"Brüssel öffnet Tür und Tor für Großkonzerne"

Kritiker warnen, die umstrittene EU-Konzessionsrichtlinie führe zu Privatisierung. Die Kommission beruhigt: Städte und Gemeinden können frei entscheiden.

Die EU sorgt für Transparenz und klare Spielregeln; damit stellt sie langfristig sicher, dass die Qualität der Wasserversorgung gewährleistet ist – und zwar zu fairen Preisen. So sieht es Binnenmarktkommissar Michel Barnier.

Seine Kritiker sehen es diametral anders: Die EU dient internationalen Großkonzernen, indem sie ihnen Zugang zum milliardenschweren Wassermarkt verschafft. Aus einem Allgemein- wird ein Spekulationsgut; dort, wo Firmen die Wasserversorgung übernehmen, werden schon bald die Leitungen verrotten und die Rechnungen unbezahlbar.

Fakt ist: Die EU-Kommission (in Person von Barnier) hat eine sogenannte Konzessionsrichtlinie vorgelegt, der am Donnerstag auch der Binnenmarktausschuss im EU-Parlament zugestimmt hat. Die Richtlinie soll die Privatisierung von unterschiedlichen Bereichen regeln – unter anderem auch bei der Wasserversorgung.

Keine Zwangsprivatisierung

Eine Verpflichtung zur Privatisierung gibt es nicht: Auch künftig können Städte und Gemeinden frei entscheiden, ob die Wasserversorgung von öffentlicher oder privater Hand durchgeführt wird. Wird privatisiert, so muss es eine europaweite Ausschreibung geben.

Kein Zwang, kein Problem? Nicht ganz, sagt der sozialdemokratische EU-Abgeordnete Josef Weidenholzer: „Solche Dinge laufen immer Schritt für Schritt. Anstatt beim Wasser klar zu sagen: ,Das wird nicht privatisiert‘, hat man jetzt Tür und Tor für die Konzerne geöffnet.“ Weidenholzer befürchtet eine „Privatisierung durch die Hintertür“: Kommunen, die knapp bei Kasse sind, könnten sich zur Privatisierung gezwungen sehen oder auch von höherer Stelle dazu gedrängt werden. Dort würden sich dann Großkonzerne durchsetzen – zum Leidwesen der Verbraucher. „Schon jetzt gibt es Länder, wo genau das passiert“ sagt Weidenholzer zum KURIER.

Gemeint sind Griechenland und Portugal: Sie bekommen Hilfsgelder und müssen Reformen mit ihren Geldgebern absprechen. Eine Empfehlung der „Troika“ aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank: Die Privatisierung der Wasserversorgung.

Zahlreiche Negativ-Beispiele

In Portugal ist dadurch laut ARD in einem Ort der Wasserpreis seither um 400 Prozent gestiegen. Überhaupt gibt es bei der Privatisierung hauptsächlich Negativ-Beispiele: In London, sagt Weidenholzer, wurden die Leitungen von den neuen Eigentümern nicht mehr ordentlich gepflegt. In Berlin, wo 1999 aus Budget-Not teilprivatisiert wurde, hat die Stadt mittlerweile mit dem Rückkauf ihrer Anteile begonnen. „Man brauchte dringend Geld, also hat man verkauft“, sagt die ehemalige Berliner SPD-Abgeordnete Gerlinde Schermer zum KURIER. „Jetzt kauft die Stadt mit großem Verlust zurück – und in der Zwischenzeit sind die Wasserpreise für die Konsumenten um 35 Prozent gestiegen. Die einzigen, die daran verdient haben, sind die privaten Unternehmen.“

Verhandlungen gehen weiter

In Brüssel wird der Kampf um die Wasserhoheit weitergehen: Das Parlament stimmt im März über die Richtlinie ab; bei grünem Licht folgen Verhandlungen mit Kommission und Minister-Rat. Eine Bürgerinitiative („right2water“) sammelt derweil Unterschriften gegen die Wasserprivatisierung; bei einer Million muss sie angehört werden.

Gerungen wird noch um wichtige Details: Etwa, ab welchem Vertragsvolumen eine Ausschreibung zwingend ist und bis zu welchem Anteil eine Teil-Privatisierung nicht europaweit ausgeschrieben werden muss.

