-Enthüllungen schätzen ihn US-Diplomaten als unbestechlich ein. Der überraschende Sturz von Bo Xilai – ebenfalls ein Prinzling und einst Hoffnungsträger der Parteilinken – wegen Korruption gilt als Signal dafür, dass dieser Saubermann-Kurs fortgesetzt wird.

Auch wenn die Machtübergabe jetzt perfekt durchchoreografiert ist, muss Xi Jinping mit Widerständen rechnen. Der künftig von neun auf sieben Personen verkleinerte Ständige Ausschuss des Politbüros entscheidet im Kollektiv und erzwingt immer Kompromisse. Und die Tatsache, dass der Parteikongress so spät angesetzt wurde, deutete in den Augen vieler China-Beobachter auf heftige Auseinandersetzungen hin.

Auch Xis mehrwöchiges Verschwinden aus der Öffentlichkeit im September bleibt rätselhaft. Experten behaupten, der 59-Jährige sei mit anderen Funktionären bei einem Unfall schwer verletzt worden und habe sogar Brüche erlitten. Sie wollen auf TV-Bildern erkennen, dass die Beweglichkeit seiner rechten Körperhälfte beeinträchtigt sei. Auch diese Version wirft aber Fragen auf: Denn welche Art von Unfall können streng bewachte KP-Größen schon erleiden? Oder war es doch ein Anschlag?

Chinas neue Führung, die über die weltweit größten Devisenreserven verfügt und die Entwicklung der globalen Wirtschaft maßgeblich mitbestimmen wird, bleibt unberechenbar und rätselhaft.

Die sieben Vorzüge des Herrn Xi Jinping

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In keinem anderen Land werden die Entwicklungen in China und die Ränkespiele von dessen kommunistischen Führern so genau beobachtet wie in Taiwan. Immerhin hängt die eigene Zukunft maßgeblich von ihnen ab.

Chong-Pin Lin gilt als renommiertester China-Kenner Taiwans, war Vize-Verteidigungsminister, beriet den Nationale Sicherheitsrat und saß in der Behörde für die Kontakte zu Festland-China. Vor dem Machtwechsel in Peking verteilt er Vorschusslorbeeren an Xi Jinping. Lin attestiert ihm sieben Vorzüge gegenüber allen seinen Vorgängern:

■ Xi hat viel Erfahrung im Umgang mit den USA

■ als Sohn eines Mao-Mitstreiters der ersten Stunde verfügt er über ein solides Standing in der KP

■ er weiß auch die einflussreiche Armee hinter sich

■ er hat einen – wenn auch möglicherweise abgeschriebenen – Doktortitel

■ Xi kennt die Taiwan-Frage genau, arbeitete er doch 17 Jahre lang in der benachbarten Festland-Provinz Fujian

■ der neue starke Mann ist, für China ungewöhnlich, mit einer glamourösen Frau verheiratet

■ die bekannte Sängerin ist bekennende Buddhistin, und auch Xi zeigt Interesse an spirituellen Fragen. "Dies könnte ihm helfen, die Zeitbomben in Tibet und Xinjiang zu entschärfen", meint Professor Lin.

Bei all diesen Vorzügen übersehen er und andere China-Experten nicht, dass im Ständigen Ausschuss des Politbüros kollektive Entscheidungen getroffen werden. Die höchste Machtzentrale sei ein Ort unumgänglicher Kompromisse. Deswegen werde auch die fünfte Führungsgeneration den Durchbruch zur Demokratie nicht schaffen.

Den Sturz des einstigen Polit-Stars Bo Xilai werten Taiwans Experten als Signal dafür, dass künftig noch härter gegen korrupte Kader und deren unersättliche Familienclans vorgegangen werden soll. Sie sind eines der größten Probleme der Partei, weil sie den berechtigten Zorn der Massen anstacheln.

Bo Xilais Frau wurde wegen Mordes an einem britischen Geschäftsmann zum Tod verurteilt – mit Vollstreckungsaufschub. Ihr Mann wartet auf seinen Prozess wegen Machtmissbrauchs, Bestechlichkeit und sexueller Verfehlungen. Bo sei so etwas wie der Pate aller Korruptionisten in den höchsten Gremien gewesen, sein Fall eine Kampfansage der neuen Führung.

So sehr man in Taiwan die enormen Fortschritte Chinas in den vergangenen Jahrzehnten auch würdigt – die Unsicherheit bleibt bestehen. Denn trotz des aktuellen Tauwetters warten die Inselbewohner bisher vergeblich auf eine Gewaltverzichtserklärung Pekings.

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