Tschechien: "Von Demokratie enttäuscht"
Es den Tschechen politisch recht zu machen, ist nicht so einfach. Knapp die Hälfte unserer Nachbarn, so das Ergebnis einer aktuellen Umfrage, sind mit dem Ausgang der Wahlen vom Wochenende unzufrieden. Eine Wahl, die– da sind sich in und ausländische Kommentatoren einig – von einem Motiv geprägt war: Unzufriedenheit mit der etablierten Politik.
Wie tief diese Unzufriedenheit sitzt, macht der Prager Politologe Jakub Charvat gegenüber dem KURIER deutlich: "28 Jahre nach der Samtenen Revolution von 1989 gibt es eine tief sitzende Enttäuschung in Tschechien über die Demokratie." Man habe, so Charvat, einfach keine Ahnung von westlicher Demokratie gehabt, und viel zu viel erwartet: "Das war so eine Art Traumschloss, in dem alles in Erfüllung geht, ohne, dass man etwas dazu tun muss."
Experten statt Politiker
Konkreten Anlass, enttäuscht zu sein, gibt es in Tschechien derzeit eigentlich nicht. Die Wirtschaft boomt – ähnlich wie in Österreich – im Windschatten der deutschen Autoindustrie. Es herrscht quasi Vollbeschäftigung, Gastarbeiter aus Ländern wie der Ukraine strömen zu Tausenden ins Land, um die Jobs zu erledigen, die die Tschechen längst nicht mehr machen wollen. Einzig bei den Löhnen hinkt man weiterhin hinter Westeuropa her, ein Thema, auch bei den Wahlen.
Die aber wurden nicht von solchen tatsächlichen Problemen dominiert, sondern schlicht von grundlegendem Unmut. Der Multimilliardär Andrej Babis sicherte sich als selbst ernannter Kämpfer gegen die Korruption und deklarierter Anti-Politiker einen triumphalen Wahlsieg mit fast 30 Prozent der Stimmen und ist als nächster Premier weitgehend sicher. Dass gegen Babis selbst Ermittlungen wegen Steuerbetrugs und Missbrauchs von EU-Geldern laufen und der Anti-Politiker bereits vier Jahre als Finanzminister der letzten Regierung hinter sich hat, schienen die Wähler nicht zu stören. "Babis hat sich perfekt als Kämpfer gegen das System inszeniert", analysiert Charvat, "auch dank seiner Medienmacht". Der Unternehmer besitzt die zwei größten tschechischen Zeitungen.
"Nie ein Flüchtling"
Auf blanke rechte Hetze verließ sich die zweite große Überraschung der Wahlen, der japanischstämmige Tscheche Tomio Okamura. "Parasiten" nannte er Flüchtlinge und Migranten auf seinen Plakaten und setzte Islam konsequent mit Terrorismus gleich. "Spielt ja keine Rolle, dass kein Tscheche je einen Flüchtling gesehen hat", kommentiert ein verärgerter bürgerlicher Politiker den Erfolg Okamuras, der mehr als zehn Prozent holte. Noch knapp vor ihm, die Piratenpartei, die außer trüben Theorien über die Freiheit des Internet und Freigabe von Cannabis gar kein Programm zu bieten hatte, sondern lediglich das attraktive Image, konsequent gegen das politische System zu sein.
"Es herrscht grundsätzliches Misstrauen gegenüber allen politischen Institutionen", erklärt die Journalistin Zuzana Lizcova die Stimmung ihrer Landsleute.
Dass internationale Zeitungen wie die deutsche Zeit Tschechien auf dem politischen Weg Richtung Osten und in einen autoritären Nationalismus a la Ungarn oder Polen sehen, hält sie trotzdem für verfehlt: Die Tschechen seien gegenüber Mächtigen grundsätzlich skeptisch: "Sie schätzen pragmatische Macher wie Babis: Man wünscht sich den Experten, der alles ganz praktisch löst – ganz ohne Politiker."
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