Flüchtlingsstrom aus Afrika: Die Fehler - die Lösungen

EU muss Wirtschaftsbeziehungen mit dem Kontinent verstärken und Außengrenzschutz aufbauen.

Die Zahlen sind alarmierend: 2050 werden in Afrika 2,5 Milliarden Menschen leben, doppelt so viele wie heute. Die Folge: "Es wird einen gewaltigen Migrationsdruck in Richtung Europa geben", geht aus einem aktuellen Dokument der EU hervor. "Dagegen war alles, was wir bisher erlebt haben, harmlos", hieß es vergangene Woche bei der Afrika-Konferenz in Berlin. Heute, am 20. Juni, ist Weltflüchtlingstag.

Grobe Fehler

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration waren 2016 fast alle der 180.000 Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Italien kamen, Wirtschaftsmigranten aus afrikanischen Ländern.

Flüchtlingsstrom aus Afrika: Die Fehler - die Lösungen
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Strategien, den Flüchtlingsstrom aus Afrika einzudämmen, stehen nun im Fokus internationalen Interesses. Der EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel wird sich damit befassen. Auch die G-20-Staaten wollen mehr für Afrika tun.

Einig sind sich viele Politiker und Experten, dass es in der Ära der postkolonialen Beziehungen mit Afrika grobe Fehler in der wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit gegeben habe. Ein Beispiel von vielen:

- Subvention für Agrarexporte nach Afrika: Tiefgefrorene Hühnerteile aus den Niederlanden und anderen EU-Staaten sind in Afrika billiger zu haben als frische Hühner heimischer Bauern. Sie verkaufen zu wenig, um zu überleben. Ähnlich ergeht es der afrikanischen Milchwirtschaft. Gegen billiges Milchpulver von Nestlé kann die milchverarbeitende Industrie nicht konkurrieren. Dazu kommt, dass die Anlagen veraltet sind. Tomatenzüchter gehen pleite, weil das Tomatenmark aus Italien viel günstiger ist als heimische Ware. Der Ananas-Saft in den Supermärkten von Accra stammt nicht aus Ghana, dem größten Ananas-Anbaugebiet Afrikas, sondern aus der EU, abgefüllt in Ungarn.

Jahrelang hat die EU-Kommission Milliardensummen an Exporthilfen für Agrarerzeugnisse aus der EU nach Afrika bezahlt. 1991 waren es zehn Milliarden Euro, zuletzt noch 147 Millionen Euro pro Jahr. Eben wurde das Instrument der Exporthilfe verbannt.

Ökonomische Aussichtslosigkeit ist für viele Afrikaner – neben islamistischem Terror und Klimawandel – die wichtigste Fluchtursache.

- Scheitern der Entwicklungshilfe: Bilaterale und multilaterale Projekte trugen kaum etwas zu einer nachhaltigen Entwicklung und zur Bekämpfung von Korruption und autokratischen Strukturen bei. Entwicklungshilfe dämmt Migration nicht ein, sind sich Experten einig.

- EU-Lösungsansätze: Beim Afrika-Gipfel im Februar auf Malta beschlossen die EU-Regierungschefs einen Zehn-Punkte-Plan, der unter anderem Migrationspartnerschaften mit sieben afrikanischen Ländern, darunter Mali, Nigeria und Niger, vorsieht.

Wer Reformen durchführt, Jobs schafft, Schleuser bekämpft und illegale Migranten zurücknimmt, soll mit Geld belohnt werden. Außerdem sieht der Plan Aufnahmezentren in Libyen, raschere Rückführungen und auch Hilfen aus dem Afrika-Treuhandfonds, der mit 1,8 Milliarden Euro gefüllt ist, vor. Rom, Berlin und Wien wollen außerdem Asylzentren in Nordafrika.

- Investitionen fördern: Guntram Wolff, Direkter von Bruegel, einem Brüsseler Wirtschaftsinstitut und Thinktank, der die EU-Kommission berät, fordert von den EU-Staaten private Investitionen in Afrika als Mittel gegen Armut und Migration. Die Europäische Investitionsbank ist bereit, dabei zu helfen. Eine Voraussetzung für Investitionen sind politische Stabilität, funktionierende Institutionen und Transparenz.

Kampf gegen Schlepper

Wolff verlangt einen härteren Kampf gegen Schlepper und gleichzeitig legale Migrationsmöglichkeiten. Unabdingbar sind für ihn effiziente Grenzkontrollen (EU-Außengrenzschutz) sowie Abkommen mit Grenzländern, um die illegale Migration zu beschränken. Nötig sind auch verpflichtende Rücknahme-Abkommen. Als wesentlich hält der Ökonom die Förderung von Frauen, etwas, was er in den Konzepten der EU vermisst.

Nüchtern stellt der Bruegel-Direktor in einem Gastkommentar in der Süddeutschen Zeitung fest, dass alle diese Maßnahmen die Migrationsströme nicht sofort stoppen werden. "Es dauert mehrere Dekaden, bis die Länder das Einkommensniveau erreicht haben, bei dem Migration abebbt. Die Folge werden große soziale Spannungen in ganz Europa sein. Das bedeutet, dass Europa eine kohärente Strategie in den nächsten zwei Jahrzehnte benötigt, um mit dem Migrationsdruck aus Afrika umzugehen."

Kurzum: Zur Lösung der Flüchtlingsfrage braucht die Europäische Union einen langen Atem.

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