Zehn Jahre Tsunami: Ein Augenzeuge erzählt

Am 26. Dezember 2004 bebte die Erde und löste eine nie gekannte, gigantische Flutwelle in zwei Kontinenten aus – rund eine Viertelmillion Menschen starben
Hubert Mara fährt jedes Jahr an den Ort der Katastrophe – und in ein verändertes Thailand.

Am Stefanitag werden am Patong-Strand in Phuket Hunderte kleine Gruben ausgehoben und mit Kerzen bestückt. Damit soll der vielen Toten gedacht werden. Die größte Feier in Thailand wird es aber – im Beisein von Premierminister General Prayut Chan-o-cha – in Khao Lak geben. Hier erinnert das Polizeiboot 813, das 800 Meter landeinwärts geschleudert wurde, an die Mega-Katastrophe vor zehn Jahren.

Hubert Mara nennt es sogar "das zehnte Jubiläum". Denn "für mich ist der 26. Dezember mein zweiter Geburtstag", erklärt er. Für ihn gibt es nicht nur Gedenken und Trauer, sondern durchaus auch die Freude, überlebt zu haben. Denn es war knapp damals. Der Wiener und seine deutsche Freundin Edith Seckler rannten an jenem Schicksalstag um ihr Leben. Bei der ersten Welle standen sie bis zu den Waden im Wasser. "Wir konnten das rettende Hotelgelände auf einem Hügel nur deshalb erreichen, weil die Welle die entlang des Strandes befindlichen Gebäude überwinden musste – oder eher in Trümmer legen, sollte man wohl sagen." Die Nacht nach dem Tsunami verbrachten die beiden auf dem Hoteldach, bevor sie schließlich ausgeflogen wurde.

Fluchtwege versperrt

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Mara
Heute steht auf diesem Fluchtweg eine Bar in Bootsform, Mara und Seckler schlafen deshalb in einem anderen Hotel. "Eine Flucht wie damals wäre nicht mehr möglich, auch die Hauptstraße wurde mit Absperrungen unpassierbar gemacht", erklärt er. Dazu kommt, dass zwar überall Sirenen aufgebaut wurden, "bei vielen aber wurden die Kabel gestohlen, andere sind nicht mehr funktionstüchtig". Ob es überhaupt reicht, um eine Warnung abzusetzen, sei derzeit mehr als fraglich.

Kurios: Die erste große Sirenenprobe nach langer Zeit wollte nun man ausgerechnet am 26. Dezember machen. Das verhinderten aber Proteste der Einheimischen.

Auch in anderen Teilen Thailands wurde viel versprochen und nicht alles dann so gehalten. Auf Koh Lanta (südlich von Phuket in der Andermanischen See) etwa wurden die Fischerhütten am Strand von der Flut weggerissen. Danach wurde ein Bauverbot verhängt, um künftige Tsunamiwellen abzufangen. Als Erstes wurde in dieser "Hazardzone" eine Polizeistation gebaut, dann die örtliche Verwaltung und nun stehen dort zahlreiche Hotels. Die Bewohner müssen mit den Häusern im Landesinneren vorlieb nehmen. Aus dem größten Ort der Insel wurden sie überhaupt vertrieben, dort reiht sich Verkaufskiok an Verkaufskiosk.

Viel Beton

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Mara
Auch auf Phi-Phi-Island (bekannt durch den Film "The Beach" mit Leonardo di Caprio) wurde mittlerweile jeder Zentimeter mit Hotels zubetoniert. Touristen, die diese Insel vor dem Tsunami kannten, zeigen sich geschockt, wenn sie nun wieder dorthin zurückkehren.