Auch wenn die Kommission Kompromissbereitschaft signalisiert, will sich SPÖ-Mann Weidenholzer weiter dafür starkmachen, dass die Richtlinie nicht kommt. Eine Ablehnung im Parlaments-Plenum oder im Rat sei denkbar. Richard Seeber, Wassersprecher der Europäischen Volkspartei, warnt zwar vor Panikmache, lehnt die Richtlinie aber ebenfalls ab: „Die Wasserversorgung in Österreich und in den meisten anderen EU-Staaten funktioniert gut. Es gibt schlicht keinen Änderungsbedarf.“

Der britische Premierminister David Cameron hätte vor seiner großen Rede eine Dienstreise nach Wien einlegen sollen. Da hätte er gelernt, was passiert, wenn Politiker sich von Kollegen, die um einen Wahlsieg zittern und von Zeitungen, deren Auflage fällt, antreiben lassen. Aber Cameron ist schon zu lange in den Fängen der Londoner Busen- und Po-Blätter. Und so glaubt er, sich den Wahlsieg im Jahr 2015 mit einer Volksabstimmung über die EU im Jahr 2017 erkaufen zu können. Klingt kompliziert, wird es auch werden. Niemand kann sagen, ob das gut geht.

Sicher ist, dass im Windschatten der britischen Debatte auch bei uns die Frage nach einem Referendum über die EU kommen wird. Zuletzt hat FPÖ-Chef Strache gegenüber dem KURIER nur die Mitgliedschaft beim Euro einem Volksentscheid unterwerfen wollen. Aber wetten, dass er sich zu Größerem berufen fühlt, wenn seine Partei in dem Umfragen weiter schwächelt. Wer weiß, vielleicht findet er ja publizistische Begleiter, die mit ihm die Mitgliedschaft in der EU infrage stellen wollen.

Da liegt es nicht nur an der Regierung, die Bevölkerung umfangreich zu informieren. Auch Gewerkschaft und Industrie sollten öfter und lauter sagen, dass unsere exportorientierte Wirtschaft die Märkte vor der Haustüre brauchen.

Die Debatte ums Wasser, die schnell Züge von Hysterie annehmen könnte, kommt den Euro-Skeptikern natürlich entgegen. Die gestrige Klarstellung der EU-Kommission, dass niemand die Zwangsprivatisierung des Wassers will, war wichtig. Aber auch das Parlament muss verstehen, dass insbesondere in den Alpenländern Wasser eine hohe emotionale Bedeutung hat. Europa wird nur dann stark sein, wenn regionale Besonderheiten und die Gefühle der Bürger berücksichtigt werden.

Wenn es um die Verteidigung des heimischen Wassers geht, sind die parteipolitischen Grabenkämpfe kurzfristig ausgesetzt. Die Lager rücken zusammen und sind gegenüber Brüssel zu keinerlei Konzessionen bereit.

Im Lebensministerium von Nikolaus Berlakovich (ÖVP) hieß es zu der angestrebten Liberalisierung der Wasserverordnung durch das Europa-Parlament (siehe oben): „Die geplante Richtlinie ist nicht akzeptabel. Die Versorgung mit Trinkwasser muss in öffentlicher Hand und unter öffentlicher Kontrolle bleiben“, so der zuständige Sektionschef Wilfried Schimon zum KURIER.

BZÖ-Chef Josef Bucher warnte bei einem Pressegespräch am Donnerstag vor „Begehrlichkeiten von Konzernen“, sich auf Österreichs „weißes Gold“ zu stürzen. Eine „Liberalisierung der Trinkwasserverordnung darf es nicht geben“. Viele heimische Gemeinden wären betroffen. Konkret: Experten befürchten, dass für überschuldete Gemeinden die Verlockung groß sein könnte, ihre Trinkwasser-Versorgung zu privatisieren und so Geld zu machen. Eine zwingende europaweite Ausschreibung, wie es nun geplant ist, würde dann ein Vorteil für Großkonzerne sein. Genau diese Gefahr sieht Heinz-Christian Strache (FPÖ). Großunternehmen könnten kommunale Versorger mit Dumpingpreisen ausbooten, meinte der FPÖ-Vorsitzende.

Für das Team Stronach gab Klubobmann Robert Lugar in einer Aussendung die Parole aus: „Österreichs Wasser ist für die EU tabu.“ Grünen-Chefin Eva Glawischnig räumte zwar ein, dass auch künftig niemand zu einer Privatisierung gezwungen sei, dennoch will sie die Wasserversorgung aus der Richtlinie ausklammern. Schärfer formulierte Wiens Umweltstadträtin Ulli Sima ihr Nein: „Konzerne sollen offenbar durch die Hintertüre bei öffentlichen Dienstleistungen mitschneiden.“ Auch Greenpeace ist gegen die EU-Pläne. „Ist die Wasserversorgung in öffentlicher Hand, ist sie effizienter und billiger als durch Private. Das zeigen etliche Beispiele“, so Jurrin Westerhof zum KURIER.

