Budapest: Torten gegen rechte Tiraden

Budapest: Torten gegen rechte Tiraden
Die größte jüdische Gemeinde Osteuropas blüht, doch Rechtsradikale schüren die antisemitische Stimmung.

Rachel Raj hätte das Zeug zur Hollywood-Diva. Kerzengerade sitzt sie da, die strahlend schöne junge Frau, bis in die Fingerspitzen gestylt, in ihrem kleinen Schwarzen und mit atemberaubend hohen Stöckelschuhen. In Ungarn ist Rachel längst ein Star, hat sich durch unzählige TV-Sendungen gekocht und sich mit ihren speziell jüdischen Torten-Kreationen einen Namen gemacht. In ihrem kleinen "Tortaszalon" im jüdischen Viertel Budapests floriert das Geschäft so sehr, dass die Jungunternehmerin daran denkt, nach einer zweiten nun auch noch eine dritte Konditorei mit speziell jüdischen Süßigkeiten zu eröffnen. Juden und Nicht-Juden stehen bei Rachel Schlange.

Antisemitismus, wehrt die 31-Jährige ab, habe sie bisher kaum gespürt, aber, sagte sie, "ich kann ja meine Augen und Ohren nicht verschließen vor dem, was in Ungarn vor sich geht". In den vergangenen Monaten haben sich antisemitische Vorfälle gehäuft: Jüdische Friedhöfe wurden geschändet, ein früherer Oberrabbiner wurde auf offener Straße attackiert, das Denkmal für den schwedischen Judenretter Wallenberg (siehe unten) verunstaltet. Beim jüngsten Freundschaftsspiel Ungarn gegen Israel in Budapest buhten Fußballfans beim Abspielen der israelischen Hymne und johlten: "Juden raus".

Seit Auftauchen der rechtsextremen Jobbik-Partei hat die anti-jüdische Stimmung stark zugenommen. Ein Fünftel der Ungarn sympathisiert mit der offen rassistischen Partei, im Parlament ist sie die drittstärkste Kraft. Jobbik richtet ihre Wut und Hetze vor allem gegen die 700.000 Roma im Land, doch im Fahrwasser der Angriffe gegen alles "Nicht-Ungarische" wurde auch der Ton gegen die  geschätzten 130.000 Juden zuletzt rau.

Selbstbewusst und jüdisch

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Die jüdische Gemeinde in der ungarischen Hauptstadt ist die größte in Osteuropa. Hier, im jüdischen Viertel, pulsiert das Leben. Die vielen neuen und alten jüdischen Bars, Cafés und Restaurants sind gut besucht, für Jugendliche ist es hip, hier Freitagabend auszugehen. Nur hin und wieder kommen orthodoxe Juden mit ihrem langen Mantel vorbei. Die große Mehrheit von Ungarns Juden lebt selbstbewusst und jüdisch, aber nicht streng gläubig.

So wie Szabo György, der zehn Jahre in Israel lebte, dann aber doch wieder nach Ungarn heimkehrte. Nur durch Zufall hatte er als Jugendlicher erfahren, dass er jüdische Wurzeln hat. "Wenn ich damals nicht den Personalausweis meiner Mutter gefunden hätte, wüsste ich vielleicht bis heute nicht, dass ich Jude bin."

Wie dem 46-Jährigen erging es Tausenden seiner Generation. Wer den Holocaust überlebte, dem in Ungarn über 500.000 Juden zum Opfer gefallen waren, zog es in den folgenden Jahren des Kommunismus oft vor, über seinen jüdischen Hintergrund zu schweigen. Selbst Csanad Szegedi, einer der rabiatesten Jobbik-Abgeordneten, musste vor Kurzem diese Erfahrung machen: Seine Großmutter war Jüdin.

Ungarns rechte FIDESZ-Regierung, die den anti-semitischen Hasstiraden der Jobbik lange nichts entgegensetzte, versucht nun gegenzusteuern. Erstmals sind neue Töne zu hören: "Wir müssen alle verfügbaren Instrumente nutzen, um alle antisemitischen Phänomene in unserer Gesellschaft zu bekämpfen", forderte jüngst Vize-Außenminister Zsolt Nemeth. "Ungarn muss ein Land werden, wo jeder Bürger sicher leben kann, egal, welcher Religion er angehört."

Noch weiter wagt sich der ehemalige Pastor und nunmehrige Minister Zoltan Balog vor: "Wir  müssen uns mit unserer Vergangenheit konfrontieren, mit der Zeit des Kommunismus, aber auch mit der Nazi-Zeit." Doch so weit, die Frage nach der  Mitschuld Ungarns am Holocaust zu stellen, geht auch das liberalste Mitglied der Regierung Orban nicht.

Raoul Wallenberg: "Für uns ist er der größte Held"

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Dass Kati Sommer heute noch lebt, verdankt die ungarische Jüdin Raoul Wallenberg. Zusammen mit ihrer Mutter war die damals Fünfjährige im Jänner 1945 aus dem Budapester Getto geholt und ans Donauufer getrieben worden. Dort standen bereits mehr als hundert Menschen, aufgereiht zum Erschießen, als plötzlich ein schlanker, elegant gekleideter Mann herbeistürmte – der schwedische Gesandte Raoul Wallenberg. Er konnte die Exekutionen stoppen und alle Überlebenden ins schwedische Spital führen, wo sie bis Kriegsende durchhielten. Bei der Wallenberg-Gedenkfeier in der Großen Synagoge in Budapest bedankte sich die  72-jährige Kati Sommer noch einmal für ihre Rettung.

Zehntausende ungarische  Juden haben dank Wallenberg den Holocaust überlebt. Nur sechs Monate war der schwedische Diplomat im Amt. Doch die kurze Zeit genügte, um ein System aus "Schutzpässen" und Schutzhäusern zu entwickeln und so Tausende vor der Deportation zu retten. "Für uns Juden ist Wallenberg der größte Held", würdigte ihn  der Direktor der jüdischen Gemeinden Ungarns, Gusztav Zoltai.

Die Rettung, die er so vielen Menschen bescherte, blieb ihm selbst verwehrt. Im Jänner 1945 wurde der damals 35-jährige Schwede vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und nach Moskau verschleppt. Wie und wo genau Raoul Wallenberg umkam, ist bis heute nicht geklärt.

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