Warum London leere Brexit-Kilometer macht

Warum die EU und London auch in der dritten Brexit-Runde aneinander vorbeiredeten.

Murmeltiertag“ spottet am Donnerstag die Brüssel-Ausgabe des Politikjournals „Politico“ . Erstens seien die britischen Verhandler wieder einmal zu spät am Konferenztisch in Brüssel aufgetaucht und außerdem sehe es ohnehin so aus, als ob man auch diesmal weitgehend ergebnislos auseinandergehen würde. Und so kam es zu Mittag tatsächlich: Britische und EU-Verhandler gingen Donnerstag Mittag ohne jeglichen Fortschritt auseinander.

Selbst der britische Brexit-Chefverhandler Dave Davis hatte sich zuvor schon einigermaßen pessimistisch gegeben. Es sehe nicht so aus, als ob man tatsächliche Fortschritte erzielen werde. Weit härter noch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Er hat ein vernichtendes Urteil über die bislang vorliegenden britischen Papiere zum EU-Austritt gefällt. „Ich habe mit der nötigen Aufmerksamkeit alle diese Papiere (...) gelesen und kein einziges stellt mich wirklich zufrieden“, sagte der Luxemburger am Dienstag vor EU-Botschaftern in Brüssel. Es gebe „enorm viele Fragen“, die noch offen seien. Auch EU-Chefunterhändler Michel Barnier hat sich mit erneuter Kritik an Großbritannien zu Wort gemeldet. „Wir brauchen klare Positionen des Vereinigten Königreichs zu allen Fragen“.

Barnier hatte schon am Montag zu Beginn der jetzt beendeten dritten Gesprächsrunde von London gefordert, „ernsthaft zu verhandeln“.

Tatsächlich hat London in den vergangenen Tagen ein ganzes Dutzend an sogenannten Strategiepapieren für den Brexit verabschiedet. In denen geht es aber vorrangig um die Beziehungen Großbritanniens nach dem EU-Austritt im Frühjahr 2019. London will vor allem in wirtschaftlichen Fragen keine allzu großen Erschütterungen mit der EU. Die Planungen beinhalten unter anderem folgende Punkte.

1. Großbritannien soll in einer mindestens vierjährigen Übergangsphase Teil der Zollunion und des EU-Binnenmarktes bleiben.

2. Großbritannien will auch auf Dauer entweder eine Fortführung der Zollfreizone oder zumindest eine völlig automatisierte Abwicklung aller Zölle und Grenzformalitäten, um nur ja jede Verzögerung für Waren an den britischen Grenzen zu verhindern.

3. Großbritannien will weiterhin Dienstleistungsfreiheit innnerhalb der EU. Das dient vor allem dazu, um den britischen Banken und Investmenthäusern weiterhin die sogenannten „passporting rights“ zur Abwicklung von Finanzgeschäften für europäische Banken und Unternehmen zu garantieren.

4. Großbritannien will alle seine Waren weiterhin ohne Einschränkungen und Auflagen in die EU exportieren.

5. Großbritannien will den Europäischen Gerichtshof zwar nicht mehr anerkennen. Mit Hilfe von bilateralen Abkommen aber können EU-Bürger ihre Zivilklagen weiterhin auch in Großbritannien einreichen.

All diese Punkte, so wünschen es sich die Londoner Verhandler, sollen parallel zu den Austrittsverhandlungen bereits abgehandelt werden. Für die EU inakzeptabel. Sie will zuerst eine klare Trennung von Großbritannien ausverhandeln, und dazu müssen folgende Fragen vorrangig beantwortet sein.

  1. Wieviel bezahlt Großbritannien auch nach dem Austritt für seine bereits eingegangenen Verpflichtungen mit der EU? In Brüssel spricht man von 100 Milliarden. In London, wo Brexit-Radikalisten wie Außenminister Boris Johnson anfangs keinen Cent nach Brüssel mehr schicken wollten, signalisiert man inzwischen, bis 40 Milliarden mitzugehen. Doch die Kluft mit Brüssel bleibt.
  2. Was wird aus den 3,2 Millionen EU-Bürgern in Großbritannien, welche Rechte haben sie nach dem Brexit, und unter welchen Bedingungen dürfen sie bleiben?
  3. Was wird aus der Grenze zwischen dem britischen Nordirland und Irland, die ja nach dem Brexit zur EU-Außengrenze wird? Beide Seiten wollen die Grenze weitgehend offenlassen, unklar ist nur, wie?

Erst wenn die EU bei allen drei Fragen „ausreichende Fortschritte“ feststellt, will sie über die für London so wichtige künftige Partnerschaft reden - frühestens im Oktober oder sogar erst im Dezember. Der britische Vorstoß der letzten Wochen scheint gescheitert, und zwar vor allem an Londons irrlichternder Verhandlungstaktik. Die britische Regierung ist sich bei entscheidenden Fragen selbst uneins - und glaubt zugleich immer noch, entscheidende Vorteile der EU-Mitgliedschaft behalten zu können, kommentiert der deutsche „Spiegel“. Es zeigt sich eine seltsame Mischung aus Dilettantismus und Selbstüberschätzung

"Brexit": Fritz (ORF) zu Verhandlungsergebnissen

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