Befragungs-Chimäre

EU-Wahl: Der längste Stimmzettel und die Chancen der Neuen
Wolfgang Radlegger über die österreichische Interpretation von direkter Demokratie

Wären Sie gerne gefragt worden, ob Sie einverstanden sind, dass man Ihnen einen Teil Ihres Wahlrechtes nimmt, indem die Wahlperiode von vier auf fünf Jahre verlängert wird?

Sind Sie aber nicht. Man hat es einfach getan.

Wären Sie gerne gefragt worden, ob Sie einverstanden sind, dass sich die Parteien eine Verdoppelung ihrer öffentlichen Förderung genehmigen, obwohl sie bereits vorher eine der höchsten Europas hatten?

Befragungs-Chimäre
Wolfgang Radlegger, Salzburg, 20110906, Foto: Wildbild
Sind Sie aber nicht. Man hat es einfach getan.

Direkte Demokratie

Jetzt aber werden Sie gefragt. Sie werden gefragt, ob Sie für die allgemeine Wehrpflicht oder ein Berufsheer sind. Direkte Demokratie in Reinkultur also. Direkter geht’s eigentlich gar nicht, weil die Regierungskoalition bereits erklärt hat, sie werde das Ergebnis jedenfalls umsetzen.

Keimt da eine demokratiepolitisches Pflänzchen in den Schrebergärten jener Koalitionäre, die vor Kurzem noch meinten, zu viel an direkter Demokratie wäre schädlich, wo kämen wir denn hin, wenn 183 Abgeordnete nicht mehr das letzte Wort hätten. Ist’s höhere Eingebung, die da waltet?

Verbindlichkeit

Nein – denn verbindlich ist etwas nur dann, wenn wir – die Machthaber – es so wollen. Und gefragt wird überhaupt nur, wenn es uns passt!

BASTA!

Und weil wir fürchten, dass zu viele das Spiel durchschauen und daheim bleiben, erklären wir ganz einfach, das Ergebnis sei verbindlich, egal wie viele hingehen am 20. Jänner. Die Fragen liefern wir schon über die Parteipressedienste. Wollt ihr, dass unsere jungen Männer weiterhin sechs Monate sinnlos vergeuden und als „Systemerhalter“ kochen, putzen, servieren, kanzlieren oder kraftfahren? Einerseits.

Wollt ihr eine Armee von Söldlingen, womöglich, siehe England, innerhalb der Gefängnismauern rekrutiert? Andrerseits.

Nebelgranaten

Was ihr sicher nicht so genau wissen wollt, sind die Kosten des einen wie des anderen, denn das ist Sache des Budgets und das beschließt ohnehin der Nationalrat.

Sicherheitsdoktrin? Mit welchen Bedrohungslagen wir rechnen müssen, das klären schon noch die ExpertInnen und der Nationalrat wird dann Beschlüsse fassen, wie es ihm zusteht. Gut Ding braucht eben Weile – der Entwurf liegt ja erst seit zwei Jahren im Parlament.

Keine Informationen

Und das Erfolgsduo Darabos/Mikl-Leitner hat ja eine Antwort schon gegeben. Information auf Kosten der Steuerzahler wird’s nicht spielen. Jetzt schon gar nicht, wo es keine bunten Politikerbilder mehr gibt. Das wäre Verschwendung von Steuergeldern in Zeiten des Sparpakets.

Also: Folgt’s fest und macht den 20. Jänner zu einem Volksfest. Es lebe die direkte Demokratie!

Meine persönliche Schlussfolgerung: Ich werde an der Volksbefragung teilnehmen, aber ich werde beide Fragen durchstreichen mit dem Kommentar: Nicht genügend!

Wolfgang Radlegger, ehem. SPÖ-Landesparteivorsitzender und Landeshauptmann-Stellvertreter in Salzburg, ist Mitinitiator der überparteilichen Demokratieinitiative MeinOE, deren „Volksbegehren Demokratie jetzt!“ findet vom 15. bis 22. April statt.

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