"Das richtige Thailand von früher gibt es nur mehr im Süden", sagt ein auf Phuket lebender Südtiroler. Koh Lanta ist seit dem Tsunami so etwas wie der Weißwurst-Äquator für den Massentourismus. Und der boomt stärker als jemals zuvor. Bereits zwei Jahre nach dem Tsunami waren die Betten in Thailand schon wieder gefüllt wie zuvor, und heute umso mehr. Im Vorjahr wurden erstmals die Hotelpreise kräftig erhöht, weil Thailand eines der wenigen sicheren Länder ist. Doch mit dem Militärputsch heuer wurde vieles anders. Vor allem die Gäste aus dem arabischen Raum dürften diesmal ausbleiben. Das Thailändische Fremdenverkehrsamt rechnet für heuer nur mehr mit 25 Millionen Touristen statt den ursprünglich erhofften 28 Millionen.

Geisterglaube

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Die Thailänder, über deren Hilfsbereitschaft die Abertausenden Betroffenen des Tsunamis noch heute schwärmen, sprechen ungern über die große Flut vor zehn Jahren. Doch wenn die Einheimischen reden und ihre Geisterwelt erklären, an die selbst die Regierungsspitze glaubt, dann wird ihr Verständnis klarer. Denn die Thailänder sind schon früher ungern ins Wasser gegangen, weil dort viele Geister wohnen. Diese haben – so die weitverbreitete Meinung – den Tsunami aus Verärgerung ausgelöst. Deshalb gehen die Thais heute fast gar nicht mehr im Meer schwimmen.

Die Touristen vor Ort haben heute ganz andere Probleme. Die Militärregierung hat Strandliegen verboten oder streng beschränkt. Viele nun auf dem Boden sitzende Urlauber überlegen deshalb, Thailand im nächsten Jahr fernzubleiben, berichtet Mara aus Phuket.

Rund eine Viertelmillion Menschen mussten wegen gerade einmal 30 Metern sterben. Um so viel verschoben sich die tektonischen Platten vor Indonesiens Küste am 26. Dezember 2004. Das Erdbeben erreichte eine Stärke von 9,1 und war damit das zweitstärkste jemals aufgezeichnete. Die gesamte Erdachse verschob sich dadurch um zweieinhalb Zentimeter und die Tage dauern seither 2,7 Mikrosekunden kürzer.

15 Inseln verschwanden für immer im Meer. In 13 verschiedenen Ländern (in Asien und Afrika) starben Menschen bei einer der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte. Bis heute ist nicht restlos geklärt, wie hoch die Opferzahl tatsächlich ist, da viele Tote rasch begraben wurden, um Seuchen zu verhindern. Auch ein Bürgerkrieg in Indonesien und die Zensur in Myanmar verfälschten die Zahlen. Am schlimmsten betroffen waren jedenfalls Indonesien, Sri Lanka, Indien und Thailand.

Die Opferzahlen stiegen an diesem Sonntag von Stunde zu Stunde. Um vier Uhr in der Früh (MEZ) war von gerade einmal neun Toten die Rede, um zehn Uhr waren es bereits 1000 und am frühen Abend erstmals 10.000. Da am 26. Dezember Österreich komplett auf Weihnachtsferien eingestellt war, dauerte es Tage, bis im heimischen Außenministerium die Hilfsmaßnahmen koordiniert wurden. Auch einige Medien unterschätzten zunächst das Ausmaß der Jahrhundertflut, der ORF etwa brachte seine erste Sondersendung erst rund 40 Stunden nach der Flutwelle. Der Schrecken sickerte erst so langsam in den folgenden Tagen.

Vermutlich 99 Österreicher starben infolge des Tsunamis, die meisten davon im thailändischen Khao Lak. Hunderte weitere wurden verletzt, als sie von den Wassermassen mitgerissen werden, blieben über Jahre traumatisiert. Auch prominente Österreicher erlebten den Tsunami mit – etwa der damalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser oder der Schriftsteller Josef Haslinger.

