Antisemitismus: Begegnung als Gegenmittel

Yorai Feinberg in seinem Lokal.
Jüngste Vorfälle sorgen für Verunsicherung und fachen die Antisemitismus-Debatte neu an.

Yorai Feinberg hat schon viel erlebt. In Wien, als er an der Staatsoper tanzte, ebenso in Berlin, wo er seit fünf Jahren ein Restaurant betreibt. Was er vor Weihnachten erlebte, schlägt aber alles: Der 36-Jährige raucht vor seinem Lokal eine Zigarette, als ein älterer Mann stehen bleibt und ihn beschimpft. Zuerst lässt er sich über die Menora (=siebenarmiger Leuchter) im Fenster aus ("Das geht hier nicht, du bist Gast in meinem Land"), und als der Restaurantbesitzer die Polizei holt, wünscht er alle Juden "wieder zurück in die Gaskammern". Feinbergs Freundin nimmt die Szenen auf, das Video geht online und sorgt für Empörung.

Knapp einen Monat ist es her. Dazwischen liegen viele Anrufe und Mails mit Zuspruch, Solidarität aber auch Hass, berichtet der Restaurantbesitzer aus Jerusalem im KURIER-Gespräch.

Feinbergs Beispiel ist kein Einzelfall. Vergangenen Sommer wurde ein 14-jähriger jüdischer Bub aus einer Berliner Schule gemobbt, bei propalästinensischen Demonstrationen im Dezember brannten Israel-Fahnen. Was in Deutschland zur Frage führte: Wie lässt sich Antisemitismus heute bekämpfen?

90 Prozent der Taten kommen von Rechtsextremen

Fakt ist, er kommt von Rechts, Links und aus der Mitte der Gesellschaft. Feinbergs Angreifer ist Deutscher, aber auch unter Arabern sind antisemitische Vorbehalte vorhanden, berichtet Juliane Wetzel vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin. "Natürlich wissen wir, dass einige in einem Land sozialisiert wurden, in dem es eine negative Haltung gegenüber Israel gibt, aber es heißt nicht, dass es alle hier ausleben."

Sie warnt aber vor voreiligen Schlussfolgerungen bzw. alles auf Muslime zu schieben: "Es gibt keine Erhebungen wie verbreitet diese Haltung tatsächlich unter Muslimen ist." Bekannt ist immerhin, dass 90 Prozent aller antisemitischen Straftaten von Rechtsextremen verübt werden, "in der öffentlichen Wahrnehmung ist das in den Hintergrund getreten", erklärt die Historikerin. Das deckt sich auch mit den Erkenntnissen des Expertenkreis für Antisemitismus: Zwischen 2010 und 2014 gab es 614 Fälle von Schändungen jüdischer Friedhöfe, 591 davon waren "rechts motiviert".

Dabei ist es weniger der Rassenantisemitismus aus dem 19. Jahrhundert, der Juliane Wetzel Sorgen bereitet, sondern der sekundäre Antisemitismus: Das Bedürfnis der Menschen "einen Schlussstrich zu ziehen und durch Juden nicht mehr an den Holocaust erinnert zu werden."

Auf die jüngsten Vorfälle reagierte die deutsche Politik damit, einen Antisemitismus-Beauftragten einzusetzen, die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli forderte zudem einen verpflichtenden Gedenkstätten-Besuch. Das gelte auch für Zuwanderer, sie sollen Gedenkstätten im Zuge von Integrationskursen besuchen, so die Politikerin.

Verpflichtende Gedenkstättenbesuche?

Solche Maßnahmen hält Günter Morsch, Leiter der Gedenkstätte nud des Museums Sachsenhausen, für gut gemeint, aber sie greifen zu kurz. "Einmal rein, dann wieder raus und alle Vorurteile sind weg – so funktioniert das nicht." Gute Ergebnisse setzen Zeit und konstruktives Arbeiten voraus. Erschwert wird dies durch den Mangel an Wissen, den Schüler teils mitbringen, klagt er. Ein Drittel ihrer Arbeit ist es, "basale Fragen" zu klären, wie etwa den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur. "Historisch-politische Bildung kommt in Schulen zu kurz, ebenso die Vor- und Nachbereitung der Besuche durch Lehrkräfte." Dabei sei Bildung das effektivste Mittel gegen Rassismus, ist Morsch überzeugt.

Um das Interesse der Schüler zu wecken, sei es wichtig, Identifikation zu schaffen - besonders bei Klassen mit hohen Migrationsanteil. "In Sachsenhausen waren Opfer aus 41 Nationen, darunter auch Muslime - so erzeugen wir Interesse und stellen eine Brücke her. Der integrative Faktor ist wichtig, genauso wie in der Schule."

Die Bandbreite jüdischen Lebens kennenlernen

Ebenso wichtig sind Begegnungen, sagt Wetzel. "Es reicht nicht nur Zeitzeugen einzuladen. Wichtig sei, dass die jungen Menschen lernen, zu differenzieren und die Bandbreite jüdischen Lebens kennenlernen, "aber auch, dass Israel ein Land ist, indem es "zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit Palästinensern kommt, es aber auch Widerstand gegen eine solche Politik gibt."

Dafür setzt sich die Initiative "Salaam-Schalom" aus Neukölln ein: Die muslimische Studentin Larissa und ihr jüdischer Kollege Armin sprechen in Schulen über Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Sexismus und Homophobie. "Eigentlich sollten Muslime und Juden solidarisch sein. Beide sind Minderheiten und wissen, wie es ist, angegriffen zu werden", meint Larissa.

Die Grenzüberschreitungen zwischen legitimer Kritik und Gewalt, bekommt Yorai Feinberg auch virtuell zu spüren, etwa durch Hasskommentare auf seiner Webseite oder E-Mails. Es sei zwar gut, dass jetzt diskutiert wird und es ein Verfahren gegen den antisemitischen Angreifer gibt, aber er würde sich mehr Initiativen gegen den Hass im Netz wünschen. Berlin verlassen? Nein, das will er auf keinen Fall – "das alles hat mich noch kämpferischer gemacht."

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