Wie Gaddafi zum "kleinen Buben" wurde

Wie Gaddafi zum "kleinen Buben" wurde
Heinz Nußbaumer hat KURIER-Lesern über zwei Jahrzehnte die Welt aus erster Hand erklärt, war zu Gast bei Präsidenten und Königen.

Den ganzen Sommer über hat Heinz Nußbaumer in seinen Erinnerungen gegraben, hat ein Buch über seine Treffen mit Ronald Reagan, Bill Clinton, Michail Gorbatschow, König Hussein, Helmut Kohl und vielen anderen Mächtigen geschrieben. Diesen Donnerstag wurde es im Außenamt präsentiert, wenige Stunden davor kam die Meldung: " Gaddafi ist tot."

Womit bei der Präsentation all die anderen Großen, die in dem Buch vorkommen, in den Hintergrund treten mussten. Denn Nußbaumer ist einer der wenigen Journalisten, die Gaddafi aus nächster Nähe erlebt haben.

KURIER: Sie haben Muammar Gaddafi mehrmals getroffen. Wie hat er Sie begrüßt?
Heinz Nußbaumer:
Nicht mit Kosenamen! Aber einmal hat er gesagt, er kenne jetzt zwei "Henrys", den Kissinger und mich, und ich sei ihm am verlängerten Rücken lieber als der andere beim Gesicht.

Er gab Ihnen auch Geschenke für Ihre Söhne mit. Wie haben Sie diese Herzlichkeit empfunden?
Zwiespältig. Er war ja psychisch krank und hatte einerseits etwas sehr Gewinnendes, andererseits eine unbeschreibliche Härte an sich.

An welchen Moment mussten Sie zuerst denken, als Sie von Gaddafis Tod erfuhren?
Es war der Moment bei unserer ersten Begegnung, als wir miteinander das Zelt seines Vaters betreten haben. Da wurde der damals noch große Wüstenprophet Gaddafi in Sekundenbruchteilen zum kleinen Buben, zum Sohn. Der Vater sagte zu ihm: "Hol uns Milch und setz dich hin!" Dann haben wir Kamelmilch getrunken.

Sie haben Gaddafi später in Wien getroffen und waren 1986 bei ihm in Tripolis. Wieso hatten Sie danach keinen Kontakt mehr?
Da sind dann andere Menschen dort eingeritten, von der Qualität eines Jörg Haider. Da hatte ich von mir aus kein Bedürfnis mehr.

Wie zuversichtlich sind Sie, was Libyens Zukunft betrifft?
Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie es gelingen wird, die Menschen dazu zu bringen, dass sie die Waffen und die Emotionen ablegen. Meist dauert so ein Prozess wesentlich länger als die Tötung eines Tyrannen.

Sie haben den KURIER 1989 aus gesundheitlichen Gründen verlassen und wurden Pressechef in der Präsidentschaftskanzlei. Hat Sie der Journalismus krank gemacht?
Ich hatte immer den richtigen Beruf, aber den falschen Körper, ich hatte schon mit 16 den ersten Krebs. Und zweitens hat mir ein Arzt nach der x-ten Operation gesagt: "Hören Sie endlich auf, die Fehler anderer bei sich selbst zu bestrafen." Die Sensibilität, die man braucht, um die Schicksale und Nöte fremder Menschen zu begreifen, schlägt sich dann oft gegen den eigenen Körper durch. Bei mir war es mit Sicherheit so.

In Ihrem Buch schildern Sie Ihr Ringen um Fairness...
Ich war insofern geprägt, als mein Vater einen Monat vor meiner Geburt gestorben ist, er war Kriegsberichterstatter. Als Bub hab' ich auf dem Dachboden Kisten mit Leitartikeln und Reportagen aus der nationalsozialistischen Zeit gefunden, von Heinz Nußbaumer, er hatte meinen Namen. Das hat mich nicht unbeeindruckt gelassen. Die Frage: "Wie konnte er unter diesem Regime Kriegsberichterstatter sein?", hat mich sehr belastet, vor allem, als ich später meine hymnisch verzweifelten Beziehungen mit Israel aufgebaut habe.

Sie sagen, Ihr Vater sei "das unbekannte Wesen"...
... vor dem ich immer bestehen musste, ohne mich an ihm abarbeiten zu können.

Ist Ihnen das gelungen?
Schwer zu sagen. Ich hätte ihm gewünscht, was ich mir selber oft gewünscht hab': Mehr Mut, "Nein" zu sagen; sich nicht ein Stück Weges verführen zu lassen.

Als junger Mann haben Sie sich im Sechstagekrieg von der israelischen Seite so mitreißen lassen, dass Sie in arabischen Ländern eine Zeit nicht einreisen durften...
Ja, ich war damals sehr auf die israelische Seite gezogen. Später hab' ich verstanden, dass die arabische Wirklichkeit viel komplizierter war als die israelische. Ich habe begonnen, Arabisch zu lernen. Damit bin ich dann aber in eine totale Liebe der arabischen Führer hineingeraten, aus der ich mich auch wieder rausziehen musste.

Beschäftigt Sie der Nahostkonflikt immer noch?
Das ist ein Lebensthema, mein bis heute ungeordnetes Verhältnis zu dem Konflikt, das zwischen Mitgefühl, wenn ich in die leidgeprüften Augen alter Israelis in Jerusalem schaue, und Verzweiflung, wenn ich sehe, was sie in den besetzten Gebieten anstellen, wechselt. Es gibt da keinen Weg raus.