Hilfe aus Österreich

Die Folge der Flutwelle war auch ein Spenden-Tsunami, allein die Österreicher machten – je nach Schätzung – bis zu 100 Millionen Euro locker, ungefähr zehn Mal so viel wie die jährliche Aktion "Licht ins Dunkel" einbringt. Auch Einzelspender wie Formel-I-Rennfahrer Michael Schumacher (zehn Millionen Euro) überwiesen große Summen. "Ärzte ohne Grenzen" gab nicht einmal zwei Wochen nach der Katastrophe bekannt, dass man genügend Geld habe und gar nicht mehr ausgeben könne für Hilfsmaßnahmen. Manche Hilfsorganisationen haben noch heute finanzielle Mittel aus diesen Fonds übrig, um Projekte zu unterstützen.

Mit bewegenden Gedenkgottesdiensten und Schweigeminuten haben Tausende Menschen rund um den Indischen Ozean der Opfer des verheerenden Tsunami vor zehn Jahren gedacht. Die Riesenwellen hatten in 14 Ländern rund 230.000 Menschen in den Tod gerissen. Neben dem Erinnern an die Toten stand auch der Dank für die Hilfe aus aller Welt im Fokus.

"Ich habe noch nie eine so außergewöhnliche Solidarität und Großzügigkeit erlebt", sagte Indonesiens Vizepräsident Jusuf Kalla am Freitag bei einer Gedenkveranstaltung in Banda Aceh.

In Indonesien kamen die Menschen schon in der Nacht und am frühen Morgen in zahlreichen Moscheen zusammen. Viele von ihnen weinten und klagten. Andere gingen zu den Massengräbern, um zu beten. "Ich habe im Tsunami zwei Kinder verloren, aber ich weiß nicht, wo sie beerdigt sind", sagte die 51 Jahre alte Maimunah an einem Massengrab. "Aber hier bete ich für alle Opfer", erklärte sie.

Aceh war die am schlimmsten betroffene Region. Etwa 170.000 Menschen starben dort; große Teile der Provinzhauptstadt Banda Aceh waren nur noch Trümmerteile und Mauerreste. Das gewaltige Erdbeben, das den Tsunami am zweiten Weihnachtsfeiertag auslöste, ereignete sich vor der indonesischen Insel Sumatra, an dessen Spitze Aceh liegt. Die Wellen türmten sich an der Küste Indonesiens bis zu 20 Meter hoch auf. Ausläufer waren sogar bis Madagaskar und Tansania sichtbar.

In Sri Lanka fuhr ein Sonderzug mit Überlebenden bis zu genau der Stelle in Peraliya, wo damals eine gewaltige Welle den Zug traf. Unterwegs waren sie mit der Lok und Waggons von damals, wie Organisator Ralph Gunawardena sagte. Der Zug sei nach dem Unglück restauriert worden. Die tonnenschweren Waggons waren aus den Schienen gerissen und weit ins Landesinnere gespült worden. Rund 1.600 Menschen starben in dem Zug. Die überlebenden Passagiere - darunter auch der Schaffner von damals - gedachten in einer religiösen Zeremonie der Opfer. Einige brachten alte Fahrkarten von damals und Fotos der Toten mit.

In Indien trafen sich die Menschen zu interreligiösen Gebeten, etwa auf den schwer getroffenen Andamanen und Nikobaren. Vor dem Tsunami-Denkmal in der größten Inselstadt Port Blair gedachten sie zwei Minuten lang der Toten, wie Distriktsprecher Arun Kumar Jha erklärte. Im Süden des Subkontinents setzten viele Dorfbewohner Süßigkeiten und Blumen ins Meer. In staatlichen Schulen sei der toten Kinder gedacht worden, sagte Vanaja Soundrabai von der örtlichen Hilfsorganisation Sneha.

Um sich für die Spenden aus aller Welt zu bedanken, führten junge Indonesier in Banda Aceh Tänze in traditioneller Kleidung auf. Andere trommelten auf einer Bühne auf dem Platz Blang Padang im Zentrum von Banda Aceh, direkt neben einer Tsunami-Skulptur in Wellenform. Vizepräsident Kalla sagte dort: "Sogar die Kinder aus aller Welt, von Deutschland bis zu den Vereinigten Staaten, haben ihre Sparschweine geknackt und das Geld den Tsunami-Opfern geschickt."

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