Warum Merkel und Schulz eine GroKo brauchen

Nur zusammen stark: Kanzlerin Merkel und SPD-Chef Schulz
Merkel kann sich kein Scheitern erlauben, Schulz kämpft um Glaubwürdigkeit.

Lebendigkeit – so nennt Andrea Nahles, SPD-Fraktionschefin, den Streit, der SPD diese Woche in Atem hielt. Als wäre Martin Schulz durch seinen Zickzackkurs in puncto Große Koalition nicht schon genug blamiert, zerpflückten die Genossen auch noch öffentlich das Sondierungspapier, das er zuvor in den Himmel pries.

Noch was "ausbuchstabieren"

Kanzlerin Merkel hielt sich anfangs bedeckt, ließ die SPD aber Mitte der Woche wissen, dass nicht neu verhandelt wird; nur ein paar Punkte könne man "ausbuchstabieren." Dass Schulz damit durchkommt, muss in Merkels Interesse liegen. Für eine stabile Regierung, braucht sie heute die Zustimmung der Delegierten zur Großen Koalition.

Damit wäre eine Zwischenetappe erreicht. Dann beginnt das Feilschen um den Koalitionsvertrag, den eine Mitgliederbefragung der SPD annehmen muss.

Andrea Römmele, Politikwissenschaftlerin der Hertie School of Governance geht davon aus, dass Merkel darin den Europa-Punkt stärker zu ihren Gunsten ausverhandelt. "Sie will als europäische Kanzlerin in die Geschichtsbücher eingehen." Fraglich sei, für wie lange. Römmele rechnet damit, dass sie noch während der Legislaturperiode abtritt, viel länger würde die Koalition nicht halten.

Neuwahlen?

Falls es nicht dazu kommt, weil sich die SPD quer stellt, wären Neuwahlen alternativlos, meint die Politologin. Allerdings kann die nur Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auslösen. Sollte es wirklich so weit kommen, müsste der "führungsschwache Schulz" zurücktreten, weil er die Basis nicht überzeugen konnte und die Partei-Spitze gleich mit, so Römmele. Angezählt wäre auch die Kanzlerin, die mit dem Regierungsauftrag ein zweites Mal scheitert. "Sie hat bei den Wahlen eingebüßt, Jamaika nicht auf die Reihe gebracht, wie sie die Reihen noch geschlossen halten will, ist mir ein Rätsel."

Ausschließen lässt es sich aber nicht: Denn während sich die SPD in der Not fast zerfleischt, hält die CDU die Füße still. Oder wie ein SPDler zynisch sagt: "Die laufen dafür mit offenen Messer in der Tasche herum."

Für Martin Schulz ist es ein Schicksalsparteitag: 600 Delegierte und der 45-köpfige SPD-Vorstand entscheiden heute über die Verhandlungen zu einer möglichen Große Koalition und damit auch über seine politische Zukunft.

Die Delegierten müssen sich jedenfalls nicht an Vorgaben der Parteispitze halten. Viele der 16 Landesverbände haben trotzdem bereits offiziell Stellung bezogen. Dabei wird deutlich, wie zerrissen die SPD ist.

Nordrhein-Westfalen (144 Delegierte): Der wichtige Landesverband mit den meisten Delegierten in Bonn will keine Vorab-Abstimmung - auch nicht im Vorstand.

Niedersachsen (81 Delegierte): Der Landesvorstand stimmte bei drei Enthaltungen ohne Gegenstimme für Koalitionsverhandlungen.

Bayern (78 Delegierte): Der bayerische SPD-Landesvorstand tagt erst am Freitagabend in Nürnberg. Eingeladen sind auch die 78 Parteitagsdelegierten. Landeschefin Natascha Kohnen wirbt für Koalitionsverhandlungen, auch der Vorstand der Landtagsfraktion ist dafür.

Hessen (72 Delegierte): Aus Hessen wurden schon früh Wünsche nach Nachbesserungen laut - Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel nannte etwa die Gesundheits- und die Steuerpolitik. Der Landesvorstand wollte noch in dieser Woche eine Empfehlung abgeben.

Rheinland-Pfalz (49 Delegierte): Der Landesvorstand berät erst am Freitagabend in Mainz. Offen ist aber, ob es einen Beschluss oder eine Empfehlung geben wird.

Baden-Württemberg (47 Delegierte): Eine Abstimmung wird es im Südwesten nicht geben. Der Landesverband ist in der GroKo-Frage zerrissen - je basisnäher, desto kritischer.

Saarland (24 Delegierte): Die Spitze der Saar-SPD empfiehlt die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union im Bund. Mit 18 zu 1 fiel das Votum am Mittwochabend eindeutig aus.

Schleswig-Holstein (24 Delegierte): Formale oder Probe-Abstimmungen gibt es nicht. "In der SPD Schleswig-Holstein sind die Meinungen zum weiteren Vorgehen vielfältig und es gibt keine Voten", sagte SPD-Landeschef Ralf Stegner der dpa.

Berlin (23 Delegierte): 21 zu 8: Der Berliner Landesvorstand hat sich deutlich gegen Verhandlungen ausgesprochen und ist damit nicht der Empfehlung des Vorsitzenden und Regierenden Bürgermeisters Michael Müller gefolgt.

Hamburg (15 Delegierte): Die Hamburger SPD hat sich für Gespräche über eine Neuauflage der großen Koalition im Bund ausgesprochen. Der Landesvorstand empfahl "einvernehmlich", Verhandlungen aufzunehmen.

Brandenburg (10 Delegierte): Der Landesvorstand hatte sich klar mit neun zu zwei Stimmen für Koalitionsverhandlungen ausgesprochen.

Bremen (8 Delegierte): Ein Probeabstimmung im SPD-Landesvorstand ist nicht geplant. Aber die acht Bundesparteitagsdelegierten des Bremer Landesverbandes treffen sich am Freitag zu einer parteiinternen Diskussion mit der Basis.

Sachsen-Anhalt (6 Delegierte): Ein Landesparteitag hat gleich am Tag nach dem Sondierungsende gegen Koalitionsverhandlungen gestimmt - allerdings nur mit einer Stimme Mehrheit.

Thüringen (7 Delegierte): Die Thüringer hatten sich als erster SPD-Landesverband bereits im Dezember gegen eine große Koalition ausgesprochen.

Sachsen (7 Delegierte): Eine Abstimmung im Landesverband ist nicht geplant. Die Delegierten sind geteilter Meinung - Landeschef Martin Dulig sieht gar die Gefahr einer Spaltung.

Mecklenburg-Vorpommern (5 Delegierte): Der erweiterte Landesvorstand berät am Freitag, auch die Landtagsfraktion ist dabei - aber eine Abstimmung ist bisher nicht geplant.

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