Was kostet Brexit, was bringt er?

Eine Schifffahrt für den EU-Austritt: Brexit-Befürworter auf der Themse
Ist Zuwanderung ein Problem, und überlebt London einen EU-Austritt? Die wichtigsten Fragen zum Referendum am 23. Juni.

Hohe Kosten, zu viele Zuwanderer, überbordende Regeln: Mit diesen drei Argumenten machen die Brexit-Befürworter Stimmung für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU. Aber was ist wirklich dran? Und was würde die Briten erwarten? Ein KURIER-Faktencheck.

Wie viel kostet die Briten die EU-Mitgliedschaft?

"Wir senden jede Woche 350 Millionen Pfund (440 Mio. Euro) an die EU." So steht es in Riesen-Lettern auf dem Brexit-Tourbus von Boris Johnson. Der Betrag ist jedoch stark übertrieben: Er unterschlägt den "Thatcher-Rabatt" , der den Briten 4,9 Mrd. Pfund EU-Beitrag im Jahr erspart. Und er ignoriert, dass Geld aus Brüssel zurückfließt: 4,4 Mrd. Pfund an Bauern und schwache Regionen sowie 1,4 Mrd. Pfund für die Forschung.

Könnten die Briten ohne EU bessere Verträge aushandeln?

Der Zugang zum EU-Markt ist selbst den Brexit-Befürwortern wichtig. Sie wollen, dass sich beim Handel nichts ändert. Das ist allerdings Wunschdenken: Als Nicht-EU-Mitglied müssten die Briten ihre Handelsbeziehungen neu aushandeln – zur EU und zu jenen 53 Nicht-EU-Ländern, mit denen bestehende EU-Handelsverträge ebenfalls obsolet würden – eine Sache von Jahrzehnten.

Norwegen und Schweiz zeigen vor, wie man ohne EU erfolgreich ist. Warum nicht auch das Vereinigte Königreich?

Die EU-Gegner wollen keine Beiträge zahlen, keine EU-Zuwanderer oder Vorschriften akzeptieren, dafür aber vollen Zugang zum Binnenmarkt. Da hakt es: So ein Arrangement mit der EU gibt es bisher nicht. Und es ist unwahrscheinlich, dass die 27 verbliebenen EU-Länder den Briten einen roten Teppich ausrollen. Norwegen etwa muss Geld nach Brüssel überweisen und Arbeitskräfte aus der EU akzeptieren.

Ohne die starren EU-Regeln könnte die britische Wirtschaft endlich abheben.

Möglich, aber viel ist da nicht mehr zu holen. Mit Platz 6 in der "Doing-Business"-Weltrangliste zählen die britische Wirtschaft und der Arbeitsmarkt schon jetzt zu den flexibelsten – trotz EU. Zudem müssten die Briten weiterhin etliche Regeln aus Brüssel einhalten, ohne mitbestimmen zu können. Im Finanzsektor wäre das schmerzhaft, dort ist ihr Einfluss besonders groß: Der für Banken zuständige EU-Kommissar Hill ist Brite.

Was bedeutet der Brexit für die Finanzbranche?

Die Branche steht für 7 Prozent der Wirtschaftsleistung und ist ein gewichtiger Faktor. Am Finanzplatz London haben viele Geldinstitute aus Übersee ihre Europa-Zentralen angesiedelt. Sie sind darauf angewiesen, von dort aus EU-Geschäfte abwickeln zu können. Manche Schätzungen gehen davon aus, dass ein Drittel der Finanzaktivitäten aus London abwandern würde.

Wie würde sich Brexit auf das britische Wachstum auswirken?

Das ist schwer abzuschätzen, weil man nicht weiß, wie die neuen Verträge aussehen würden: Wie hoch sind Zölle, gibt es Einfuhrbeschränkungen, fällt die Reisefreiheit? Die Reiche-Staaten-Organisation OECD schätzt, dass die britische Wirtschaftsleistung im Jahr 2030 um 5 Prozent geringer wäre. Umgelegt auf jeden Haushalt wären das Wohlstandseinbußen von 3200 Pfund (4030 Euro).

Was wäre die Folge für die Autoindustrie der Insel?

Seit Jahren müht sich Großbritannien damit ab, die Industrie wiederzubeleben – ohne durchschlagenden Erfolg. Gelungen ist das in der Autobranche: Im abgelaufenen Jahr wurden auf der Insel fast 1,6 Millionen Pkw produziert. Toyota und Nissan sind mit Werken ebenso vertreten wie Ford, der indische Autobauer Tata (Jaguar) oder BMW (Mini, Rolls-Royce). "Die britische Herkunft gehört zum Markenkern", sagt jedoch Michael Jung vom Beratungsunternehmen ROI. Ein Aus für die Produktion dieser Marken auf der Insel sei somit schwer vorstellbar.

Was bedeutet der Brexit für den Rest der EU?

Das Vereinigte Königreich ist die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt und die zweitgrößte in der EU. Das mag eher symbolisch sein, aber: Ohne den Beitrag der Briten würde die Wirtschaftsleistung (BIP) der EU hinter China und die USA zurückfallen. Die Insel ist zudem ein wichtiger Absatzmarkt für Kontinentaleuropa. Die direkten Brexit-Folgen wären dennoch eher gering – die EU-Staaten würden auf andere Märkte ausweichen. OECD-Experten gehen davon aus, dass das BIP der Rest-EU im Jahr 2020 um 1 Prozent geringer wäre.

Ist die Zuwanderung für die Briten tatsächlich so ein gravierendes Problem?

Sie ist ein Hauptgrund für die negative Stimmung. 2015 sind unterm Strich 185.000 Zuwanderer aus der EU auf die Insel gezogen – ein Allzeithoch. Viele kommen aus Osteuropa: Das Vereinigte Königreich war bei der EU-Erweiterung 2004 eines von nur drei EU-Ländern, das seine Grenzen sofort, ohne Übergangsfrist, geöffnet hat. Laut UN-Zahlen leben somit 700.000 gebürtige Polen auf der Insel. 1,6 Millionen Zuwanderer haben mit der EU übrigens gar nichts zu tun: Sie sind in Indien, Pakistan und Bangladesch geboren.

Wie viel steht für Österreich auf dem Spiel?

Österreichs Unternehmen haben 2015 Waren im Wert von 4,2 Milliarden Euro ins Vereinigte Königreich geliefert, das ist Platz acht in der Rangliste der Zielmärkte. Die Einfuhren betrugen nur 2,5 Milliarden Euro, somit verzeichnete Österreich einen satten Überschuss. Dennoch wären die Brexit-Folgen für Österreich kaum spürbar: Laut Schätzungen läge das BIP 2030 um 0,05 bis 0,18 Prozent niedriger. Ein Wirtschaftsfaktor sind 800.000 britische Touristen, die pro Jahr zu uns kommen. Diese Zahl könnte sinken, wenn das Pfund stark an Wert einbüßt und das Reisen für die Briten somit teurer wird.

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