400.000 Flüchtlinge 2017? Wie Italien das schaffen will

In Kalabrien wurden Wohnungen für Flüchtlinge angemietet
Ablehnung in Rom, offene Integration in Palermo - und keine Hoffnung auf Hilfe aus der EU

"Ich finde es unmöglich und riskant, neue Unterkünfte für Flüchtlinge in Rom zu finden", erklärte die römische Bürgermeisterin Virginia Raggi von Beppe Grillos Fünf Sterne-Bewegung, weitere Migranten könnten nicht aufgenommen werden. Die Lega Nord applaudiert zu der Anti-Flüchtlings- und Anti-Roma-Kampagne, die nur einen Tag nach der eklatanten Niederlage der 5 Sterne bei den Kommunalwahlen startete. Kritiker sehen darin einen verzweifelten Stimmenfang, um von der katastrophalen Stadtverwaltung abzulenken.

Auch das Innenministerium reagierte prompt: "Rom muss Verantwortung übernehmen und seine Verpflichtung erfüllen." In der Praxis heißt das: Die italienische Hauptstadt muss weitere 2000 Flüchtlinge aufnehmen. Eine Zahl, die sich bei drei Millionen Einwohnern mit einem Ausländeranteil von 9,8 Prozent (davon die Hälfte Europäer) verkraften lässt. Laut Statistik in der Tageszeitung La Repubblica führt die Region Lombardei (Mailand) mit 13 Prozent bei der Verteilungsquote von Flüchtlingen, gefolgt von Latium, Kampanien und Kalabrien mit je neun Prozent. Das kalabrische Sant’ Alessio in Aspromonte profitierte von den neuen Zugereisten: die von Abwanderung bedrohte Gemeinde wurde dank neuer Arbeitsplätze und wirtschaftlichem Aufschwung belebt.

Immer mehr Boote

Wie jeden Sommer nehmen auch heuer die Ankünfte von Flüchtlingsbooten auf Sizilien zu. Die meisten Schiffe legten 2017 in den sizilianischen Häfen von Augusta, Pozzallo, Catania und Palermo an – mit Geflüchteten aus Nigeria, Bangladesch, Guinea, Elfenbeinküste, Gambia und Senegal. Zusätzliche Unterkünfte werden dringend benötigt. Bürgermeister müssen Plätze in Kasernen, Sporthallen und leer stehenden Gebäuden schaffen. Der "Plan 200.000" – damit sind im Innenministerium die bis Jahresende erwarteten 200.000 Flüchtlinge gemeint, bis jetzt waren es schon 180.000 – erfordert verstärkten Einsatz.

Dass aus Brüssel keine Hilfe kommt, ist Italien gewohnt. "Daher müssen wir es wieder einmal alleine schaffen", sagt ein Mitarbeiter im Innenministerium.

Ehrenamtliche Helfer

In Rom und Umgebung gibt es 70 Flüchtlingsunterkünfte mit rund 8500 Migranten – mit Unterstützung von Staat und Hilfsorganisationen. Doch ohne Einsatz ehrenamtlicher Helfer würde das System zusammenbrechen. Von offizieller Seite komplett im Stich gelassen fühlen sich die Aktivisten von Baobab, einem Flüchtlingszentrum beim römischen Bahnhof Tiburtina. Sie bekommen keinen Cent Unterstützung von der Stadt oder vom Staat. "Ungefähr 500 neue Leute pro Monat, viele sind auf der Durchreise, finden hier Unterschlupf. Sie wissen, dass sie bei uns willkommen sind. Die ständigen Räumungen unserer Unterkunft (Anmerkung: 18 Räumungen in 1,5 Jahren) erschweren die Arbeit enorm", sagt Baobab-Aktivist Andrea Costa, im Hauptberuf Glaser.

Baobab betrieb eine Unterkunft in einem verlassenen Fabrikgebäude, die Ende 2015 von der Polizei geräumt wurde. Die Fabrik steht nach wie vor leer, während auf der nahen Piazza Flüchtlinge in Zeltlagern campen. Freiwillige kochen für die Menschen. Auch Papst Franziskus schickte schon Essenslieferungen und Lebensmittel vorbei.

Laut Meinungsforscher Renato Mannheimer habe knapp die Hälfte aller Italiener Angst , Migranten würden Arbeitsplätze und Sicherheit wegnehmen. Nur ein Drittel von 8000 Bürgermeistern etwa erklärte sich zur Aufnahme von Asylwerbern bereit.

Schauplatz Süden

Einer, der für eine offene und tolerante Flüchtlingspolitik eintritt, ist Palermos Bürgermeister Leoluca Orlando. Der 69-jährige Jurist wurde Sonntag zum fünften Mal in seinem Amt bestätigt. Er ist stolz auf das "Palermo Modell": "In den vergangen Jahren landeten 400.000 Flüchtlinge in Sizilien. Es hat dabei keinen einzigen Fall von Intoleranz oder rassistische Schmierereien an Palermos Hauswänden gegeben." Einwanderer würden sich in Palermo als Teil der Gemeinschaft fühlen. "Anders als in Paris oder Brüssel, wo sie getrennt vom Rest der Bevölkerung leben."

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