Heißt das, Sie wären kein guter Nahost-Verhandler?
Vielleicht kein guter, aber ich wär's gern gewesen.

In Österreich kämpfen Sie als Mitbegründer der Plattform "Christen und Muslime" um Verständnis und Toleranz für Muslime...

Ja, der Islam ist die zweitgrößte Religion im Land, und die Österreicher haben nicht die Spur einer Ahnung, worum es geht. Aus der Ahnungslosigkeit wächst Angst. Deshalb ziehe ich durch die Bundesländer, diskutiere öffentlich, mit ganz schrecklichen Erfahrungen. Dabei hätten die Österreicher ein großes Sozialpotenzial, man müsste es nur abrufen...

... gegen Slogans wie "Pummerin statt Muezzin" oder: "Daham statt Islam"?
Ja! Man darf nicht feig sein, man muss sich hinstellen!

Und wo sehen Sie den Politiker, der da gegensteuert?
Fragen Sie mich etwas Leichteres.

Sind Sie ein Gutmensch?
Ich hasse den Begriff. Aber ich hoffe, einer zu sein.

1989 wurden Sie der Sprecher des damaligen - umstrittenen - Bundespräsidenten Kurt Waldheim. Warum haben Sie sich das angetan?
Also, ich habe in der Hofburg dunklere Zeiten erlebt, als Waldheim nicht mehr da war. Ich halte Kurt Waldheim für persönlich absolut schuldlos, manchmal naiv, schlecht beraten, auch unglückselig argumentierend.

Sie haben ihm geglaubt, dass er als Generalstabsmitglied in Saloniki 1942 nichts von den Verbrechen der deutschen Wehrmacht wusste?
Wenn Sie auf die Ebene Saloniki kommen, müsste ich lange reden. Im nächsten Buch, das ich schreiben werde, kläre ich die Salonikifrage und viele andere Fragen aus meiner Hofburgzeit, auch rund um Thomas Klestil.

Gibt es irgendetwas, das man Kurt Waldheim aus Ihrer Sicht vorwerfen kann?
Dass er in seinen zehn Jahren als UNO-Generalsekretär nicht mitbekommen hat, was für ein Umdenkprozess in Österreich gelaufen ist. Er kam aus einer Generation, in der das Bekenntnis aller lautete: "Österreich war Hitlers erstes Opfer." Irgendwann hat ihm seine eigene Tochter bei einer Wahlkundgebung gesagt: "Papa, das kannst du so nicht mehr sagen!"

Wieso verteidigen Sie Waldheim seit Jahren so vehement?
Ich könnte mich sonst nicht in den Spiegel schauen. Ich hätte sonst auch nicht für ihn gearbeitet.

Für seinen Nachfolger, Thomas Klestil, haben Sie irgendwann nicht mehr gearbeitet. Stimmt es, dass es Schreiduelle zwischen Ihnen gab?
Nein, niemals. Es gab nur eine Zeit der Sprachlosigkeit, als ich weggegangen bin. Aber mehr erzähl' ich nicht, Sie müssen mir noch was fürs Buch übrig lassen.

Sie haben bereits einen Bestseller geschrieben - über Ihre Reisen auf den Berg Athos: "Der Mönch in mir" ist in neun Sprachen erschienen. Vergangene Woche waren Sie auf dem Athos ...
Ja, meine Frau hat mich hingeschickt. Ich habe den ganzen Sommer gearbeitet, sie hat gesagt: "Wenn du nicht eine Woche auf den Athos fährst, überlebst du das nächste Jahr nicht."

Hören Sie auf Ihre Frau?

Ich glaube, ohne meine Frau würde ich nicht mehr leben (schweigt lange) . Sie hat es nicht leicht gehabt mit drei Söhnen in einer Zeit, in der ich kaum da war. Da gab's keinen Koffer, den sie mir gepackt hat, in dem nicht von jedem Kind ein Zetterl drin war. Sie hat den Kindern gegenüber immer den Eindruck erweckt, als wäre ich in alles eingebunden. Obwohl ich selten da war, hat sie mich immer irgendwie mitspielen lassen.

Wie danken Sie ihr das?
Er überlegt - und klopft dann heftig auf sein neues Buch, das vor ihm liegt: Das Buch war kein Zeichen der Dankbarkeit! Weil ich wieder einen Sommer mit Arbeit verhaut hab'. Ich hoffe, der liebe Gott gibt mir so viel Zeit, dass ich endlich mit dem Schwachsinn aufhöre und wir uns miteinander die Zeit schön machen.

Heinz Nußbaumer: Ein Stück KURIER-Geschichte

Nußbaumer wurde 1943 geboren, studierte in Salzburg, begann seine Laufbahn bei der "Salzburger Volkszeitung" und trat im März 1966 im Trachtenjanker seinen Dienst in der KURIER-Außenpolitik an. Der damalige Chefredakteur Portisch sagte nur: "In Wien trägt man keine Trachtenjanker." Daraus wurde eine Männerfreundschaft bis zum heutigen Tag. Nußbaumer ist Herausgeber der Wochenzeitung "Die Furche" und Vorsitzender des SOS Kinderdorfs Hinterbrühl.

Vom Dalai Lama bis zum Schah von Brandt bis Arafat erzählt "Meine kleine große Welt". Mehr ab Montag in der KURIER-Serie zum Buch.

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