1100 mm (ca.) jährlicher Niederschlag in Österreich

Österreich könnte theoretisch 440 Mio. Menschen mit Trinkwasser versorgen

Jährliches Wasserangebot: 80 Mrd. m³ (77 Mrd. m³ über Flüsse + ca. 3 Mrd. m³ überGrundwasser)

Durchschnittlicher Verbrauch pro Kopf: 135 Liter/Tag

"Brüssel öffnet Tür und Tor für Großkonzerne"
"Brüssel öffnet Tür und Tor für Großkonzerne"
Die Bürger entscheiden

Zwischen 7. und 9. März dieses Jahres sind die 1,2 Millionen stimmberechtigten Wiener aufgerufen, im Rahmen einer Volksbefragung über vier Themen abzustimmen.

Die Wasserfrage

„Die kommunalen Betriebe bieten der Wiener Bevölkerung wichtige Dienstleistungen. Zum Beispiel Wasser, Kanal, Müllabfuhr, Energie, Spitäler, Gemeindewohnbauten und öffentliche Verkehrsmittel. Sind Sie dafür, dass diese Betriebe vor einer Privatisierung geschützt werden?“

Andere Fragenkomplexe

Parkpickerl, Bewerbung für Olympia 2028, Ausbau der Erneuerbaren Energie.

Wasserprivatisierung durch die Hintertür - die EU nimmt uns unser Wasser weg. Das waren die Meldungen, mit denen in den letzten Wochen eifrig Panik geschürt wurde. Doch warum ist die Aufregung so groß?

Konzessions-Vergabe

Im Dezember 2011 legte Binnenmarkt-Kommissar Barnier ein Richtlinienpaket vor, um die Bestimmungen für das öffentliche Beschaffungswesen zu überarbeiten. Neben der Vergabe-Richtlinie und der Richtlinie über die Auftragsvergabe in Sonderbereichen wurde auch eine Konzessions-Richtlinie präsentiert. Bisher waren auf EU-Ebene nur Baukonzessionen geregelt, mit der neuen Richtlinie wurden nun auch Bestimmungen für andere Bereiche, darunter Wasser oder Energie, vorgeschlagen. Erstmals wurden damit auch Bereiche der Daseinsvorsorge mit aufgenommen, was umgehend für Diskussionen sorgte. Dienstleistungen im öffentlichen Interesse dienen dem Allgemeinwohl und sind entsprechend emotional aufgeladen. Sie sollten nicht ohne weiteres den Marktgesetzen unterworfen werden.

Panikmache

Auch die Wasserver- und entsorgung ist eine öffentliche Dienstleistung, und das falsche Gerücht, die EU wolle nun diese privatisieren, verbreitete sich schnell. Nicht nur Parteien, sondern auch Interessensvertreter übertrafen sich gegenseitig in ihrer Panikmache.

Die Befürchtungen sind allerdings unbegründet. Die Kommission wollte europäische Mindeststandards für eine Konzessionsvergabe einführen. Den Gemeinden und Ländern bleibt unbenommen, ob sie ihre Dienstleistungen - etwa den Winterstreudienst oder die Wasserversorgung - auslagern wollen oder nicht. Nur wenn sie sich dafür entscheiden, gelten die Bestimmungen der Konzessions-Richtlinie!

Daher verwehre ich mich gegen alle Vorwürfe, die EU wolle Österreich zu Privatisierungen zwingen! Weder die Wasserversorgung, noch ein anderer Dienst wird gegen unseren Willen angetastet. Die EU hätte dazu schon vertraglich keine Kompetenz!

Ablehnung

Trotzdem lehnen wir von der ÖVP-Delegation im EU-Parlament die Richtlinie in ihrer derzeitigen Form ab. Die Bestimmungen greifen zu stark in die Gemeindeautonomie ein, auch der Bundesrat hat in einer einstimmig angenommenen Entschließung Bedenken geäußert, die Richtlinie verstoße gegen das Subsidiaritätsprinzip. Zudem ist der Verwaltungsaufwand unverhältnismäßig hoch und vor allem für kleinere Gemeinden ist die Richtlinie nur sehr schwer umsetzbar. Die österreichische Wasserversorgung funktioniert bereits ausgezeichnet, in einer Umfrage des ÖGWV verliehen die Österreicher ihren Wasserversorgern die Note 1,4! Es wäre also absolut sinnlos, das System zu ändern - warum sollte man etwas "reparieren", das nicht kaputt ist?

Als Umweltsprecher der Europäischen Volkspartei - und nicht zuletzt als Österreicher - liegt mir unser Wasser sehr am Herzen. Im EU-Parlament habe ich mit der "EP Wassergruppe" eine Plattform gegründet, die sich ausschließlich dem Schutz des Wassers widmet. Ich kann versichern, dass die Verfügungsgewalt über das österreichische Wasser nach wie vor in Österreich bleibt - und daran wird sich auch mit einer Konzessions-Richtlinie nichts ändern!

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